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Würzburg
Gericht prüft Vorwürfe gegen Mediziner der Uniklinik Würzburg: Was passierte bei einer OP mit tödlichem Ausgang?
Im August 2023 endete ein Eingriff an der Würzburger Uniklinik tödlich. Nun klagt eine medizinische Kraft gegen ihre Entlassung. Hat sie Kompetenzen überschritten?
Das Arbeitsgericht Würzburg beschäftigt sich mit der Frage, ob eine medizinische Kraft ihre Kompetenzen überschritten hat.
Foto: Getty Images, Collage D. Biscan | Das Arbeitsgericht Würzburg beschäftigt sich mit der Frage, ob eine medizinische Kraft ihre Kompetenzen überschritten hat.
Andreas Jungbauer
,  Benjamin Stahl
,  Manfred Schweidler
 und  Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 26.11.2024 02:41 Uhr

Ihre weiße Jacke erinnert an einen Arztkittel: Die Person, die wieder mit Skalpell im Operationssaal stehen will, sitzt an einem Dienstag im Juli mit einem Stapel Papier in Sitzungssaal 4 des Arbeitsgerichts Würzburg.

Sechs Stunden lang wird es hier um eine Operation vom August 2023 mit tödlichem Ausgang gehen. Und um die Frage, ob die Person in der weißen Jacke die Kompetenzen eines Chirurgen überschritten hat, indem sie durch die Gabe eines Medikaments in den Aufgabenbereich des Anästhesisten eingegriffen hat.

So sah es Anfang des Jahres das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und kündigte der medizinischen Kraft in leitender Funktion fristlos. In einem ersten Gütetermin vor Gericht im Frühjahr dieses Jahres hatte die medizinische Kraft den Vorwurf der Kompetenzüberschreitung bereits zurückgewiesen. Auch einem zweiten Arzt, ihrem Vorgesetzten, wurde gekündigt. Beide Mediziner wehren sich, klagen in separaten Verfahren auf Wiedereinstellung.

Aus Gründen des Datenschutzes und zum Schutz von Persönlichkeitsrechten werden öffentlich bislang weder der Fachbereich noch Details zu den Betroffenen genannt. Für sie gilt bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung. 

Unterschiedliche Einschätzungen zu Zustand einer Patientin

Der erste der beiden Arbeitsgerichtsprozesse gewährt Einblick in das, was an jenem Augusttag im UKW passiert sein soll: Um 8.55 Uhr erreicht eine Patientin per Hubschrauber aus Bad Mergentheim das Klinikum. Sie muss schnell operiert werden, ihr Zustand sei aber stabil gewesen: "klar und ansprechbar", sagt der damals diensthabende Anästhesist als Zeuge. Man sei von einer "normalen OP" ausgegangen, erinnert sich auch die Anästhesiepflegekraft vor Gericht.

Die beiden leiten also die Narkose ein. Auf einer Kanüle am linken Arm der Patientin steckt unter anderem eine Spritze mit zwei Milliliter Akrinor: ein Kreislaufmittel, das in der Notfallmedizin und der Anästhesie eingesetzt wird, um bei Bedarf den Blutdruck zu erhöhen.

Die erste Dosis von 0,5 Milliliter ist gespritzt, als die Person, die die Operation leiten soll und nun gegen ihre Entlassung kämpft, den Vorbereitungsraum betritt. Sie schätzt den Zustand der Patientin schlechter als der Anästhesist ein: Vor Gericht präsentiert sie kritische Befunde, von denen der Anästhesist nichts gewusst haben will. Ihr Anwalt betont gegenüber der Redaktion, die Patientin sei "nicht mehr kreislaufstabil" gewesen, "nicht mehr ansprechbar".

Überwachungsmonitor schlägt im Universitätsklinikum Würzburg Alarm

Unstrittig ist: Plötzlich schlägt der Überwachungsmonitor Alarm. Blutdruckabfall. Anästhesist und Pflegekraft seien in dem Moment mit anderen Maßnahmen beschäftigt gewesen, erklärt die klagende Person vor Gericht. "Ich habe dann gefragt, sollen wir was unternehmen?" Der Anästhesist habe ihr dann die "Anweisung" gegeben, Akrinor zu spritzen und habe auch eine Dosis genannt. An die könne sie sich aber nicht mehr erinnern.

Der Anästhesist widerspricht im Zeugenstand: Die chirurgische Kraft habe gesagt, der Blutdruck sei "zu niedrig, da müsst ihr was machen". Eine Anweisung, einzugreifen, habe er daraufhin nicht gegeben. Er habe lediglich signalisiert, dass sich das Anästhesie-Team kümmern werde.

"Dass sich ein Operateur während der Narkoseeinleitung eine Spritze nimmt und gibt, habe ich noch nie erlebt."
Der Anästhesist im Zeugenstand vor Gericht

Die Anästhesieschwester erklärt vor Gericht, es habe auf den Hinweis der OP-Leitung auf den niedrigen Blutdruck "keine Antwort" gegeben. Ein Assistenzarzt, der ebenfalls dabei war, räumt auf Nachfrage der Richterin ein, er könne sich nicht erinnern, was konkret gesagt wurde.

Das dreifache der üblichen Einzeldosis eines Kreislaufmittels verabreicht

Von keiner Seite wird vor dem Arbeitsgericht bestritten, was dann Ungewöhnliches passiert sein soll: Die chirurgische Kraft soll selbst die restlichen 1,5 Milliliter Akrinor auf einmal verabreicht haben - das dreifache der üblichen Einzeldosis.

