
Es handle sich zwar "nur um eine Kündigung", sei "aber kein normaler Fall". Mit dieser Feststellung läutete der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht in Nürnberg eine neue Runde im Streit zwischen dem Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und zwei entlassenen Medizinern ein. Dabei wurde klar, wie tief die Gräben zwischen der Uniklinik auf der einen und einer leitenden Ärztin sowie ihrem Vorgesetzten auf der anderen Seite sind. Die Hängepartie geht vorerst weiter.
Das Nürnberger Gericht beschäftigte sich mit der Kündigung der genannten Ärztin, die im August 2023 bei der Einleitung einer Operation einer Patientin ein Mittel zur Blutdruckstabilisierung nachgespritzt hatte. Weil sie das eigenmächtig am zuständigen Anästhesisten vorbei getan haben soll, wirft ihr das UKW vor, ihren Kompetenzbereich überschritten zu haben. Die Patientin war im weiteren Verlauf der OP gestorben.
In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Würzburg im September 2024 der Klinik recht gegeben und die Kündigung bestätigt. Nun kam es in Nürnberg zur Berufungsverhandlung.
Vorwurf: Eigenmächtig am Anästhesisten vorbei ein Blutdruckmittel gespritzt
Unstrittig war dort inzwischen der Ablauf der Ereignisse im August 2023: Die Patientin kommt per Rettungshubschrauber als Notfall an die Uniklinik. Ein Anästhesist und eine Anästhesiepflegekraft leiten die Narkose ein.
Auf einer Kanüle am linken Arm der Patientin steckt unter anderem eine Spritze mit zwei Milliliter Akrinor. Das Mittel wird in der Notfallmedizin und der Anästhesie eingesetzt, um bei Bedarf den Blutdruck zu erhöhen.
Die erste Dosis von 0,5 Milliliter ist gespritzt, als die Ärztin, die die Operation leiten soll und nun gegen ihre Entlassung kämpft, den Vorbereitungsraum betritt. Plötzlich schlägt der Überwachungsmonitor Alarm. Blutdruckabfall.
Vor diesem Hintergrund beruft sich die Ärztin vor Gericht in Nürnberg auf einen Notfall: Anästhesist und Pflegekraft sind im Moment des Alarms mit anderen Maßnahmen beschäftigt. Man müsse etwas tun, sagt die Ärztin. Der Anästhesist antwortet: "Akrinor steckt schon." Das Arbeitsgericht Würzburg sah darin keine Anweisung an die Ärztin. Sie verabreicht dennoch die restlichen 1,5 Milliliter Akrinor aus der Spritze, worauf der Blutdruck der Patientin nach oben schnellt.
Laut einem Privatgutachten, das die Medizinerin in Auftrag gegeben hat, war die Injektion des Kreislaufmittels zu diesem Zeitpunkt "zwingend notwendig und duldete keine Verzögerung". Doch so einfach ist die Sache nicht, befand das Nürnberger Gericht. Denn zur angemessenen Dosierung schweigt das Gutachten.
Akrinor muss eigentlich in Einzeldosen von 0,5 Millilitern alle 30 Sekunden injiziert werden. Sie habe das Mittel "nicht im Vorbeigehen", sondern "langsam gespritzt", betonte die Ärztin nun vor Gericht. Währenddessen habe sie auf dem Überwachungsmonitor den Blutdruck der Patientin überwacht.
Teils hitziger Schlagabtausch im Gerichtssaal
An dieser Stelle wurde es ein erstes Mal unruhig im Gericht. Während die Juristen versuchten, Wirkweise und Wirkdauer des Blutdruckmittels zu verstehen, kommentierte der ebenfalls entlassene Vorgesetzte der Ärztin im Zuschauerraum flüsternd das Geschehen, murmelte Antworten auf Fragen, die sich die Juristen stellten. Gleichzeitig meldete sich aufgeregt mehrfach ein Notarzt und leitender Qualitätsmanager des Uniklinikums zu Wort, der auch zwischen den Prozessbeobachtern saß – bis ihm der Richter klarmachte, dass er nicht Teil der Verhandlung sei und damit kein Rederecht habe.
