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Würzburg
Frau Trautner, wie groß sind die Fußstapfen von Barbara Stamm bei der Lebenshilfe und wie klappt mehr Inklusion?
Als Landesvorsitzende der Lebenshilfe will Carolina Trautner Förderschulen öffnen und Menschen mit Behinderung auch in der Freizeit mehr fördern. 
Carolina Trautner (61)  war Staatssekretärin und Ministerin im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Jetzt will die Abgeordnete des Bayerischen Landtags sich bei der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung engagieren.
Foto: Matthias Baumgartner | Carolina Trautner (61) war Staatssekretärin und Ministerin im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.
Folker Quack
 |  aktualisiert: 08.02.2024 20:39 Uhr

Die 61-jährige Sozialpolitikerin und ehemalige Sozialministerin Carolina Trautner ist seit Ende März Vorsitzenden der Lebenshilfe Bayern. Sie beerbt in  diesem Amt Barbara Stamm, die seit 2001 bis zu ihrem Tod Landesvorsitzende der Lebenshilfe war.

Ein Gespräch über Inklusion und Teilhabe und woran diese noch scheitern. 

Wie groß sind die Fußstapfen von Barbara Stamm, Frau Trautner?

Carolina Trautner: Die sind natürlich sehr groß. Barbara Stamm hat in der Sozialpolitik enorm viel erreicht. Wenn sie das Wort erhob, haben alle zugehört. Ich werde versuchen diese Aufgabe, die ihr immer ein Herzensanliegen war, mit demselben Engagement und mit Empathie fortzusetzen. Ich habe dafür aber auch ein tolles Team mit dem übrigen Vorständen und dem Geschäftsführer und den vielen Engagierten vor Ort.

Was hat Sie bewogen, für das Amt der Landesvorsitzenden bei der Lebenshilfe zu kandidieren?

Trautner: Ich wurde gefragt, was ich als große Ehre empfand. Schon in der Kommunalpolitik war die Sozialpolitik mein Thema. Staatssekretärin und Ministerin im Sozialressort zu werden, das war mein politischer Hauptgewinn. Jetzt freue ich mich, meine soziale Ader wieder intensiver in der Praxis einzubringen.  

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Trautner: Ein aktuelles Thema ist sicherlich die Digitalisierung. Wir müssen die digitale Teilhabe den Menschen mit Behinderung ermöglichen. Auch bei den Themen Bildung und Arbeit ist noch Luft nach oben. Aber Inklusion muss darüber hinaus gehen. Da gehört der Freizeitbereich dazu, auch Menschen mit Behinderung sollen sich zum Beispiel ehrenamtlich engagieren können.

Carolina Trautner (links) und ihre Vorgängerin bei der Lebendhilfe, die 2022 verstorbene Barbara Stamm. Das Bild entstand 2020  beim Festkonzert zum 100-jährigen Bestehen des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Carolina Trautner (links) und ihre Vorgängerin bei der Lebendhilfe, die 2022 verstorbene Barbara Stamm. Das Bild entstand 2020  beim Festkonzert zum 100-jährigen Bestehen des Caritasverbandes für die Diözese ...
Im Gegensatz zu Schule und Beruf gibt es in der Freizeit aber keine Assistenzen, obwohl sie dringend gebraucht würden. Wie wollen Sie das ändern? 

Trautner: Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch auch in seiner Freizeit das Recht hat, Unterstützung zu bekommen. Also müssen wir das ausbauen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass mehr Geld für diese Assistenzen in das System fließt. Sonst bleiben es Lippenbekenntnisse.  Dafür werde ich werben und mich einsetzen, daran muss ich mich messen lassen.

In Bayern hat man oft den Eindruck, Teilhabe und selbst bestimmtes Leben sind vom Budget des jeweiligen Bezirks als Kostenträger abhängig. Sollte nicht der Bedarf des Einzelnen in den Mittelpunkt rücken?

