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Wie Sprache unser Denken und Handeln lenkt
Politisches Framing: Sind die Flüchtlinge das Problem, oder ist es der Krieg, der sie vertreibt? Oder ist es die Abschottung Europas? Die Linguistin Elisabeth Wehling erforscht, wie bewusst „geframte“, also gerahmte Sprache unsere Wirklichkeit bestimmt.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:48 Uhr

Versuchspersonen, die man bittet, an die Vergangenheit zu denken, beugen sich unwillkürlich nach hinten. Und nach vorne, sollen sie an die Zukunft denken. Sprache und wie wir sie benutzen beeinflusst unser Denken und Fühlen bis in die unbewusstesten Bereiche hinein. Das gilt auch und vor allem für politische Themen. Besonders rechtspopulistische Kräfte arbeiten erfolgreich mit sogenannten Frames: gezielt eingerahmten Begriffen, die bestimmte Stimmungen und Haltungen fördern. Wer etwa von einer „Flüchtlingskrise“ oder gar „-flut“ spricht, anstatt von einer „Vertriebenenkrise“ oder einer „Aufnahmekrise“, der verfolgt klare Absichten. Elisabeth Wehling, 1981 in Hamburg geboren, erforscht diese Mechanismen an der University of California in Berkeley. Gemeinsam mit George Lakoff hat die Linguistin das Buch „Auf leisen Sohlen ins Gehirn – politische Sprache und ihre heimliche Macht“ veröffentlicht, das heute als Standardwerk gilt. Lange war Framing vor allem ein Phänomen der amerikanischen Politik, längst ist es auch in den deutschen Debatten allgegenwärtig. Elisabeth Wehling geht darauf in ihrem neuen Buch ein, das soeben im Herbert von Halem Verlag erschienen ist: „Politisches Framing – Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht“.

Frage: Pegida und IS haben – sprachlich gesehen – mächtige Verbündete in Deutschland. Das haben Sie in einem Aufsatz geschrieben. Wie ist das gemeint?

Elisabeth Wehling: Die Rechtspopulisten in Deutschland und der sogenannte Islamische Staat haben insofern mächtige Verbündete, als dass viele Sprachbilder, die beide Gruppen nutzen, in unseren Debatten unbedacht aufgegriffen werden. Man distanziert sich zwar rhetorisch auf unterschiedliche Weise davon – spricht etwa vom „sogenannten Islamischen Staat“ – aber man greift die Sprachbilder dennoch auf, und damit aktiviert und festigt man bestimmte Assoziationen in den Köpfen der Menschen. Der Frame vom „Islamischen Staat“ ist dafür ein gutes Beispiel.

Inwiefern?

Wehling: Der Frame für diese Terrormiliz, für diese Verbrecher, lautet „Islamischer Staat“. Nicht etwa „radikal-islamistischer Staat“, und noch nicht einmal „islamistischer Staat“. Damit wird suggeriert, dass diese Gruppe und ihre Ziele für den Islam per se stehen. Menschen, die nicht den Islamischen Staat unterstützen, werden automatisch zu Ungläubigen. Das Problematische daran: Wann immer Sie einen Frame benennen, und zwar auch, wenn Sie dagegen anwettern, wird er aktiviert.

Das heißt: Die Gräueltaten der Terrormiliz werden in unseren Köpfen semantisch mit dem Islam an und für sich in Verbindung gebracht. In dem Moment, in dem Sie den Begriff nutzen, propagieren Sie diese Vorstellung. Und dass wir heute primär den „Islamischen Staat“ und nicht die „Terrormiliz ,Islamischer Staat?“ meinen, sehen Sie bereits am Artikel – „der“ IS nämlich, der Staat also, und nicht etwa „die“ IS, im Sinne von „die Terrormiliz“. Es ist beeindruckend zu sehen, wie schnell sich der Frame in unseren Köpfen durchgesetzt hat. Und durch ihn assoziieren wir den Islam zunehmend mit Gewalttaten.

Nun hat man ja kurz nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ versucht, den Namen „Daesh“ einzuführen, eine Bezeichnung, die die Terroristen selbst nicht mögen. Hat aber nicht funktioniert. Warum ist es so schwer, gegen etablierte Frames anzugehen?

