Einmal quer über den Hof von Burg Brattenstein, ein paar verwinkelte Gänge entlang – und schon ist man in einer anderen Welt, in der es nach einer Mischung aus Wäscherei und Second-Hand-Laden riecht: dem Fundus der Frankenfestspiele Röttingen. Jede Menge Kostüme, Requisiten und Kulissen, aufgeteilt auf mehrere Räume und Stockwerke – hier den Überblick zu bewahren, erscheint fast unmöglich. Zwei Frauen aus Röttingen haben ihn dann aber doch: Heike Ort und Andrea Menth wissen genau, wo jedes einzelne Teil zu finden ist.
Alle Stücke im Fundus sind mit einem sorgfältig beschrifteten Schildchen ausgezeichnet – doch was bedeuten zum Beispiel die Kürzel "ODS", "CD" und "BHH"? "Oberteil Damen Strick", "Cape Damen" und "Biedermeier Herrenhemd", übersetzt Ort und lacht. Die 61-Jährige ist schon fast 25 Jahre im Fundus tätig, von September bis März ehrenamtlich, lediglich während der Festspiel-Monate erhalten sie und ihre Kollegin eine Vergütung für ihre Arbeit.
Nach Saisonende warten Kleiderberge darauf, gewaschen zu werden
Ist die Festspiel-Saison vorbei, warten Berge von Wäsche auf Ort und Menth. "Bis es im März wieder losgeht, schaffen wir es gerade so, alles einmal durchzuwaschen", sagt Ort. Anfangs hätten sie empfindlichere Kleider zur Reinigung gebracht, doch das sei auf Dauer zu teuer geworden. "Seide, Leinen, Wolle, Baumwolle – im Wollwaschgang waschen wir alles", sagt sie und lacht.
Ihre Aufgaben und die ihrer Kollegin sind klar aufgeteilt. Ort kümmert sich um den organisatorischen Part: Jedes einzelne Kleidungsstück und jedes Teil der Requisite werden von ihr fotografiert, katalogisiert, mit dem Computer erfasst und in ein selbst ausgeklügeltes System einpflegt; zudem bügelt sie Kleidung und hilft beim Auftrennen von Nähten. Andrea Menth als gelernte Schneiderin ist diejenige, die näht, Sachen zuordnet, aufräumt und sortiert. Die 63-Jährige stieß vor 14 Jahren zur Arbeit im Fundus – zuvor hatte sie bereits als Garderobiere für die Frankenfestspiele gearbeitet.
Jeden Donnerstag, von acht bis zwölf Uhr, sind Menth und Ort im Fundus in der Burg anzutreffen. An einem kleinen Tisch inmitten Reihen von Kleidungsstücken, Stoffballen und Kartons mit allen erdenklichen Accessoires wie Boas, Schulterpolstern, Stulpen, Manschetten und vielem mehr sitzen die beiden und besprechen ihren Tagesplan.
Die Struktur ist meist dieselbe: Zwischen acht und neun Uhr werden Sachen erfasst und fotografiert, dann gehen die beiden über eine knarzende Holztreppe auf den Dachboden, wo Schuhe, Hüte und historische Kleidung aus Renaissance, Barock und Biedermeier darauf warten, in eine Ordnung gebracht zu werden. Um zehn Uhr ist es Zeit für zwanzig Minuten Pause. Bei einer Tasse Tee und einem Plausch werden trotzdem nebenher Dinge erledigt: Andrea Menth näht Knöpfe an und Heike Ort fügt Fotos in ihre Listen ein.
Discokugeln, Pistolen, Telefone: Im Fundus gibt es fast alles
Während der Festspielsaison sortieren die beiden danach Requisiten zurück – "neben Kleidung kümmern wir uns auch um Kleinteile", sagt Ort. Davon finden sich in einem weiteren Raum des Fundus Unmengen: Gartenzwerge, alte Telefone, Musikinstrumente, Pistolen, Geschirr, Brillen, Discokugel, Schwimmflosse – "wir heben alles auf, man weiß nie, für was man es noch braucht", sagt Ort. Wie bei den Kleidern ist auch hier alles fein säuberlich sortiert und in Kategorien unterteilt. Ab elf Uhr wechseln die beiden wieder den Raum, Menth setzt sich an die Nähmaschine und Ort bügelt.
An die eineinhalb Meter Kleidung, die geändert werden müssen, hängen an einer Stange neben Menth. Sie und Ort sind bei der Anprobe der Schauspielerinnen und Schauspieler dabei und sprechen sich mit der Kostümbildnerin ab. Oft müssen Kleider gekürzt werden – "wenn sie nicht so lang sind, gehen sie nicht so leicht kaputt", erklärt Menth. Zum Teil müssen Kleider auch abgeändert werden, damit sie sich optisch in den Stil des jeweiligen Stücks einfügen: "2023 haben wir für 'Das Spukschloss im Spessart' bei allen Uniformen die Knöpfe abgetrennt und andere angenäht, weil die Originalknöpfe nicht zum Stück gepasst haben", erzählt Ort. Als die Saison vorbei war, musste das Ganze wieder rückgängig gemacht werden.
Vieles, was die Schauspielerinnen und Schauspieler bei den Frankenfestspielen tragen, stammt auch aus fremden Fundus, zum Beispiel aus Würzburg, Nürnberg, Niederstetten und Weikersheim. "In dieser Saison haben wir zirka 250 Einzelteile von anderen Theatern geliehen", sagt Ort. Und auch der Röttinger Fundus verleiht seine Stücke, an Laientheater in der Region.
Einiges aus dem Fundus ist selbst genäht – in den ersten Jahren der Festspiele, in denen ausschließlich Stücke des österreichischen Autors Johann Nestroy aufgeführt wurden, gab es eine Handvoll Kostümschneiderinnen, die Kleider für die Stücke nähten, erzählt Ort. Heute haben die Frankenfestspiele keine eigene Schneiderei mehr, doch auch Andrea Menth hat schon Kostüme zum Fundus beigesteuert: "Für 'Brandner Kasper' mussten auf die Schnelle acht Dirndl her, die habe ich genäht", sagt Menth. "Genauso wie Kleider für 'My fair lady'."
Der Zugang zum Fundus ist streng eingeschränkt
Immer wieder finden die beiden auch kreative Lösungen für Kleidungsfragen: Bei einem Stück etwa sollten die Schauspieler auf der Bühne "verschwinden". Menth und Ort lösten dies dadurch, dass sie Kapuzen an die Kleider nähten, die sie mit Mini-Bleiband beschwerten, damit sie beim Überwerfen über den Kopf an Ort und Stelle blieben. "Wenn man dann von den Schauspielern ein 'gut gemacht' hört, ist das schön", sagt Andrea Menth.
Um den Überblick über den Fundus bewahren zu können, ist der Zugang zu den Räumlichkeiten streng eingeschränkt. Wer etwas entnehmen will, muss einen Termin mit Menth und Ort ausmachen und in eine Liste eintragen, was er oder sie ausgeliehen hat. Dass die beiden bei aller Ordnung auch selbst etwas suchen, passiert trotzdem: "Wir haben mal ein halbes Jahr nach einem bestimmten Staubwedel gesucht", sagt Ort lachend.
"Was die Arbeit hier angeht, ticken wir total gleich, es ist fast unheimlich", so Ort. "Wir sind uns einig, wie wir die Sachen einteilen und was eine gute Ordnung ist. Für mich sind die vier Stunden im Fundus wie eine Auszeit, ich freu' mich drauf."