Wer war Eduard Wirths? Der Mediziner, der 1909 in Geroldshausen geboren wurde, war SS-Mann und der verantwortliche Standortarzt in Auschwitz, der Vorgesetzte des berüchtigten Josef Mengele, ein Nazi. Dass sein Name in seinem Heimatort im Landkreis Würzburg heute noch auf einem Kriegerdenkmal eingemeißelt ist, sorgt für große Empörung. Nun soll die Inschrift entfernt werden.
Der Fall treibt um. Warum wurde ein Heiler zum Mörder? Wie konnte der Arzt gegen seinen Hippokratischen Eid handeln? Weshalb distanzierte er sich nicht von dem verbrecherischen System? Wie konnte Wirths einerseits liebevoller Familienvater sein, andererseits ein SS-Mann, der andere Familienväter, Frauen, Kinder an der Rampe in Auschwitz in den Tod schickte oder Versuche durchführte – als wären Menschen lediglich Material, das man nach Belieben benutzen kann?
Dr. Thomas Schmelter, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Mitglied im Komitee Würzburger Friedenspreis, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Verhalten von Ärzten in der NS-Zeit.
"Wenn sich unfassbar schreckliche Dinge nicht wiederholen sollen, wenn man präventiv sein möchte, dann ist es sinnvoll, die Bedingungen zu verstehen", sagt der 68-jährige Würzburger. Er spricht von "Psycho-Logik": "Warum hat etwas funktioniert?"
Schmelter ist überzeugt: "Wenn ich es bei der allzu berechtigten Empörung belasse, wie jetzt zum Beispiel in Geroldshausen, hinterfrage ich nicht, welche individuellen und gesellschaftlichen Prozesse dorthin führen." Doch gerade das Hinterfragen solcher Prozesse sei wichtig – auch oder gerade heute im Hinblick auf wieder zunehmenden Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Das sei die andere, oft schwierigere Erinnerungsarbeit.
Schmelter war viele Jahre am Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck (Lkr. Schweinfurt) tätig und hat maßgeblich dessen Geschichte aufgearbeitet. In der früheren Heil- und Pflegeanstalt waren etliche Patienten während der NS-Zeit zwangssterilisiert und als "Euthanasie"-Opfer in den Gaskammern der Nazis in den "Gnadentod" geschickt worden.
Für Schmelter ist der Arzt Eduard Wirths – psychologisch gesehen – ein interessantes Beispiel - "als monströser Nazi-Täter, aber auch, weil er bei den Auschwitz-Häftlingen wegen seines Verhaltens ihnen gegenüber teilweise respektiert wurde". Der Geroldhausener galt offenbar als "guter Arzt". Zugleich soll er oft geklagt haben, wie schwer ihm seine Arbeit im Konzentrationslager Auschwitz fällt. Dennoch blieb er dort. Wie kommt es zu diesen Widersprüchen?
Eine Grundvoraussetzung für verbrecherische Regimes sei, "dass es Menschen erster und zweiter Klasse geben muss", sagt Schmelter. Für die Nazis waren dies die Juden, Sinti und Roma, ebenso Behinderte und Geisteskranke, die lediglich als "lebensunwert" galten. "Wenn ich wirklich glaube, dass jemand minderwertig ist, dann fällt es relativ leicht, mit dieser Person anders umzugehen", so Schmelter.
Als zweiten Schritt brauche jemand wie Wirths eine Bezugsgruppe, die diese Vorstellungen und die Ideologie vertritt und der er sich zugehörig fühle. Diese Zugehörigkeit, erklärt der Psychiater, bedeute psychische und soziale Vorteile, Status und Anerkennung - und hebe den Angehörigen der Gruppe über die als minderwertig Definierten heraus.
Wirths habe den nationalsozialistischen Rahmen akzeptiert – mit den entmenschlichten Auschwitz-Bedingungen. Selbstbeschwichtigung sei seine Strategie gewesen, so Schmelter: "Es ist schlimm, aber für das Große und Ganze muss es sein." Mit dieser Haltung habe Wirths die Mordmaschinerie aktiv mitbedient, "auch wenn er in den Briefen an seine Frau schilderte, wie quälend er dies erlebte".
