Verändert die Art und Weise, wie wir über Geflüchtete sprechen, unsere Wahrnehmung? Und wie sehen die Betroffenen selbst den öffentlichen Diskurs über Flucht und Migration? Wann ist ein Mensch in einer neuen Heimat angekommen? Ein Gespräch über Integration, Vorurteile und die Macht der Sprache mit zwei syrischen Studierenden und einer Sprachwissenschaftlerin.
Ola Khsara: Ja, allein schon wegen meines Kopftuchs. Wenn ich aber anfange, mich vorzustellen und zu erzählen, dass ich arbeite und studiere, dann vergessen die Leute im Laufe des Gesprächs, dass ich geflüchtet bin.
Osama Albernawi: An der Uni ist das anders. Dort ist die erste Frage: Was studierst du? Und nicht: Woher kommst du?
Dr. Christine Ott: Dazu gibt es unterschiedliche Positionen. Sprachstrukturell besteht das Wort "Flüchtling" aus "flücht(en)" und "ling". Die Endung findet sich in einigen Personenbezeichnungen, die einen abwertenden Beiklang haben. Zum Beispiel: Schönling, Schreiberling. Deswegen sprechen manche lieber von "Geflüchteten".
Ott: Das ist ein anderer Kritikpunkt an dem Wort "Flüchtling". Wird das Wort „Flüchtling“ oft in einem negativen Kontext verwendet, wird auch der Personenbezeichnung mittelbar etwas Negatives zugeschrieben. Ein Beispiel: Wenn Flüchtling ständig ursächlich im Zusammenhang mit Krise, Terror, Messerattacke oder ähnlich angstbesetzten Begriffen verwendet wird, haften diese negativen Assoziationen auch dem Wort „Flüchtling“ irgendwann an. Er kann sie nicht mehr abschütteln.
Khsara: Das kommt darauf an, wer das Wort ausspricht, wie er es sagt und in welchem Zusammenhang.
Albernawi: Das hängt von einem selbst ab. Jemand sendet und jemand empfängt. Weil ich mich in diesem Land willkommen fühle, nehme ich zuerst das Positive an. Ich verstehe mich als "Mensch mit Fluchterfahrung".
Khsara: Ich höre oft: "Du bist eine Frau, du trägst ein Kopftuch, du kommst aus Syrien, du bist geflüchtet und trotzdem schaffst du das." Manchmal macht mich das glücklich, manchmal überfordert mich das. Denn ich habe auch in Syrien studiert. Es ist normal, dass Frauen in Syrien studieren. Es ist normal, dass es auch in Syrien eine gebildete Schicht gibt.
Ott: Flüchtling ist ein Unisex-Wort und kann ebenso gut Frauen und Kinder benennen. Der Prototyp eines Flüchtlings in der medialen Berichterstattung ist aber ein Mann. Eine geflüchtete Frau, ein geflüchtetes Kind sind dann gedankliche Spezialfälle von „Flüchtling-Sein“. Das zeigt sich etwa darin, dass auch die Bezeichnung „Flüchtlingsfrau“ verwendet wird, kaum aber die Bezeichnung „Flüchtlingsmann“.
Khsara: Ich bin in verschiedenen Einrichtungen in Würzburg tätig, wo ich als syrische Frau schon auffalle. Gerade, dass ich als Dolmetscherin arbeite, erstaunt einige. Doch ich bekomme viel positive Resonanz - von Syrern und von Deutschen.
Albernawi: Ich habe bei vielen in Deutschland das Stereotyp gespürt: Frauen in Syrien haben nichts zu sagen. Dabei haben in vielen syrischen Familien die Frauen die Hosen an.
Khsara: Als ich für einige Zeit in einem Krankenhaus gearbeitet habe, fragte eine Patientin: "Wo hat sie ihre Kinder gelassen?" Ich antwortete ihr: "Ich verstehe Sie. Ich spreche Deutsch. Ich studiere, arbeite hier und bin nicht verheiratet." Sie war sehr erstaunt. Es freut mich, wenn ich in diesen Fällen mit den Menschen kommunizieren kann, weil ich Austausch für sehr wichtig halte.
