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GRAFENRHEINFELD/BERKELEY
Atomkraft oder Kernkraft? Wie die Wahl von Begriffen unser Denken beeinflusst
Interview: Durch geschickt gesteuerte Sprache beeinflussen Politik und Werbung unser Denken und Handeln. Die aus Hamburg stammende Linguistin Elisabeth Wehling erforscht in Berkeley dieses sogenannte Framing.
„Sie müssen sich immer die Frage stellen, wo Ihre moralische Dringlichkeit liegt“: Die Linguistin Elisabeth Wehling beobachtet, dass in Europa das rechtspolitische Lager geschickter mit Sprache umgeht als das linkspolitische.
Foto: Eleonora Palmieri | „Sie müssen sich immer die Frage stellen, wo Ihre moralische Dringlichkeit liegt“: Die Linguistin Elisabeth Wehling beobachtet, dass in Europa das rechtspolitische Lager geschickter mit Sprache umgeht als ...
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 04.02.2016 18:08 Uhr

Elisabeth Wehling, 1981 in Hamburg geboren, erforscht an der University of California in Berkeley, wie die Sprache das Denken beeinflusst und umgekehrt. Gemeinsam mit George Lakoff hat die Linguistin das Buch „Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ veröffentlicht, das inzwischen als Standardwerk zum Thema Framing gilt.

Framing, das bewusste Einrahmen, also Steuern von Sprache, ist in der amerikanischen Politik längst Alltag. Beispiele dafür gibt es allerdings auch schon in der deutschen Sprache, auch und gerade, wenn es um eine umstrittene Technologie wie die Kernkraft geht. Oder die Atomkraft?

Frage: Die Gegner sprechen von „Atomkraft“, alle anderen von „Kernkraft“. Wie kommt das?

Elisabeth Wehling: Ich gehe davon aus, dass der Begriff „Kernkraft“ von den Befürwortern stammt. Weil er vom Wort her die Sache eher verharmlost und positiv darstellt. Der Kern, die Substanz im Zentrum, ist etwas Gutes, etwas Notwendiges.

Woher kennen wir Kerne im Alltag? Traubenkerne, Fruchtkerne, also etwas sehr Natürliches. Dass viele Medien und auch viele Bürger diesen Frame so übernehmen, liegt sicher daran, dass wenig Bewusstsein darüber herrscht, dass Frames und Sprachbilder wichtig sind.

Sie haben den englischen Begriff Frame benutzt. Was bedeutet er?

Wehling: Framing bedeutet im Englischen einrahmen. Die ersten Studien dazu wurden in den 1970er-Jahren gemacht. Unter Framing versteht man heute die Sinngebung durch bestimmte Worte. Zum Beispiel, wenn ich sage „Steuerlast“.

Wenn ich also dem abstrakten Konzept der Steuer einen Frame gebe, der sie begreifbar macht als physisch-emotionale Last, von der man befreit werden kann. Die per se negativ ist. Durch sprachliche Frames werden gedankliche Frames aktiviert, und die wiederum bedingen das Entscheidungsverhalten.

Wer macht Frames? Haben Firmen Framing-Beauftragte, gibt es Framing-Arbeitsgruppen, Framing-Kommissionen? Oder passiert das mehr oder weniger zufällig?

Wehling: Sowohl als auch. In Amerika gibt es ein stärkeres Bewusstsein für Framing, es ist stärker institutionalisiert. Bei Parteien, bei Firmen und in der Werbung. In Deutschland und Europa wird das weniger professionell betrieben.

Aber Framing macht jeder. Framing greift auch dort, wo Sie ein Gespräch mit Ihrer Familie oder mit Arbeitskollegen führen. Wann immer wir sprechen, aktivieren wir Frames. Wann immer Sie ein Wort begreifen, wird dazu ein Frame aktiviert, um dem Wort überhaupt eine Bedeutung zu geben. Die Frage ist: Wie bewusst ist man sich der Frames, die man benutzt? Dieses Bewusstsein steckt in Europa noch in den Kinderschuhen, es wird aber zunehmen.

Bewusstes Framing hat ja sicherlich Ziele?

Wehling: Natürlich, man kann es mit hehren und weniger hehren Zielen einsetzen. In der Werbung, um den Menschen Dinge anzudrehen, die sie nicht brauchen. In der Politik, um die eigene Werteauffassung zu kommunizieren. Da ist es grob fahrlässig, wenn man sich über die Frames, die man benutzt, keine Gedanken macht.

Dann kann es tatsächlich passieren, dass man Worte, Frames benutzt, die der Ideologie des Gegners entsprechen oder zumindest die eigene Ideologie nicht transparent machen. Eine solche Vernachlässigung der Sprache wird dem demokratischen Auftrag nicht gerecht.

Das heißt, Sie raten jedem Politiker, sehr bewusst mit Sprache umzugehen. Bei John Kerry waren damals alle der Meinung, er habe die besseren Konzepte, aber irgendwie hat er sie nicht rübergebracht. Gewonnen hat dann doch wieder George W. Bush.