Wehling: Sobald ein Frame sich im allgemeinen Sprachgebrauch – und damit natürlich auch im Denkgebrauch – etabliert hat, ist es zunächst schwer, dagegen mit Alternativideen anzugehen. Es funktioniert nur, wenn man die Wichtigkeit von Sprache erkennt und Reframings konsequent auch gegen Widerstände durchsetzt und sprachlich beibehält.

Neue Frames können dann am effektivsten etabliert werden, wenn sie ein Bauchgefühl, eine moralische Intuition und Intensität mitliefern, die der eigenen moralischen Sicht auf eine Sache gerecht wird. Das wäre hier relativ einfach zu schaffen, weil es ja tatsächlich um eine sehr brutale Angelegenheit und unsere moralische Reaktion darauf geht.

Welche Regeln wären sonst noch zu beachten, will man ein neues Framing platzieren?

Wehling: Es sollte immer ein Wort in der eigenen Sprache sein, und es sollten konkrete, nicht abstrakte Konzepte sein, denn in dem Moment, in dem Sie etwas aus dem Alltag kennen, entwickeln Frames eine besondere Wirkkraft. Das liegt daran, dass wir Worte begreifen, indem wir die assoziierten Konzepte neuronal nachahmen – und Dinge, die wir aus dem alltäglichen Umgang mit der Welt kennen, erlauben ein Höchstmaß solch neuronaler Simulation.

Die Notwendigkeit einer emotionalen Anknüpfbarkeit: Ist das die Erklärung, warum die erfolgreichsten Frames entweder verharmlosend, destruktiv oder aggressiv sind? Der Begriff „Lügenpresse“ hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Ich kenne im Gegensatz dazu keine positiven Frames.

Wehling: Emotionen sind immer nur ein Teil der neuronalen Simulation. Lassen Sie uns das Thema neuronale Simulation und einfache Sprache kurz näher beleuchten: Worte, die Ideen auf der grundlegendsten Ebene unserer Wahrnehmung, man nennt das „Basic Level Cognition“, können vom Gehirn besonders gut neuronal simuliert werden. Was bedeutet das? Worte wie Hund, Katze, Baum sind neuronal maximal sinnhaft, und zwar, weil wir sofort ein Bild vor Augen haben und etwa typische Bewegungen mit diesen Tieren oder Gegenständen in Verbindung bringen. Weil wir Gerüche assoziieren, Tastsinn, Emotionen. Alles, was sich außerhalb der Basic Level Cognition bewegt, in der Sprache und im Denken, ist aus neuronaler Sicht zunehmend sinnentleert. Das heißt: Alle abstrakten Worte, die Dinge bezeichnen, die wir nicht anfassen, schmecken, riechen können, sind ein Problem in der politischen Kommunikation.

Also je einfacher desto besser?

Wehling: Absolut. Und ich meine, dass populistische Gruppen da oft ein bisschen tiefer ins Fass greifen, was die sogenannte einfache Sprache betrifft, während andere politische Akteure diese Form der Kommunikation vernachlässigen und sogar belächeln, weil sie eben nicht komplexe Zusammenhänge auf einer abstrakten Ebene darstellt. Aber genau da liegt das Problem: Die einfache Sprache ist diejenige mit der meisten Bedeutung für den Menschen. In dem Moment, wo Sie sich als Politiker davon wegbewegen – und das ist aus meiner Sicht ein Problem bei vielen großen Parteien –, argumentieren Sie neuronal sinnentleert und knüpfen nicht an die alltägliche Erfahrungen, Emotionen und Wertvorstellungen der Menschen an. Dabei müssen es gar nicht Worte sein, die besonders aggressiv oder angsteinflößend sind, wie es in rechtspopulistischen Diskursen oft der Fall ist. Es können auch positive Emotionen sein, wie Hoffnung, Freude oder Geborgenheit. Dass Rechtspopulisten sich stark im Bereich von Zorn, Wut und Angst bewegen erklärt sich aus ihrer Ideologie.