Geradezu hitzig wurde es, als die Frage aufkam, ob die Akrinor-Gabe durch die Ärztin das Leben der Patientin gerettet oder ihren späteren Tod mitverursacht habe. Schließlich habe die Medizinerin beim Betreten des Vorbereitungsraumes gar nicht wissen können, was, wann und wie viel schon gespritzt wurde, betonte der Anwalt des UKW. Als sich die Medizinerin gegen einen Zusammenhang zwischen der Injektion und dem späteren Tod der Frau wehrte, rief ihr ein Klinikvertreter mehrfach die Frage entgegen: "Lebt denn die Frau noch?"
Für das Gericht ging es aber rein um die Frage nach einem arbeitsrechtlichen Verstoß. Und einen solchen erkannte der Vorsitzende Richter sehr wohl: Hätte der Anästhesist die Ärztin zum Spritzen des Mittels aufgefordert, hätte er eine "Dosierungsanweisung" mitgegeben, argumentierte er. "Die hätte dann lauten müssen '1,5 Milliliter' oder 'der ganze Rest', was unwahrscheinlich ist."
Und wenn er eben nur "Akrinor steckt schon" gesagt habe, hätte die Ärztin "nachfragen müssen", wie viel sie verabreichen solle. "Es bleibt bei einer Kompetenzüberschreitung", so der Richter. Ob diese für eine Kündigung reicht, sei eine andere Sache.
Rat des Richters: Einvernehmlich einigen – nichtöffentlich im Güterichterverfahren
Er empfahl beiden Parteien, sich doch noch einvernehmlich zu einigen und riet zu einer Güterichterverhandlung. Dabei könne unter Ausschluss der Öffentlichkeit die verfahrene Lage besprochen und eine Lösung gesucht werden.
Während die Uniklinik Würzburg dem Vorschlag "aufgrund der Komplexität des Falles" zustimmte, lehnte die Ärztin zunächst ab. Sie übe ihren Beruf "mit Leib und Seele" aus und wolle an die Uniklinik zurück. "Sehr bald" wolle sie ihre Tätigkeit dort wieder aufnehmen. Sie sei überzeugt, dass eine Rückkehr möglich sei und sich "die Dinge wieder stabilisieren" – was der Klinik-Anwalt für abwegig hielt.
Auch der Richter sah das nach der rund vierstündigen Verhandlung und in Kenntnis der massiven Verwerfungen an der Klinik anders als die Klägerin. "Ich denke, dass Sie im Klinikum nicht mehr auf einen grünen Zweig kommen. Sie sollten sich geistig von diesem Arbeitsverhältnis lösen", empfahl er der Medizinerin, deren Anwalt nun doch die Möglichkeiten einer Einigung ausloten soll.
Die gekündigte Ärztin, das wurde deutlich, kämpft um ihre berufliche Reputation. Ihr sei bereits ein Schaden entstanden, sagte sie. Der Richter versuchte eine Brücke zu bauen und skizzierte ihr einen möglichen gesichtswahrenden Abgang: Die Klinik zieht die Kündigung zurück, zahlt statt einer Abfindung noch ein paar Monatsgehälter und die Ärztin kündigt dann selbst. In der öffentlichen Sitzung kam ein solcher Deal nicht zustande.
Staatsanwaltschaft Würzburg ermittelt auch zur diskutierten OP vom August 2023
Sollte es auch weiter nicht zu einer solchen Einigung kommen, könnte sich der Rechtsstreit laut Landsarbeitsgericht mit einem Berufungsurteil im Mai entscheiden. Diese Terminierung bietet eine gewisse Dramatik: Denn ebenfalls im Mai könnte das parallel laufende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Würzburg einen entscheidenden Schritt vorwärtskommen.
Dann sollen Gutachten zu 22 Operationen vorliegen, an denen die beiden Mediziner maßgeblich beteiligt waren und bei denen es zu Kunstfehlern oder Fehlverhalten gekommen sein könnte. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung für die beiden Mediziner.
Die Gutachten hat die Staatsanwaltschaft Würzburg in Auftrag gegeben. Seit Frühjahr 2024 ermittelt sie losgelöst von den Arbeitsgerichtsprozessen gegen die zwei Ärzte. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Ein anonymer Hinweisgeber hatte im Januar 2024 eine Liste mit 22 Eingriffen an die Polizei gegeben.
Wie die Staatsanwaltschaft Würzburg gegenüber dieser Redaktion bestätigt, ist auch die OP mit tödlichem Ausgang vom August 2023 Teil der strafrechtlichen Ermittlungen. Vor dem Landesarbeitsgericht hatte die Ärztin auf Nachfrage des Richters erklärt, dieser für den arbeitsrechtlichen Prozess relevante Eingriff sei nicht Teil der Ermittlungsakte.