Wehling: Richtig, die Sprache muss stimmen. Oft beobachtet man eine Dissonanz zwischen Vorhaben und kommunikativer Vermittlung dieses Vorhabens. Und das ist ein Problem: Sie können nicht Politik machen und sagen, jetzt haben wir Wahlkampf, jetzt holen wir uns mal eine Werbeagentur dazu und machen ein bisschen Sprache. Das funktioniert nicht.

Framing greift auf drei Ebenen. Framing hat mit der Kommunikation in der eigenen Gruppe zu tun – wir benutzen eine Sprache, die unseren Werten gerecht wird. Dann können wir daran auch unsere Politik ausrichten. Zweitens hat Framing zu tun mit Meinungsumfragen. Wenn wir erheben wollen, was unser Mitbürger denkt, müssen wir uns die Sprache, die wir nutzen, wahnsinnig gut überlegen. Dass wir unsere eigenen Framings einsetzen und nicht die des Gegners. Und drittens die Kommunikation mit dem Mitbürger. Da muss man besonders darauf achten, dass die Sprache stimmt.

Klingt nach viel gedanklicher Arbeit.

Wehling: Framing kommt nie nach der Politik. Framing ist ein untrennbar mit dem Team und mit der Politik verbundener Prozess, der auf keiner dieser drei Ebenen vernachlässigt werden darf.

Was sind die Regeln, wenn man erfolgreich sein will? In Amerika ist es offenbar wichtig, dass man Werte wie Familie und Tradition anklingen lässt. Welche Grundstimmung müsste man in Europa anstreben?

Wehling: In der Politik geht es ja immer um die Frage, was ist richtig, was ist falsch angesichts der Fakten. Und da scheiden sich die Geister, sonst gäbe es keine unterschiedlichen Parteien. Das hat damit zu tun, dass die Menschen unterschiedliche Auffassungen davon haben, was einen guten Menschen, was gute Führung ausmacht.

Grob gesprochen, gibt es immer das eher rechte und das eher linke Lager. Das heißt, auch in Deutschland müssten die beiden Lager ihre Werte vollkommen unterschiedlich vermitteln – mit Frames, die ihre jeweilige Ideologie begreifbar machen. Und es ist tatsächlich so, dass sich Wertevorstellungen besonders gut an der Familie festmachen lassen.

Warum ist das so?

Wehling: Weil unsere ersten Erfahrungen im Leben mit Autorität, mit einer sozialen Gruppe, natürlich in der Familie stattfinden. Das heißt: Wenn wir über die Politik nachdenken, greifen wir ganz oft völlig unbewusst zurück auf Denkschablonen, die aus dem Familienleben stammen.

Wenn man über Politik spricht, ist es sinnvoller, nicht in völlig abstrakten Formen zu kommunizieren. Sondern zu sagen: Sehen Sie, in der Familie wird es auch so und so gemacht, und in der Politik sollte es nicht anders sein. Familie ist ein genereller Frame, der sich für jede Gruppe eignet.

Ich nenne Ihnen jetzt ein paar Begriffe, und Sie sagen, bitte, welche Frames diese bei Ihnen aktivieren. Erster Begriff: Störfall.

Wehling: Sie meinen Störfall im Atomkraftwerk? Also: Störfall schwächt die Sache enorm ab, klingt in keiner Weise dringlich oder gefährlich. Das ist etwas Marginales, da kümmert man sich drum, dann ist die Störung wieder vorbei. Wenn Sie Atomkraftgegner sind und große Sorge haben, was bei solchen Störfällen passieren kann, dann ist es sicher ein völlig ungeeigneter Frame.

Dabei ist das der Begriff, den die Betreiber immer vermeiden. Die reden lieber von einem „meldepflichtigen Ereignis“. Das klingt so bürokratisch, dass bestimmt viele gleich wieder aussteigen.

Wehling: Genau. Wenn Sie sich das von der Dringlichkeit her auf einer Skala von zartrosa bis knallrot vorstellen, dann wäre das „meldepflichtige Ereignis“ ein sehr zartes Rosa und der „Störfall“ vielleicht ein leichtes Rosé. Aber knallrot ist es sicher bei keinem der beiden Frames.

Nächster Begriff: Rückbau.

Wehling: Rückbau impliziert etwas Langsames, etwas Geordnetes. Es geht Schritt für Schritt. Wieder ein recht sanfter Frame. Wenn man stärker die Gefährlichkeit des Themas betonen wollte, könnte man Richtung „Abrüstung“ gehen. In eine Richtung, in der klargemacht wird, dass die Atomkraft an sich schlecht ist und dass die Betreiber jetzt dafür sorgen müssen, dass sie Schritt für Schritt wieder verschwindet. Diese Dringlichkeit ist in dem neutralen Wort Rückbau nicht gegeben.