Heißt das, dass Menschen, deren Weltbild stark vereinfacht ist, sich leichter tun, einfache Frames zu schaffen?

Wehling: Das trifft ein stückweit zu. Je mehr Schwarz/Weiß-Denken einer Ideologie innewohnt, desto mehr finden Sie auch die Dichotomie von Gut und Böse in der Kommunikation. Was wir aus der Ideologieforschung wissen: Ein Aspekt rechtspopulistischen Denkens ist die Vorstellung, dass es ein objektives Richtig und Falsch gibt und sich Menschen entsprechend kategorisch in gut und böse einteilen lassen. Das ist in der eher progressiven Ideologie aufgehoben, die Empathie, Offenheit und systemische Ursachen gesellschaftlicher Phänomene hervorhebt. Das bedeutet nicht, dass man progressive Werte nicht mit einfachen Begriffen kommunizieren kann. Es mag hier und dort einmal schwerer sein, denn Sie bewegen sich teils in komplexen Sichtweisen auf die Welt. Es ist aber beileibe nicht unmöglich.

Sie leiten daraus die Forderung an die Politik ab, komplexe Sachverhalte einfach und ordentlich zu framen.

Wehling: Richtig. Und das ist weniger schwer, als man meinen mag. Nehmen wir zum Beispiel das Flüchtlingsthema. Man kann es in einem Frame diskutieren, der die Nation als einen begrenzten Raum begreifbar macht, der jetzt von Flüchtlingswellen überflutet wird. Es mangelt uns an Platz, wir brauchen eine Obergrenze. Dieser Frame konzentriert sich darauf, wie viele Menschen zu uns kommen und ob wir „Raum“ – also Ressourcen – für sie haben. Alternative Framings könnten priorisieren, dass Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden und Schutz suchen. Diesem Frame würde der moralische Appell an Europa innewohnen, Schutz zu gewähren. Wir sprechen von der Flüchtlingskrise aber kaum von der Vertriebenenkrise oder der Aufnahmekrise oder dem Mangel an Schutz-Infrastruktur. Sie merken: Mit den letzten Begriffen bewegen wir uns hin zur progressiven Perspektive, die hier ebenso einfach darstellbar ist wie ihr Gegenstück, aber andere moralische Aspekte der Situation hervorhebt.

Sie zeigen in Ihrem neuen Buch, wie unser Gehirn mit Sprachinformation umgeht. In einer Studie lesen zwei Gruppen von Probanden unterschiedliche Texte. Einer ist neutral, im anderen ist viel von Alter und Gebrechlichkeit die Rede. Nach Ende der Lektüre bewegen sich die Probanden der zweiten Gruppe deutlich langsamer und unsicherer als die anderen. Ich finde es höchst beunruhigend, wie Sprache uns nicht nur im Politischen, sondern bis in unsere kleinsten unbewussten Gesten beeinflusst. Wie geht man mit so was um?

Wehling: Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, man macht sich demgegenüber blind und geht weiterhin davon aus, dass Sprache ein Apparat außerhalb unseres Körpers ist. Zweitens, man macht sich bewusst, wie sehr Sprache uns im Alltag beeinflusst. Ändern kann man das natürlich nicht, aber man kann – und sollte – bewusster damit umgehen. Wenn es um Politik geht, aber natürlich auch in anderen Bereichen: Familie, Karriereentscheidungen, Gespräche im Beruf. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Sprache nur ein Faktor in unserem Verhalten und unserer Wahrnehmung ist. Andere Faktoren sind Bilder, Gerüche, Berührungen und so weiter. Auch diese Erfahrungen aktivieren Frames.

Eines Ihrer letzten Bücher hieß „Auf leisen Sohlen ins Gehirn“ – was zur Zeit in der Politik passiert, ist alles andere als leise, in Europa wie in den USA mit Donald Trump. Das ist brachiales Getöse. Was ist denn da passiert, warum wird Sprache plötzlich nur noch als Keule benutzt?

