Die 61-jährige Sozialpolitikerin und ehemalige Sozialministerin Carolina Trautner ist seit Ende März Vorsitzenden der Lebenshilfe Bayern. Sie beerbt in diesem Amt Barbara Stamm, die seit 2001 bis zu ihrem Tod Landesvorsitzende der Lebenshilfe war.
Ein Gespräch über Inklusion und Teilhabe und woran diese noch scheitern.
Carolina Trautner: Die sind natürlich sehr groß. Barbara Stamm hat in der Sozialpolitik enorm viel erreicht. Wenn sie das Wort erhob, haben alle zugehört. Ich werde versuchen diese Aufgabe, die ihr immer ein Herzensanliegen war, mit demselben Engagement und mit Empathie fortzusetzen. Ich habe dafür aber auch ein tolles Team mit dem übrigen Vorständen und dem Geschäftsführer und den vielen Engagierten vor Ort.
Trautner: Ich wurde gefragt, was ich als große Ehre empfand. Schon in der Kommunalpolitik war die Sozialpolitik mein Thema. Staatssekretärin und Ministerin im Sozialressort zu werden, das war mein politischer Hauptgewinn. Jetzt freue ich mich, meine soziale Ader wieder intensiver in der Praxis einzubringen.
Trautner: Ein aktuelles Thema ist sicherlich die Digitalisierung. Wir müssen die digitale Teilhabe den Menschen mit Behinderung ermöglichen. Auch bei den Themen Bildung und Arbeit ist noch Luft nach oben. Aber Inklusion muss darüber hinaus gehen. Da gehört der Freizeitbereich dazu, auch Menschen mit Behinderung sollen sich zum Beispiel ehrenamtlich engagieren können.
Trautner: Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch auch in seiner Freizeit das Recht hat, Unterstützung zu bekommen. Also müssen wir das ausbauen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass mehr Geld für diese Assistenzen in das System fließt. Sonst bleiben es Lippenbekenntnisse. Dafür werde ich werben und mich einsetzen, daran muss ich mich messen lassen.
Trautner: Alle, die in diesem Bereich arbeiten, haben den Wunsch, dass der Mensch und nicht das Budget im Mittelpunkt steht. Ich weiß von den unterschiedlichen Voraussetzungen in den Bezirken, die zu unterschiedlichen Entscheidungen führen. Wir müssen sehen, was ist finanziell erreichbar und wie kommen wir voran. Da brauchen wir Strategien, neue Ideen und pragmatische Lösungen. Beispielsweise kann ich mir bei den Schulbegleitern Pool-Lösungen vorstellen, weil nicht jedes Kind zu jeder Zeit eine Assistenz benötigt.
Trautner: Das System der Förderschule, junge Menschen mit Beeinträchtigung zu befähigen weiterzukommen, ist sinnvoll und es wird dort eine hervorragende Arbeit geleistet. In meinem Stimmkreis im Augsburger-Land gibt es Förderschulen, die Wartelisten haben. Ich bin aber auch dafür, dass sich Förderschulen öffnen für Kinder ohne besonderen Bedarf. Sie müssen weg vom Rand der Gesellschaft. Nur so werden wir mehr Selbstverständnis füreinander entwickeln. Förderschulen haben ihre Berechtigung und formulieren selbst den Anspruch, inklusiv zu arbeiten. Sie bieten oft eine Reihe von inklusiven Formen der Beschulung für die Kinder an. Und jetzt fragen Sie mich wahrscheinlich, ob die Werkstätten für Menschen mit Behinderung noch zeitgemäß sind.
Trautner: Man muss da genau hinschauen. Die Werkstätten betrachten den einzelnen Menschen und fördern ihn so gut es geht. Dieser Blick auf die individuelle Situation ist unglaublich wichtig. Und so sind sie eine gute Alternative für die Menschen, die es in den regulären Arbeitsmarkt eben noch nicht schaffen können. Jeder Mensch hat das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe in der Arbeit. Da geht es nicht nur ums Geld verdienen, sondern um das Arbeiten im Team und den Stolz, etwas geschafft zu haben. Und dann müssen wir weg vom Begriff Inklusionsbetrieb. Das muss normal werden und nichts besonderes mehr sein, wenn Menschen mit und ohne Behinderung zusammen arbeiten.
Trautner: Die Bereitschaft, noch mehr aufeinander zuzugehen und das System zu öffnen, ist da. Das ist ein steter Entwicklungsprozess. Und hier hat sich in den letzten Jahren auch viel bewegt. Wir müssen uns weiterentwickeln und dafür gibt es eine große Bereitschaft. Wir sind längst nicht am Ziel.
Trautner: Ja, wir brauchen hier fast schon einen Lotsen, der Betroffene durch das System begleitet. Selbst als Sozialministerin ist es mir schwer gefallen, hier immer den Überblick zu behalten. Ich wäre sehr dafür, das Ganze zu bündeln und Lotsen einzusetzen.