Das ist kein Widerspruch. Nur weil "strafrechtliche Ermittlungen" stattfinden, müssen sich diese nicht in einer vorgelegten Ermittlungsakte finden.
Selbstverständlich ist das eine Anweisung!
Es scheint den Juristen offenbar nicht bewusst, wie hierarchisch geprägte Befehlsketten in dynamischen Notsituationen funktionieren: knappe Anweisungen, denen ohne Widerspruch sofort nachzukommen ist.
Da wird nichts "erklärt", die Anweisung ergibt sich aus dem Zusammenhang, hinzu kommt die hohe intellektuelle Leistungsfähigkeit aller Beteiligten, im Team.
Wie hier eine Ärztin als Sündenbock an den Pranger gestellt und von einem Juristen der Institution Uniklinik vorgeführt wird, ist unsäglich und sagt sehr viel aus über Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit, sobald es um Fehlverhalten einer Institution und damit den "Ruf" geht!
Einzelne werden rücksichtslos diffamiert und persönlich angegriffen - auch wenn der "Fehler" ganz woanders liegt.
Die Antwort des Anästhesisten könnte man genau so gut als Hinweis verstehen, es werde bereits etwas getan, wie das Wörtlein 'schon' nahe legen könnte. Lassen wir, statt enthemmt zu spekulieren, die Gerichte entscheiden. So ist das hierzulande nämlich aus gutem Grund - noch - vorgesehen.
An die Redaktion: Bitte Bildunterschrift auf Deutsch übersetzen, Danke!😉
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
...."Auf einer Kanüle am linken Arm der Patientin steckt unter anderem eine Spritze mit zwei Milliliter Akrinor. Das Mittel wird in der Notfallmedizin und der Anästhesie eingesetzt, um bei Bedarf den Blutdruck zu erhöhen."....
Bei Bedarf!
Wenn also in der konkreten Situation der "Überwachungsmonitor Alarm wegen Blutdruckfall" schlägt, ergibt es keinen Sinn, auf entsprechende Aussage der Ärztin, man müsse etwas "tun", auf die offenkundige Tatsache hinzuweisen, dass am Arm eine Spritze "steckt". ...
Die einzig logische Schlussfolgerung ist daher, die Aussage des Anästhesisten als direkten Hinweis zu verstehen, dem akuten (!) Blutdruckabfall infolge Alarm durch Injektion entgegenzuwirken. Verkürzte Anweisung: "Akrinor steckt schon."
Man darf in einem Rechtsstaat auch die Arbeit von Gerichten kritisieren und diskutieren, Herr Stöckl-Manger! Gerade in Bayern! "Gerichte" sind letztlich Menschen mit Amtsgewalt, nicht mehr und nicht weniger.
Tatsache ist nämlich auch, dass die Gerichte immer wieder eine "Kumulation von Fehlleistungen" verschulden (Zitat der Vorsitzenden Richterin Elisabeth Ehrl, LG München, nachdem sie den Angeklagten Manfred Genditzki freisprach, der zuvor zweimal (!) wegen Mordes verurteilt und über 13 Jahre "zu Unrecht" in bayerischer Haft war) und schwerwiegende Entscheidungen für Dritte treffen, die mitunter deren gesamte bürgerliches Existenz und Lebensinhalte zerstört - weil Fakten schlichtweg übergangen werden oder anders "gedeutet", Richter sich bereits vor Urteil eine (falsche) "Meinung" gebildet haben...
Kennen Sie das? Sie haben ja auch eine "Meinung" zu meiner Person..
Was meinen Sie mit "heldenhaftem Streiter gegen (!?) Recht und Gesetz"....? Wer soll das sein?
Blinde Autoritäts- und Obrigkeitshörigkeit ist jedenfalls ein Problem, das bekanntermaßen vielfach wirkt....evtl. hinterfragen Sie diese einmal, angefangen bei Ihnen selbst.
Ungefragt und nur mit seiner Meinung, nicht mit einer Expertise. Da ändert auch das zitieren von Paragraphen aus den Gesetzen nichts.
Das könnte jeder, wenn er sich die Zeit dazu nehmen möchte…
Aus einer normalen Denkweise heraus: ich würde nicht dort arbeiten wollen, wo die Stimmung vergiftet ist.
Da gibts andere Möglichkeiten für den Rest der Lebens- oder Arbeitszeit…