Wehling: In den USA gibt es mit Trump eine rechtspopulistische Enthemmung, aber das ist kein neues Phänomen. Neu ist, dass das jemand tut, der tatsächlich Aussicht darauf hat, Kandidat der Republikaner zu werden. In vergangenen Wahlkämpfen haben andere Personen in der Partei die reißerische Rolle übernommen. Ein George W. Bush war vielleicht noch zu vorsichtig, bestimmte Themen in den Mund zu nehmen, aber Vertreter der rechten Flügel der Republikaner taten es – mit dem vollen Bewusstsein, dass sie es nie zum Kandidaten schaffen, aber mit dem klaren Ziel, rechtsideologisches Gedankengut in die Debatte einzubringen, sodass die hauptsächlichen Kandidaten es nicht mehr tun müssen.

Dass jetzt Trump als Spitzenkandidat selbst in extrem rechtspolitischen Gefilden argumentiert, ist ein neues Phänomen, und es spricht Bände darüber, wie die amerikanische Gesellschaft sich über die Jahre hinweg zum Teil in eine intensive Rechtsaußenideologie hineindiskutiert hat. Denken Sie nur an rassistische Polizeigewalt, denken Sie an Abtreibungsverbote und Grundwasservergiftung durch Großkonzerne. Politisch und gesellschaftlich herrscht in den USA zum Teil ein erschreckend harsches Klima.

Droht uns diese Enthemmung auch in Europa?

Wehling: Das muss man differenziert sehen. Beim Diskurs um das Flüchtlingsthema gibt es eine klare sprachliche Enthemmung. Pegida und AfD – alleine, dass die Diskussion über den Schusswaffengebrauch an der Grenze überhaupt geführt wird, egal, wie man die Frage dann politisch beantwortet, ist schon ein deutliches Zeichen dafür, wo wir im Moment stehen.

Wie könnte man diesen Strudel durchbrechen?

Wehling: Ein schnell umsetzbares Dagegenhalten läge schon darin, solche Ideen nicht ständig aufzugreifen und gegen sie anzuargumentieren. Damit müsste Schluss sein, und dann müsste man eigene moralische Perspektiven auf die Thematik noch deutlicher kommunizieren.

Können Sie Gründe für diese Enthemmung ausmachen?

Wehling: Nun, zum einen liegt es am sogenannten Terror-Management. Das Konzept stammt aus der Sozialpsychologie: Wann immer Sie einer Gesellschaft Angst machen, bewegt sie sich nach rechts, hin zum Konservativen. Und Terror, also implizite Todesangst, kann durch allerlei Dinge aktiviert werden – Attentate, Terrorwarnungen, nebulöse Äußerungen der Politik zu Gefahrenlagen und so fort. Nun, und in dem Moment, in dem Sie ein Klima der Angst geschaffen haben, greifen die Prinzipien des Terror-Managements, inklusive des gesellschaftlichen Rechts-Rutsches.

Ich habe das Gefühl, dass die Gegenseite ratlos ist und dem nichts entgegenzusetzen hat.

Wehling: Das ist ein stückweit wahr, und zwar weil man sich sprachlich – und damit gedanklich – in die falschen Frames einkauft. Hier ist ein Beispiel: Sobald Sie eine Diskussionsrunde zum Thema „Ist das Boot voll?“ haben, nutzen Sie einen Frame, der suggeriert, unsere Nation befände sich in latenter Todesgefahr. Wieso? Ein Boot auf offener See, das zu viele Passagiere an Bord nimmt, sinkt. Sobald Sie in diesem Frame mitdiskutieren, propagieren Sie den Frame, und das ist natürlich ein grober Fehler der eher linkspolitischen Kräfte.

186223952       -  Jedes Wort, das wir verwenden, setzt in unserem Gehirn Prozesse in Gang, die uns meist nicht bewusst sind.Begriffe wie „Krise“ oder „Welle“ etwa sollen eine lebensbedrohliche Gefahr suggerieren.
Foto: DPA/THINKSTOCK/BISCAN | Jedes Wort, das wir verwenden, setzt in unserem Gehirn Prozesse in Gang, die uns meist nicht bewusst sind.Begriffe wie „Krise“ oder „Welle“ etwa sollen eine lebensbedrohliche Gefahr suggerieren.
 
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