
Den Eintopf zur Mittagsrast im Hof von Josef Stahl in Sulzdorf haben sich die Wanderer redlich verdient. Zwei Stunden schon waren sie unterwegs durch den weiten Ochsenfurter Gau, der auf den ersten Blick nicht vermuten lässt, welche kulturellen Schätze er birgt. Gut 160 Wanderer hatten sich am Morgen in Giebelstadt auf den Weg gemacht, um bei der Eröffnung des ersten Europäischen Kulturwegs im südlichen Landkreis Würzburg dabei zu sein. Ihr Lohn ist eine spannende Entdeckungsreise durch die Geschichte ihrer Heimat.
Die Tour beginnt auf dem Rathaushof direkt neben dem Stammsitz der Freiherrn von Zobel, die die Geschichte Giebelstadts fast 1000 Jahre lang geprägt hatten. Gerrit Himmelsbach, Historiker und geistiger Vater des fränkischen Kulturweg-Projekts, stimmt auf den Tagesmarsch ein. Das Schloss war im Bauernkrieg niedergebrannt und später im Stil der Renaissance wieder aufgebaut worden. Unweit davon sind vom Geyer-Schloss nur noch Reste vorhanden. Sie bieten den alljährlichen Festspielen um den Bauernführer Florian Geyer eine authentische Kulisse.
Dass die Geyer und die Zobel einst eine Familie waren, die sich erst im 14. Jahrhundert trennte, erfahren die Wanderer von Roland Mark, bevor Rüdiger Scheer als Vorsitzender der Festspielgemeinschaft für das alljährliche Historienspiel die Werbetrommel rührt.
Erinnerung an Kraftmühle und Sulzi
In Sulzdorf kommt zunächst die jüngere Geschichte zu ihrem Recht. Renate Wohlfeil, wie Roland Mark Mitglied im Arbeitskreis, der den Kulturweg ausgearbeitet hat, erinnert sich noch an die alte Kraftmühle, in der sie als Kind gespielt hat. 1979 wurde die Ruine im Rahmen einer Bundeswehrübung mit Panzern abgerissen. Übrig blieb ein Foto auf einer der Hinweistafeln, die den neuen Kulturweg säumen.
In einer langen Reihe drängen sich die Wanderer durchs enge Froschgässchen auf den Sulzdorfer Dorfplatz. Wie viel es in dem kleinen Ortsteil zu entdecken gibt, erfahren sie von Josef Stahl, langjährigem Kommunalpolitiker und inzwischen Ehrenbürger des Marktes Giebelstadt. Vom „Sulzi“, dem Skelett eines jungsteinzeitlichen Siedlers, das 1996 bei Kanalarbeiten entdeckt wurde, und dem neu gestalteten Dorfweiher erfahren sie von ihm.
Kirche im Wandel des Zeitgeschmacks
Zeichen steten Wandels ist die Pfarrkirche, die Archivarin Friederike Langeworth später erläutert. Nach einem Umbau 1730 war sie immer wieder dem Zeitgeschmack angepasst worden und vereint heute Züge des Barock, des Klassizismus, der Neuromanik und der Moderne. Ganz anders die Kirche in Ingolstadt, die als letztes Werk Balthasar Neumanns gilt und einen Rokoko-Altar von Johann Georg Auwera beherbergt.
Bevor der Kulturweg in Ingolstadt ankommt, erläutert Gerda Fries an der Kauzenmühle einen ebenso bedeutenden wie unscheinbaren Schauplatz der Geschichte. Im Juni 1525 spielte sich dort die letzte Schlacht des Bauernkriegs ab. Die Wasserburg, die Zeuge des Gemetzels wurde, brannte man nieder. Noch bis in die Neuzeit waren Rest der Fundamente zu finden, die heute unter Ackerboden verborgen liegen.
Einblick ins Ingolstadter Geyer-Schloss
Ein seltener Einblick wird der Gruppe im Ingolstadter Geyer-Schloss gewährt. Auf dessen Grundmauern war schon im 19. Jahrhundert ein landwirtschaftliches Gehöft errichtet worden, das heute von Ursula Bouveret bewohnt wird. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie das weitläufige Anwesen 1981 gekauft und liebevoll restauriert. Eine steinerne Kugel in der Außenwand soll sich bei der Beschießung im Bauernkrieg dort eingegraben haben.
Zurück in Giebelstadt weiß Robert Popp aus der neueren Geschichte zu berichten. Vom Bevölkerungsaufschwung, den die Gemeinde seit dem Bau des Wehrmachts-Flugplatzes im Jahr 1935 erlebt hat, von den russischen Kriegsgefangenen, die den Ausbau der Landesbahn bewerkstelligen mussten und von der katholischen Kirche, deren Bau erst nach zum Zweiten Weltkrieg vollendet wurde. Auch der Schriftsteller Nikolaus Fey kommt zur Sprache, der 1925 das erste Bühnenstück über den Ritter Florian Geyer verfasst hatte, und sich später von der Nazi-Propaganda vereinnahmen ließ.
Der Stil der Reformation
Die kleine evangelische Kirche, zu der Archivarin Friederike Langeworth zum Abschluss der Wanderung führt, stammt aus der Zeit, als sich die Herren von Zobel Anfang des 17. Jahrhunderts für 60 Jahre der Reformation anschlossen und atmet in ihrer Beschränkung auf das Wesentliche den Geist lutherischen Denkens.
Als „Entdeckungsreise, die Verlorenes und Vergessenes sichtbar macht“, hatte stellvertretende Landrätin Karen Heußner beim Beginn der Wanderung bezeichnet. Und Bezirksrätin Elisabeth Schäfer nannte es einen Glücksfall, dass der Bezirk den Aufbau von Kulturwegen in ganz Unterfranken unterstützt. Viel wichtiger noch sei das Netzwerk aus Bürgern, die hinter dem Kulturweg stehen, meint Gerrit Himmelsbach. „Was wir machen, lässt sich nicht mit einer Bilanz errechnen, da steckt sehr viele Seele und Identität dahinter.“
Weitere Kulturwege in Arbeit
Seine Pläne für die kommunale Allianz „Fränkischer Süden“ gehen bereits weiter. In den nächsten Jahren sollen auch in Tauberrettersheim, Bieberehren, Riedenheim und Bütthard Kulturwege entstehen. Und auch in Giebelstadt gibt es noch viele historische Schätze, die es in einem weiteren Kulturweg zu heben gilt.