Trautner: Alle, die in diesem Bereich arbeiten, haben den Wunsch, dass der Mensch und nicht das Budget im Mittelpunkt steht. Ich weiß von den unterschiedlichen Voraussetzungen in den Bezirken, die zu unterschiedlichen Entscheidungen führen. Wir müssen sehen, was ist finanziell erreichbar und wie kommen wir voran. Da brauchen wir Strategien, neue Ideen und pragmatische Lösungen. Beispielsweise kann ich mir bei den Schulbegleitern Pool-Lösungen vorstellen, weil nicht jedes Kind zu jeder Zeit eine Assistenz benötigt.

Der Schuldirektor einer Förderschule der Lebenshilfe hat einmal gesagt, am liebsten würde er sich überflüssig machen, indem er seine Pädagogen und Heilerzieher in die Regelschulen ausschwärmen ließe, um dort Inklusion möglich zu machen. Sind Sie da dabei?

Trautner: Das System der Förderschule, junge Menschen mit Beeinträchtigung zu befähigen weiterzukommen, ist sinnvoll und es wird dort eine hervorragende Arbeit geleistet. In meinem Stimmkreis im Augsburger-Land gibt es Förderschulen, die Wartelisten haben. Ich bin aber auch dafür, dass sich Förderschulen öffnen für Kinder ohne besonderen Bedarf. Sie müssen weg vom Rand der Gesellschaft. Nur so werden wir mehr Selbstverständnis füreinander entwickeln. Förderschulen haben ihre Berechtigung und formulieren selbst den Anspruch, inklusiv zu arbeiten. Sie bieten oft eine Reihe von inklusiven Formen der Beschulung für die Kinder an. Und jetzt fragen Sie mich wahrscheinlich, ob die Werkstätten für Menschen mit Behinderung noch zeitgemäß sind.  

Ich würde lieber fragen, ob das ganze System eine Einbahnstraße bleiben muss? Von der Förderschule in eine Werkstatt für behinderte Menschen oder bestenfalls noch in einen Inklusionsbetrieb. Warum nicht mehr Sprungbretter in den ersten Arbeitsmarkt?

Trautner: Man muss da genau hinschauen. Die Werkstätten betrachten den einzelnen Menschen und fördern ihn so gut es geht. Dieser Blick auf die individuelle Situation ist unglaublich wichtig. Und so sind sie eine gute Alternative für die Menschen, die es in den regulären Arbeitsmarkt eben noch nicht schaffen können. Jeder Mensch hat das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe in der Arbeit. Da geht es nicht nur ums Geld verdienen, sondern um das Arbeiten im Team und den Stolz, etwas geschafft zu haben. Und dann müssen wir weg vom Begriff Inklusionsbetrieb. Das muss normal werden und nichts besonderes mehr sein, wenn Menschen mit und ohne Behinderung zusammen arbeiten.   

Aber ist das System aus Förderschulen und Werkstätten dafür offen genug? 

Trautner: Die Bereitschaft, noch mehr aufeinander zuzugehen und das System zu öffnen, ist da. Das ist ein steter Entwicklungsprozess. Und hier hat sich in den letzten Jahren auch viel bewegt. Wir müssen uns weiterentwickeln und dafür gibt es eine große Bereitschaft. Wir sind längst nicht am Ziel.  

Bezirke, kommunale Sozialämter, Zentrum für Familie, Pflegekassen, Krankenkassen: Es gibt so viele Kostenträger für Menschen mit Behinderung, die dann gerne mal die Verantwortlichkeiten hin- und herschieben. Für behinderte Menschen und deren Angehörige ein enormer zusätzlicher bürokratische Aufwand. Sie waren mal Sozialministerin - geht das nicht einfacher? 

Trautner: Ja, wir brauchen hier fast schon einen Lotsen, der Betroffene durch das System begleitet. Selbst als Sozialministerin ist es mir schwer gefallen, hier immer den Überblick zu behalten. Ich wäre sehr dafür, das Ganze zu bündeln und Lotsen einzusetzen.

 
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