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WÜRZBURG
WM 2006: „Wir waren alle ein bisschen Ghana“
Bei der Fußball-WM 2006 erlebte Würzburg sein eigenes Sommermärchen. Das Team der Black Stars aus Ghana war zu Gast – und immer für eine Überraschung gut.
Ghana Abschied       -  Groß war die Begeisterung in Würzburg während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Unser Bild entstand beim Abschiedsempfang auf dem Marktplatz für Ghanas Team nach dem Aus im Achtelfinale gegen Brasilien.
Foto: Schwarzott (2) / Frühwirth / Jungbauer | Groß war die Begeisterung in Würzburg während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Unser Bild entstand beim Abschiedsempfang auf dem Marktplatz für Ghanas Team nach dem Aus im Achtelfinale gegen Brasilien.
Holger Welsch
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:04 Uhr

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat auch in Unterfranken ihre Spuren hinterlassen: Obwohl Würzburg schon seit 1989 Heimat des Africa Festivals ist, so afrikanisch wie bei der Sommermärchen-WM 2006 war die Stadt noch nie. „Wir sind Ghana“ stand auf zahlreichen Transparenten, wenn bis zu 3000 Fans das Ghanaische Nationalteam, die „Black Stars“, nach ihren Spielen gegen Italien (0:2), Tschechien (2:0), die USA (2:1) und Brasilien (0:3) im WM-Quartier bejubelten – ob vorm Mannschaftshotel „Maritim“ oder oft tausendfach bei den Empfängen auf dem Marktplatz. Der mittlerweile verstorbene Musiker Hermann „Wolkengeist“ steuerte sogar einen WM–Song bei.

Das Team um Stars wie Michael Essien, Sammy Kuffour oder Steven Appiah gab sich bei dem über vierwöchigen Aufenthalt locker und volksnah, was den Würzburgern ihr eigenes Sommermärchen bescherte, auch mit einer erfolgreichen Bilanz für Hotellerie, Gastronomie und Geschäftswelt. „Der Bekanntheitsgrad der Stadt ist gerade bei Sportfans gestiegen“, bilanziert Rathaussprecher Christian Weiß. Es war eine intensive und schöne Zeit: Die Black Stars waren Gäste beim Africa Festival, beim „Umsonst & Draußen“-Festival und bekamen Empfänge auf dem Marktplatz wie bei der Abschiedsparty nach dem WM-Aus gegen Brasilien.

Was geblieben ist: Viele Erinnerungen. Und vor allem die Begeisterung für Fußball, der dank der Drittliga-Erfolge der Würzburger Kickers zehn Jahre nach der WM 2006 im ehemaligen Trainingsstadion der Black Stars am Dallenberg Höhenflüge erlebt.

Menschen, die damals nah dran waren an der Würzburger WM, blicken noch heute gerne zurück. Einer ist Bernd Zierold, damals Chef der Daimler-Benz-Niederlassung Mainfranken und Fußballverrückter. Er hatte beste Kontakte zum Sportausrüster Puma, was letztlich zum Ghana-Gastspiel am Main führte. Mittlerweile ist Zierold bei Mercedes in Hamburg und blickt aus der Ferne auf das „Kickers-Märchen“, das seinen Ursprung schon während des Sommermärchens gehabt habe. Viele Weichen seien da schon gestellt worden.

Ein besonderes Erlebnis hatte Zierold bei der WM-Partie Ghana gegen die USA in Nürnberg, als er zwischen dem damaligen Ghana-Manager Anthony Baffoe und Ex-Bundesligastar Anthony Yeboah saß und den beiden sehr deutlich erklärte, dass er von Schiedsrichter Markus Merk nicht viel hielt – worauf sich die vor ihm sitzende Dame, die er nicht beachtet hatte, „ziemlich entrüstet“ umdrehte. „Ich habe mich bei Frau Merk dann für meine Wortwahl entschuldigt“, erinnert sich Zierold.

Täglichen Kontakt mit den Black Stars hatte Andreas Havlik, heute Direktor und damals Veranstaltungsleiter im Mannschaftshotel Maritim. Havlik ist vor allem der „freundschaftliche Umgang“ in Erinnerung geblieben. Auf zwei Etagen logierte der rund 50-köpfige-Tross. Da gab es zwar keinen Zutritt, aber die Gäste aus Afrika schotteten sich nicht groß ab. Fans hatten häufig Gelegenheit zum Kontakt mit den Spielern in der Hotel-Lobby.

Die Black Stars „hatten einen Ernährungsberater dabei“, erzählt Havlik, „den sie Professor nannten. Der liefen jeden Tag in die Küche. Einmal sollte das Essen scharf sein, am nächsten Tag wieder nicht so scharf.“ Die Spieler ließen sich vom Ernährungsplan nicht sonderlich beeindrucken: Öfters hätten sie sich einen Döner beim Imbiss um die Ecke geholt. Er erinnert sich, dass der Tross, als er vom damaligen Militärfughafen Giebelstadt zum WM-Spiel gegen Tschechien nach Köln abgeflogen war, Trainingsutensilien wie Hütchen oder Eckfahnen vergessen hatte. Kein Problem, sagten Fifa-Betreuer, diese Sache könne man in Köln zur Verfügung stellen. Das lehnten die Black Stars ab und schickten ihre eigene Ausrüstung per Bus nach. Warum? „Sie hatten Angst, die fremden Sachen könnten verhext oder von einem bösen Zauber beseelt sein“, erinnert sich Havlik.

