Unser Leben auf der Erde ist begrenzt. Doch wie geht es danach weiter? Das Volksstück „Der Brandnerkaspar schaut ins Paradies“ wagt die Antwort. Bei der Premiere in Röttingen geschah dies auf äußerst unterhaltsame Weise: Pavel Fiebers Inszenierung für die Frankenfestspiele auf Burg Brattenstein begeisterte das Publikum und sorgte immer wieder für spontanen Zwischenapplaus.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Mit 70 Jahren soll der in den Bergen lebende Brandnerkaspar das Zeitliche segnen. Doch als der Tod an seine Tür klopft, ist er noch nicht bereit mitzugehen. Zu sehr hängt er am Leben auf Erden; außerdem will er sich im Himmel nicht von seinem Vater, der 90 Jahre alt wurde, „saudumm anreden lassen“, wenn er schon jetzt dort auftaucht.
Und so flößt er dem unbedarften Tod Kirschgeist ein und handelt ihm weitere 20 Jahre ab, indem er ihn beim Kartenspiel betrügt. Der Tod zieht daraufhin wütend und gedemütigt ab. Als der faule Deal im Himmel auffliegt, ist Petrus empört und droht, den Tod seines Amtes zu entheben. Der wiederum kommt auf die Idee, dem Brandner einen Einblick ins Paradies zu gewähren – unverbindlich. Wenn es ihm dort nicht gefällt, darf er wieder zurück. Doch der Brandner kann kaum glauben, was er sieht. . .
„Echte Gemütstiefe als Ausgangspunkt zum Tragischen und zum Heiteren“
Pavel Fieber bezieht sich auf die Version des bayerischen Autors Joseph Maria Lutz. Der hatte 1934 aus der Urfassung von Franz von Kobell, die 1871 in den „Fliegenden Blättern“ erschien, ein „sehr liebevolles und komisches“ Volksstück gemacht, so Fieber. Er setzte dabei nach eigenen Worten nicht auf „überhitzte, dramatische Knalleffekte und Dorfdeppen-Komik, sondern auf echte Gemütstiefe als Ausgangspunkt zum Tragischen und zum Heiteren“.
Fiebers Version ist ebenfalls weit von „Dorfdeppen-Komik“ entfernt, auch wenn sich eine Prise Klamauk durchs Stück zieht. Wenn die Engelsschar in weißen Dirndln zu Michael Jacksons „Beat it“ tanzt und dabei weiße Strapse hervorblitzen lässt. Oder wenn der aufgebrachte Petrus sein Handy zückt, um den Tod herzuzitieren. Besinnlich und klamaukig, volkstümlich und schrill – beim Röttinger Brandnerkaspar kreiert all das eine ganz eigene Stimmung, die das Publikum von der ersten Sekunde an mitgehen lässt.
Großen Anteil hat das Ensemble, das vom papstähnlich gewandeten Petrus (Harald Dietl als knorrig-fürsorglicher Patriarch) bis zu den herrlich schrill aufspielenden Mitgliedern des Extra-Ensembles perfekt zusammengestellt ist. Die überragenden Hauptdarsteller (wunderbar kauzig Wolfram Kunkel als Brandner, grandios Richard Putzinger als Tod) stehen in der ewigen Spannung zwischen Anziehung und Abstoßung. Vor allem der Tod, der sich selbst lieber als „Boanlkramer“ (jemand, der mit Gebeinen handelt) vorstellt, weil das „lustiger klingt“, entwickelt sich schnell zum Publikumsliebling.
Der Tod hat von seinem schlechten Image die Nase voll
Der Österreicher Putzinger verleiht seinem Boanlkramer Komik und Tragik zugleich: Laut johlend begleitet das Publikum seinen ersten Rausch, ärgert sich mit ihm über die Falschspielerei („saudumme Gschicht!“) und verfolgt gerührt, wie er Mutter Brandner die Angst vor dem Sterben nimmt, indem er ihr zeigt, dass ihre beiden Söhne bereits im Himmel sind („I mein, mir gehn a bisserl mit“).
Der Tod als Sympathieträger, der von seinem schlechten Image die Nase voll hat: Im „Boanlkramer-Lied“ (Musik Richard Putzinger, Text Pavel Fieber) bittet er um Freundlichkeit – schließlich will er die Menschen nur ins Paradies bringen: „Wer?s einmal gesehen hat, der will nie mehr zurück.“ Die anderen Gesangseinlagen sind bayerische Volkslieder, meist aus dem 19. Jahrhundert, die sich als Ohrwürmer entpuppen: Das inbrünstig gejodelte „Holaredulie, wann da Auerhahn balzt“ steht als Metapher für die Reize des irdischen Lebens, in „Fein sein, beieinander bleiben“ besingen Brandner und die Sennerin von der Gindelalm (Katrin Wunderlich, überzeugend auch als Mutter Brandner) romantisch-derb das Geheimnis der Liebe.
Als der Brandner seiner todkranken Frau leise und zärtlich das Schlaflied „Guten Abend, gut‘ Nacht“ vorsingt, wird es im Publikum still.
Doch die Rührung hält nicht lange an – bei der Liedzeile „morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt“ schaltet sich sofort der Tod ein: „Na na, des glaub‘ i ned!“ Zwischen Rührung und Situationskomik – dem Ensemble gelingt dieser Spagat mit Bravour.
Acht weitere Aufführungen bis zum 12. August. Karten in den Geschäftsstellen dieser Zeitung in Würzburg, Schweinfurt und Kitzingen und unter Tel. (09 31) 60 01 60 00. Weitere Infos: www.frankenfestspiele.de