Das bringt laut Schmelter die Pole im Wesen von Wirths zusammen. Er habe ein tödliches System akzeptiert – und sich Entlastung verschafft, indem er ärztliche Standards einhielt und sich dabei "anständig" fühlte. "Er hat sein Gewissen durch Gewissenhaftigkeit ersetzt", sagt Schmelter. So habe Wirths seine "gute Seite" mit der "grässlichen Täterseite" vereint.
Der Würzburger Psychiater bezieht sich in seiner psychologischen Analyse auf den US-Amerikaner Robert Jay Lifton, der über "Ärzte im Dritten Reich" schrieb und die Forschungsrichtung der "Psychohistorie" begründete. Der Psychiater hatte Ende der 1970er Jahre etliche Nazi-Ärzte interviewt, denen er Anonymität zugesichert hatte.
In seiner Studie bezieht sich Lifton auch auf Eduard Wirths, der im September 1945 an den Folgen eines Suizidversuchs gestorben war. "Lifton hat anhand von Selbstzeugnissen und Quellen herausgearbeitet, welche Entlastungsstrategien Wirths anwendete, um mit dem Leben in Auschwitz zurecht zu kommen – und eben nicht mit Auschwitz und der NS-Ideologie zu brechen", sagt Schmelter.
Auch zwei Verwandte des SS-Arztes hatte Lifton befragt. Im Interview im Film „Wenn Ärzte töten“ von 2009 spricht der US-Forscher davon, dass Wirths menschliche Seite dagegen ankämpfen konnte, in der mörderischen Umgebung von Auschwitz unterzugehen. "Aber der glühende Nazi in Wirths konnte seine Unterwürfigkeit unter das Nazi-System einfordern und ihn zum geschicktesten und effektivsten Nazi-Arzt werden lassen", so Lifton.
Die Fähigkeit des menschlichen Selbst, sich in zwei nahezu unterschiedliche Teile zu spalten, die für ihr Handeln verantwortlich bleiben, nennt Lifton "Doppelung". Schmelter sagt über Wirths: "Das Nazi-Selbst hat das vorbestehende Selbst in Dienst genommen, um es zu schaffen, sich an Auschwitz anzupassen." Das Leben als Ehemann und Familienvater habe so dazu beigetragen, "in der Mordmaschinerie weiter zu funktionieren".
Pläne für eine Tagung zu Eduard Wirths?
Nach der Berichterstattung dieser Redaktion über den Fall Wirths hat sich Thomas Schmelter an den Bürgermeister von Geroldshausen, Gunther Ehrhardt, gewandt. Dessen Pläne, eine Tagung zu organisieren, bei der alle Seiten des NS-Arztes beleuchtet werden, findet Schmelter gut. Das sei konstruktive Erinnerungsarbeit: "Eine Brücke in die Vergangenheit und gleichzeitig ein nach vorne Erinnern." Es gelte zu fragen, was heute persönliche und gesellschaftliche Bedingungen für Ausgrenzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind, ist der Würzburger überzeugt.
Ja was denn sonst bei folgender Freiwilligkeit.
"Im Mai 1933 wurde er Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.139.549) und der SA.Wirths wechselte Anfang Oktober 1934 von der SA zur SS" aus Wikipedia
Da stellt sich doch gar keine Frage mehr. Der wusste von Anfang an was er wollte, Beteiligung am Erfolg der Gewaltherrschaft.
Der Plan hat dann ja auch bestens funktioniert, bis zum Endsieg halt.
Bei der Aufzählung lebensunwerten Lebens wurden leider die Rosa-Wimpler nicht genannt.
Und so setzt sich die Geschichte fort;
die Menschen erster Klasse kriegen das Sakrament der Ehe gespendet,
die Menschen zweiter Klasse erhalten
nicht mal einen einfachen Segen
für ihren Lebensweg.
Wo das so gehandhabt wird?
Sorry, den Namen dieser globalen Organisation habe ich mittlerweile
leider vergessen.
der wollte Karriere machen "um jeden Preis" und hat dann seinen Mantel nach dem Wind gehängt.
Das Ganze ist und bleibt ein Lehrstück für alle die da glauben Faschismus (bzw. andere - populistische - Unrechtsregimes) wären überwunden.
Sind sie nicht.