Ott: Wie wir heute über Geflüchtete sprechen, steht in einer Tradition, wie insgesamt über Migration gesprochen wird. „Wir“ versus „die“ – „die Ausländer“, „die Asylanten“, „die Flüchtlinge“ – ist ein stabiles Muster, bei dem die Unterschiedlichkeit beider Gruppen betont wird. Die „wir“-Gruppe wird aufgewertet, die „sie“-Gruppe abgewertet, etwa als zivilisatorisch rückschrittlich. 2015 waren viele Medien um eine differenzierte Berichterstattung bemüht, berichteten aber oft emotionalisierender.
Ott: Wasser-, aber auch Kriegsmetaphern sind schon lange im Sprachgebrauch verankert, wenn Migration thematisiert wird. „Welle“ verbindet man meist mit etwas Bedrohlichem. Welle ist etwas, das auf mich zukommt, das mir Angst machen kann, dem ich hilflos ausgesetzt bin, das mit Kontrollverlust verbunden ist, das mich wegreißen und sogar lebensbedrohlich werden kann.
Ott: Sie tauchen nicht mehr als Individuen auf. Sie werden zu einer anonymen, bedrohlichen Masse.
Ott: Es ist eine Perspektive, die Dinge ausblendet: Etwa, warum Menschen flüchten und dabei sogar den eigenen Tod in Kauf nehmen. Diese Frage spielt in dem Bild der "Flüchtlingswelle" keine Rolle. Es gibt nur die eine Perspektive: Migration wird zu etwas Bedrohlichem für das Aufnahmeland.
Ott: Die einzige Handlungsoption, die mit dem Begriff implizit aufgezeigt wird, ist: Wir müssen uns vor diesen Menschen schützen. Wir müssen die Flüchtlinge aufhalten, um nicht selbst bedroht zu werden. Einen positiven Umgang mit Geflüchteten lässt dieses Wort nicht zu.
Ott: Ich wäre hier ebenfalls vorsichtig. Meine Kollegin Elisabeth Wehling würde sagen: Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln unmittelbar. Neuere Studien kommen dagegen zu dem Schluss, dass negatives "Framing", also dass ein Begriff bestimmte negative Bilder in unserem Kopf hervorruft, nicht automatisch unsere Einstellung zu dem Thema verändert. Es ist wohl eher so, dass sich Einstellungen, die man vorher schon hatte - ob positiv oder negativ - durch manipulative Sprache verstärken können. Das spricht dafür, dass wir Begriffe und damit verbundene Bewertungen durchaus rational einordnen können.
Albernawi: Ja. Anfangs war die Rede von Kriegsflüchtlingen. Es hieß "willkommen, hier seid ihr sicher". Dann wurde diskutiert: Wie beeinflussen uns die Flüchtlinge? Es ging immer mehr um Politik und immer weniger um die Menschen. Die Sprache in den Medien und auf politischer Ebene hat sich verändert. Jetzt ist Schluss, hieß es plötzlich. Oder: Was machen die hier? Ihr müsst was schaffen!
Albernawi: Manchmal will man sich einfach so gut wie möglich anpassen. Aber dann fehlt die Integration. Denn mit Assimilation wird man nicht glücklich. Dadurch entwertet man die eigene Kultur. Wenn ich Bier trinke am Main, sehe ich angepasst aus. Wenn ich dies mit Syrern tue, sind wir eine Gruppe, die die Deutschen nachmacht. Aber zur Integration gehört, dass die eine mit der anderen Gruppe kommuniziert. Ohne Kommunikation keine Integration.
Khsara: Das sehe ich auch so. Die Sprache ist der Schlüssel. Sie hat Macht.
Khsara: Ja, durch die Arbeit, das Studium, meine Freunde. Würzburg ist eine kleine Stadt. Man kennt sich.
Albernawi: Integration ist ein sehr weiter Begriff, aber Würzburg ist für mich und meine Familie eine zweite Heimat geworden. Würzburg hat uns noch nie enttäuscht. Würzburg ist halt Würzburg.