Die Gäste aus Ghana waren immer für eine Überraschung gut: Wie bei jener Pressekonferenz, als ihr Sprecher urplötzlich verkündete, sie würden jetzt mehrere Hundert Eintrittskarten für eines ihrer WM-Spiele verkaufen. „Wir waren natürlich nicht vorbereitet und mussten flugs improvisieren“, sagt Havlik. Der freie Verkauf der Tickets hatte sich blitzschnell herumgesprochen, die Hotel-Lobby wurde zum Ticketbüro. Karten gab's nur gegen Bares – „das Geld wurde in Plastiktüten gesammelt“, berichtet Havlik.

Was geblieben ist: „Durchweg positive Erinnerungen“ bei Havlik, ein Imagegewinn fürs Hotel, aus dem Journalisten bundesweit berichteten und der Wunsch, noch einmal Gäste einer solch sportlichen Großveranstaltung zu beherbergen.

Auch Michael Schlagbauer, Vorsitzender des FC Würzburger Kickers, hat das Sommermärchen in bester Erinnerung. „Damals haben wir das Thema Willkommenskultur vorweggenommen.“ Willkommen waren die Black Stars auch im Kickers-Stadion, ihrem Trainingsplatz während der WM. Schlagbauer ist stolz, dass es vornehmlich die Kickers gewesen seien, die den Anstoß zum WM-Quartier Würzburg gaben. Er zeigt das Schreiben von Oktober 2002 an die Stadt, in dem es heißt: „Sich als Gastgeber einer Mannschaft der Welt präsentieren zu können, wäre für unsere Region von größter Bedeutung.“

„Null Reaktion“ habe das Rathaus erst mal gezeigt. Zwei Anläufe brauchte es, bis Würzburg im Katalog der 105 möglichen WM-Quartiere auftauchte. Später erklärte die damalige Oberbürgermeisterin Pia Beckmann die Bewerbung zur Chefsache, 2004 gründete sich der WM-Förderverein „WüM 2006“, der sich erfolgreich um Sponsoren kümmerte.

Damit Würzburg überhaupt in den WM-Quartier-Katalog kam, ließ der Stadtkonzern Würzburger Versorgungs- und Verkehrs GmbH (WVV) für knapp 100 000 Euro den Rasen im Kickers-Stadion sanieren. Ob das ein Geschenk oder nur eine Vorleistung war, darüber gab's nach der WM noch Wallung. Dazu stellt Schlagbauer klar: Der Beitrag der WVV belief sich auf etwa 20 000 Euro, den Rest finanzierten andere Sponsoren.

Was geblieben ist: „Persönliche Kontakte, die Fotos vom Training der Black Stars in der Kickers-Gaststätte, ein paar Grashalme vom immer wieder erneuerten WM-Rasen und die Erkenntnis, dass in Sachen Fußball in Würzburg was gehen kann, wenn man's nur versucht“, spielt Schlagbauer auf den Höhenflug der Kickers an. Bei deren ersten Spielen als Drittligist habe er Zuschauer getroffen, die das letzte Mal 2006 in der Flyeralarm-Arena waren: beim Testspiel von Ghana gegen den VfB-Stuttgart.

„Das war eine spannende Zeit mit den Black Stars. Und unvergesslich“, sagt Ute Zinner. Die Bindung ihrer Familie zu den Black Stars entstand, als eines Nachmittags Crew-Mitglieder in ihrem Textildruck-Geschäft nahe des Rathauses anfragten, ob sie über Nacht 300 Trainings-Trikots und -Hosen mit Nummern bedrucken könnte. Die Zinners konnten und lieferten am nächsten Tag die Trainingsklamotten im Mannschaftsquartier „Maritim-Hotel“, ab.

„Schüchtern fragen wir nach Autogrammen“, erinnert sie sich. „Umgehend ging der für die Ausrüstung zustehende Mann bei den Spielern im Frühstücksraum Unterschriften sammeln.“ Dem Erstkontakt folgten weitere, nah an den Black Stars war vor allem der Filius, der damals neunjährige Johannes. Er durfte mit Michael Essien, Samy Kuffour und Co öfters im Mannschaftsbus zum Trainingsgelände mitfahren – „und sogar mit in die Kabine“, erzählt Ute Zinner.

Was geblieben ist: „Viele Fotos, eine schöne Erinnerung an eine tolle, spannende Zeit, und mit dem damaligen Mannschaftsarzt Martin Engmann sind wir noch immer befreundet“, so Zinner.

Empfang Ghana       -  Ghanas Verbandschef Kwesi Nyantakyi mit Ex-OB Pia Beckmann.
Foto: Frühwirth (MainPost) | Ghanas Verbandschef Kwesi Nyantakyi mit Ex-OB Pia Beckmann.
Abflug Ghana       -  Auch die Würzburger Polizei drückte Ghana die Daumen.
Foto: Schwarzott (MainPost) | Auch die Würzburger Polizei drückte Ghana die Daumen.
Black Stars       -  Begehrte Autogramme: Stephen Appiah nach dem Training im Kickers-Stadion.
Foto: Andreas Jungbauer (MainPost) | Begehrte Autogramme: Stephen Appiah nach dem Training im Kickers-Stadion.
 
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    Wenn einer wirklich hautnah an jedem Trainingstag an den Black Stars dran war, dann ist das Rudi F., so wird der heutige Kickers-Aufsichtsrat allgemein genannt. Er kümmerte sich als damaliger Vorstand Sport um den reibungslosen Trainingsbetrieb. Unvergessen wie er mit Trainer Ratomir Dujkovic in der Kickers-Gaststätte im Hinterzimmer beim Bier am Fernseher, den jeweils nächsten Gegner Ghanas analysierte. So nah wie Rudi F. war niemand an den Black Stars!
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