Abrüstung kommt natürlich aus dem militärischen Kontext, aber das kann man noch verfeinern und verbessern. Das Wort muss den moralischen Grund für diesen sogenannten Rückbau kommunizieren: Da ist etwas Gefährliches, und das müssen wir gezielt und auch relativ schnell abschaffen.

Man muss manchmal also richtig knobeln, welchen Frame man einführt.

Wehling: Sie müssen sich immer die Frage stellen, wo Ihre moralische eigene Dringlichkeit liegt. Sie müssen gedanklich Abstand nehmen, von dem, was der Gegner will und tut. Denn wenn man gegen etwas argumentiert, bleibt man immer ein Stück weit im Frame des Gegners verhaftet.

Nächster Begriff: Stromtrasse.

Wehling: Sicher besser als Monstertrasse. Aber Trasse klingt gewaltig. Da wird etwas über die Landschaft drübergebaut. Für die, die das Thema eher kritisch sehen und sagen, komm, wir lassen den sauberen Windstrom in Norddeutschland, sicher ein guter Frame.

Noch ein Begriff: Energiewende.

Wehling: Das ist so eine Sache mit der Wende. Der Begriff hat sich jetzt natürlich etabliert, alle sind aufgesprungen. Da stellt sich die Frage, geht man an so einen Begriff noch mal ran? Das muss man sich mit Vorsicht überlegen. Wenn Sie mir aber sagen würden, Frau Wehling, wir haben da eine ganz tolle Idee: In Deutschland sauberen, unendlich verfügbaren Strom aus Quellen beziehen, die dadurch keinen Schaden nehmen. Wenn Sie mir das als Politiker erzählen würden, und dann würden Sie sagen, das nennen wir jetzt Energiewende, dann würden ich die Hände überm Kopf zusammenschlagen.

Das leuchtet ein – aber wieso?

Wehling: Weil in der Energiewende – wie beim Rückbau – keinerlei moralische Dringlichkeit steckt. Schauen Sie mal das Wort Wende an. Wann wendet man? Wenn man in einer Sackgasse steckt. Man bewegt sich nach hinten. Also nicht Fortschritt, sondern zurück zu etwas, was schon da war. Es impliziert auch, dass es mit der jetzigen Energie gar nicht mehr vorangeht, was ja den Tatsachen nicht entspricht. Die Frage ist doch: Will man saubere oder dreckige, sichere oder unsichere Energie? Und will man unendliche oder ständig nachzuproduzierende Energie? Und in diesem Wende-Frame findet nichts von all dem statt.

Es ist auffällig, dass Sie Begriffe, die hier durchaus kontrovers diskutiert werden, als wenig aufgeladen empfinden. Ist der deutsche Diskurs so lasch?

Wehling: Die amerikanische Politikdebatte greift sicher deftiger zu. Andererseits haben in Europa die rechtspolitischen Lager ganz tolle Frames. Da sind die linkspolitischen Gruppen ins Hintertreffen geraten. Die müssten mal die Beine in die Hand nehmen, dass sie hinterherkommen. Die sogenannten alternativen Energien hätten schon viel früher viel mehr Befürworter gefunden, wenn man sie von Anfang an sauber und korrekt im Sinne der eigenen Moral geframt hätte.

Wenn man zum Beispiel von sauberen Energien und nicht von erneuerbaren Energien gesprochen hätte. Das ist ganz klar ein Problem der eher linkspolitischen Gruppen in Deutschland. „Monstertrasse“ ist ein toller Frame. „Verspargelung“ ist ein toller Frame. „Multikulti-Wischiwaschi“ ist auch ein toller Frame. Aber das sind eben alles Frames aus dem konservativen Lager.

Das linke Lager muss also aufholen?

Wehling: Ja, und das ist auch ganz wichtig. Denn der saubere demokratische Dialog kann nur funktionieren, wenn Sie eine sprachliche Pluralität aufrechterhalten, die auch die jeweiligen Wertemuster wirklich verdeutlicht. Es ist also nicht primär ein Problem linker politischer Gruppen, es ist ein Problem der Demokratie an sich.

Zur Person

Elisabeth Wehling, 1981 in Hamburg geboren, hat dort Soziologie, Journalistik und Linguistik studiert und eine Zusatzausbildung in Kommunikationspsychologie absolviert. Für ihre Masterarbeit hat sie in Rom zum Thema Berlusconi geforscht. Danach ging sie 2007 für ihren Ph.D., also die Promotion, an die University of California in Berkeley, wo sie heute in der linguistischen Forschung arbeitet. Gemeinsam mit George Lakoff hat sie unter anderem 2009 „Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ veröffentlicht (Carl-Auer, Heidelberg), ein Buch, das inzwischen als Standardwerk zum Thema Framing gilt.

Atomkraft oder Kernkraft?
 

 
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  • U4564@gmx-ist-cool.de
    Viel passender wäre doch:
    GKW = Gefährdungskraftwerk
    VKW = Verseuchungskraftwerk
    MKW = Müllproduzierendes Kraftwerk
    TKW = Totkrankmachkraftwerk
    ... traurig
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