Die leere Spritze habe sie der Anästhesieschwester in die Hand gedrückt, mit der Anweisung, diese wieder aufzufüllen, und habe den Raum verlassen. Sie und der Anästhesist seien "beide etwas perplex" gewesen, schildert die Anästhesieschwester die für sie "komische Situation".

Sie kenne Akrinor, habe es aber "noch nie angewandt", sagt die chirurgische Kraft rückblickend. Die "normale Dosierung" von 0,5 Milliliter sei ihr zwar "bekannt", aber sie habe ja "nach einer Dosierung gefragt". Außerdem sei ihr "nicht bekannt" gewesen, "welche Medikamente bereits vorher gegeben wurden".

Chirurgische Kraft ruft einen Kollegen zur Hilfe

Nach zwei bis drei Minuten sei der Blutdruck der Patientin "auf über 200" gestiegen und dann wieder "rapide" abgefallen, berichtet der Anästhesist im Zeugenstand. Die Folge sei ein "massives Herz-Kreislauf-Versagen" gewesen. Unter Wiederbelebungsmaßnahmen habe man die Frau in den OP gebracht und operiert.

Als sich die Situation während des Eingriffs weiter zugespitzt haben soll, habe die chirurgische Kraft ihren Kollegen, der später ebenfalls entlassen wurde, zu Hilfe gerufen, so der Anästhesist weiter. Das sei kein Einzelfall gewesen. Ihm sei "keine OP" der chirurgischen Kraft bekannt, "die nicht komplikativ war", betont der Anästhesist unter Eid. Der Anwalt der chirurgischen Kraft hält dagegen, es habe nie Beschwerden gegen sie gegeben.

Bei dem Eingriff im August 2023 stirbt die Patientin noch auf dem OP-Tisch.

Uniklinikum Würzburg prüft nach einem Vorfall auf fragwürdige Vorgänge

"Dass sich ein Operateur während der Narkoseeinleitung eine Spritze nimmt und gibt, habe ich noch nie erlebt", betont der Anästhesist. Ob die hohe Akrinor-Gabe "todesursächlich" war, will die Richterin wissen. "Das kann man so nicht sagen", antwortet der Anästhesist. "Den Zustand der Patientin hat es aber nicht gerade verbessert." Dennoch habe er sich gewundert, dass es zunächst von keiner Stelle Nachfragen gab.

Erst vier Monate später, als im Dezember ein anderer Patient der chirurgischen Kraft einige Tage nach einer Routine-Operation infolge von auftretenden Komplikationen stirbt, prüft die Leitung des UKW nach internen Hinweisen eine ganze Reihe von Eingriffen intensiv auf fragwürdige Vorgänge.

Vorgesetzter rät Assistenzarzt nach Vorfällen zu "Zurückhaltung"

Damals telefonierte einer der inzwischen entlassenen Ärzte mit dem Assistenzarzt, der bei der OP im August dabei war. Dabei, so der Assistenzarzt im Zeugenstand unter Eid, habe sein Vorgesetzter ihn "gebeten, Stillschweigen zu bewahren". Unter Druck gesetzt worden sei er nicht. Er habe angenommen, dass es um eine Patientenbeschwerde gehe.

Der Anwalt der nun entlassenen Mediziner bestätigt gegenüber der Redaktion ein Telefonat "im Zusammenhang mit Vorwürfen" bezüglich einer Operation, an der der Assistenzarzt beteiligt gewesen sei. Aufgrund der unklaren Faktenlage habe sein Mandant in jenem Gespräch "Zurückhaltung" empfohlen.

Ob die außerordentliche Kündigung der Person in der weißen Jacke seitens des UKW rechtmäßig war, bleibt zunächst offen: Das Arbeitsgericht will weitere Beweise vorgelegt bekommen. Ein weiterer Verhandlungstermin steht noch nicht fest.

Unabhängig von dem arbeitsrechtlichen Verfahren ermittelt seit dem Frühjahr die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und der gefährlichen Körperverletzung. Insgesamt werden mehr als 20 Eingriffe am UKW überprüft. Derzeit wartet die Polizei auf die Ergebnisse entsprechender medizinischer Gutachten. Beide Ärzte weisen alle Vorwürfe gegen sie zurück.

 
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Kommentare
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  • Barbara Fersch
    man möchte nicht wissen, was sich alles in OP-Sälen zu trägt !!
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  • Dominik Temming
    Ganz seltsamer Schreibstil. Versucht die MP auf Krampf, das Geschlecht des Arztes zu verschleiern?
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  • Benjamin Stahl
    Hallo Herr Temming,
    Ihre Beobachtung geht in die richtige Richtung: Aus presserechtlichen Gründen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass unsere Berichterstattung zu dem Thema die Identität der handelnden Personen schützt.
    Wie im Text beschrieben können daher aktuell weder der Fachbereich noch Details zu den Betroffenen genannt werden. Selbst nur die Geschlechter der Personen zu nennen, ist nicht möglich, was uns beim Formulieren tatsächlich vor eine Herausforderung stellt...
    Vielen Dank für Ihr Verständnis!
    Freundliche Grüße
    Benjamin Stahl, Schwerpunktredaktion
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