
Er war so anders als wir. Weltstar. Eine Ikone des Fußballs. Einer, der in seinem Sport alles erreicht hat: Weltmeister, Europameister, deutscher Meister. Meister der Meister.
Und doch, als die Nachricht vom Tode Franz Beckenbauers in diesen Montagabend dringt wie die Eiseskälte aus dem Nordosten, kommen mir nicht seine Erfolge in den Sinn. Nicht seine Sprüche. Nicht seine mit Grazie geschlenzten Außenristpässe. Sondern ein Dezembertag kurz vor Weihnachten im Jahr 2004.
Franz Beckenbauer: Für seine Stiftung unterwegs im Würzburger Möbelhaus
Franz Beckenbauer war für seine Stiftung wieder einmal zu Gast in einem Würzburger Möbelhaus, vereinbart war auch ein Interviewtermin. Ich wartete also mit meinem kleinen Diktiergerät in einem kühlen Nebenraum auf jenen Mann, der mein Leben (ohne sein Wissen) schon so lange begleitet hatte.
Wer als Kind in den 70er Jahren jeden Nachmittag auf Rotgrandplätzen roxte oder auf Garagentore ballerte, der hatte ein Poster von Beckenbauer im Zimmer hängen. Meine erste bildhafte Erinnerung ist das WM-Finale 1974, da war ich sieben Jahre alt. Deutschland gegen Holland. Beckenbauer gegen Cruyff. Farbfernsehen bei Freunden meiner Eltern im Erlabrunner Katzenrain.
Zu Weihnachten gab es die Beckenbauer-Biografie: "Einer wie ich"
Ein paar Jahre später schenkte mir mein Vater zu Weihnachten die 1975 erschienene Beckenbauer-Biografie "Einer wie ich". 318 Seiten. Pure Poesie. Beckenbauer erinnerte sich an seinen ersten Lederball als Junge in Giesing: "Dieser Fußball war für uns ein Inbegriff, schien ewiges Leben zu besitzen, sollte noch da sein, wenn wir schon groß oder gar nicht mehr auf der Welt wären."
Wahrscheinlich habe ich das Buch 20 Mal gelesen. Es steht immer noch in meinem Bücherregal, gleich neben Sepp Maiers Memoiren "Ich bin doch kein Tor".
In der Weltauswahl mit Zico und Mario Kempes
Das erste Mal sah ich Franz Beckenbauer live dann am 31. Mai 1983. Es war das Abschiedsspiel von Paul Breitner im Münchner Olympiastadion. FC Bayern gegen eine Weltauswahl. Natürlich spielte Franz Beckenbauer in der Weltauswahl mit Zico, dem Brasilianer, und Mario Kempes, dem Argentinier. Beckenbauer schoss das 1:0 – für die Bayern. Ein Eigentor. Von unserem Ausflug mit Opa und Cousin und Franz auf dem Feld gibt es noch wackelige Super-8-Aufnahmen.
1990 fuhren wir dann in einem roten Passat über den Brenner. Fünf junge Männer mit wenig Geld und viel Leidenschaft. In Mailand feuerten wir die deutsche Nationalelf bei der WM in Italien an. An der Seitenlinie: Franz Beckenbauer.
Als nächstes, da waren wir sicher, wird Beckenbauer übers Wasser gehen
Damals war ich noch Lokalreporter. Aber das änderte sich. Im Frühjahr 1994 wechselte ich in die Sportredaktion der Main-Post. Erster großer Auftrag war das Bundesliga-Finale in München. Franz Beckenbauer hatte als Klubpräsident wenige Wochen zuvor auch interimsmäßig den Trainerposten übernommen. Natürlich endete der Ausflug im Erfolg: 2:0 siegten die Bayern gegen Schalke, holten den Titel – und Beckenbauer kickte anschließend vor unseren Augen bei der Meisterfeier im Salvatorkeller am Nockherberg einen Fußball von einem Weißbierglas ins untere Loch der ZDF-Sportstudio-Torwand. Als nächstes, da waren wir sicher, wird er übers Wasser gehen.

Wann kommt er?
Die Zeit im Nebenraum des Möbelhauses rann dahin. Dann öffnete sich die Türe, und Franz Beckenbauer trat ein. Ich bin ihm wiederholt begegnet, auch später, vor allem während der WM 2006 in Deutschland, seinem Herzensprojekt und seinem Fluch. Franz Beckenbauer besaß stets eine Aura und hatte die Gabe, Säle wie Kammern alleine durch seine Anwesenheit auszufüllen. So auch damals in Würzburg.
Mit seiner Freundlichkeit bedachte Beckenbauer jeden und jede
20 Minuten waren für ein Gespräch mit der Main-Post vereinbart gewesen, aber Beckenbauer schaute nicht auf die Uhr. Wir sprachen über die politische Stimmung im Land, seinen katholischen Glauben, den FC Bayern und er lästerte ein wenig über den neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann: "Wie er vielen jungen Spielern - von einigen wusste ich gar nicht, dass es sie gibt - eine Chance gegeben hat, zeigt, wie intensiv er sich mit der Bundesliga und anderen Ligen beschäftigt hat."
Das Interview füllte später eine Zeitungsseite. Aber es war nicht der Inhalt, der beeindruckte. Nicht Beckenbauers Aura. Nicht seine Vergangenheit. Es war seine Freundlichkeit, mit der er wirklich jedem und jeder in diesem Möbelhaus begegnete.
Was Franz Beckenbauer nicht kannte: Allüren
Franz Beckenbauer war ein Weltstar, aber vor allem war er ein Menschenfreund, der die Kellnerin, die das Wasser reichte, in der gleichen Art behandelte wie leibhaftige Könige oder Kanzler. Er konnte emotional werden, das schon. Er konnte auch verletzen, wenn er, der Kunstvolle, über die Unzulänglichkeiten seiner Nachfolger urteilte. Aber eines kannte Franz Beckenbauer nicht: Allüren.
Am Ende war er auch nur ein Fußballspieler aus Giesing, dessen Fehler ihn menschlich machten. Eben einer wie wir.