Und das "Umkippen" geht schnell - s. Türkei oder Trump-USA.
Die zivilisierte Tünche über solchen unmenschlichen Verhaltensweisen ist dünn. Sehr dünn.
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/historiker-ueber-kz-arzt-wirths-er-war-niemand-der-nichts-wusste-art-10577323
Zitat Dr. Thomas Schmelter "Er hat sein Gewissen durch Gewissenhaftigkeit ersetzt"
Wenn man sich die akkurat gepflegten und vielfach noch vorhandenen Aktenberge anschaut die zur Zeit des Nationalsozialismus über jegliche Abscheulichkeiten angelegt wurden kann man sich genau dies Vorgehen bei vielen Tätern gut vorstellen.
Dr. Schmelter setzt den Meißel bei tradierten und faul-verkrusteten Denkfehlern an.
Denn „die Nazis“ waren nicht fremde Monster, die im Deutschen Reich die Macht erschlichen haben.
Die Nazis kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie hatten für ihre monströsen Irrtümer und Verbrechen die aktive Zustimmung vieler Menschen in diesem Land.
Ihr bösartigster Irrtum, es gebe minderwertige Menschen, hat in manchen Köpfen bis heute Bestand.
Am Ende des MDR-Beitrags vom 24.01.2021 betont Dr. Stefan Hördler (Inst. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Uni Göttingen)
„Aber vielleicht ist es gerade deshalb umso wichtiger, sich mit diesem Teil der Geschichte kritisch auseinanderzusetzen, um auch zu verstehen, dass der Nationalsozialismus – und das ist ein extrem wichtiger Fakt! – eine Zustimmungsdiktatur war. Eine Diktatur, die vom Großteil der Bevölkerung getragen worden ist.“
https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-485676.html
8:18-8:33min.
Nie darf diese schreckliche Epoche ,Deutschlands schwärzeste Zeit je vergessen werden... dabei geht es keinesfalls um Schuldzuweisung ,sondern um Erinnerungu.die Hoffnung u.die Vorsoge,das so etwas nie wieder passieren darf...die Stadt läutet auch am 16.März die Glocken..sollten wir dieses Gedenken an den Unterang unserer Stadt somit " Auch ruhen lassen " ?
da müsten ja zig 1000 Namen rausgemeiselt werden.zum andern sollte man dieses kapitel
NS zeit einlich mal ruhen lassen,es gibt in der Jetzigen zeit wichtigeres
...hat ihre Bemerkung mit der Artikelfrage "Warum wurde ein Arzt zum Mörder? " zu tun?
Gerade in der jetzigen (Pandemie) Zeit ist doch die Bewertung einer derartigen Entwicklung besonders wichtig!
Aus Frustation über die momentane Konzeptlosigkeit unserer gewählten Politiker werden immer mehr Menschen den lauten Schreiern von Quer- und Nichtdenkern zuhören und folgen.
Die Union wird die Quittung für dieses Lavieren bei den nächsten Wahlen bekommen.
Ich hoffe nur, das Koalitionen in den Ländern (und im Herbst im Bund) zustande kommen, die Extreme sowohl von rechts als auch von links n i c h t stärken!
als die Erinnerung an dieses Horrorregime im sogenannten 3.Reich wach zu halten.
An den Querulanten Demos erkennt man doch, dass völlig falsche Vergleiche der heutigen Zeit mit der NS - Diktatur gezogen werden. Wer wirklich informiert ist stellt keine solchen Vergleiche, wie die berüchtigte Jana aus Kassel an.
Und nein, es stehen sicher nicht Tausende solcher Verbrecher wie Wirths auf Tafeln zum Gedenken an die Gefallenen. Normale zur Wehrpflicht gezwungene Soldaten kann man nicht mit so einem Verbrecher gleich setzen, das wäre eine unverschämte Unterstellung. Dieser Name hätte nie auf die Gedenktafel gedurft, denn er war keiner Kriegsgefangenschaft ausgesetzt. Vielmehr hat er sich feige, wie viele führende Nazis einem Gerichtsverfahren entzogen.
Ich meinte natürlich dass dieser Dr. keiner Kriegsgefahr ausgesetzt war, er war ein führender Kopf in diesem Verbrecherregime, die setzten sich keiner Gefahr aus.