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Faktencheck zum "Regierungsprogramm": 9 Punkte, was die AfD im Bayerischen Landtag wirklich will
Vollmundige Versprechen, doch was steckt dahinter? Von der Schulpolitik bis zu digitalen Stromzählern: Ein kritischer Blick auf die Forderungen und Pläne der AfD in Bayern.
Die AfD im Bayerischen Landtag hat gerade ein 'Regierungsprogramm' für Bayern veröffentlicht. Was steckt hinter den darin genannten politischen Forderungen und was wäre umsetzbar?
Foto: Daniel Biscan | Die AfD im Bayerischen Landtag hat gerade ein "Regierungsprogramm" für Bayern veröffentlicht. Was steckt hinter den darin genannten politischen Forderungen und was wäre umsetzbar?
Gisela Rauch
 und  Henry Stern
 |  aktualisiert: 15.07.2024 16:58 Uhr

In der vergangenen Wahlperiode war die AfD im Bayerischen Landtag tief gespalten und vor allem mit sich selbst beschäftigt. Seit der Landtagswahl ist die AfD-Fraktion nun klar dominiert vom Rechtsaußen-Flügel – und will als stärkste Oppositionspartei auch inhaltlich punkten. Selbstbewusst präsentierte die Fraktionsspitze im Januar ein vollmundig "Regierungsprogramm" genanntes Positionspapier. Neben der allgemeinen Migrationspolitik geht es um landespolitische Kernforderungen der AfD für Bayern.

Auffällig ist, dass in dem Papier weder die wirtschaftliche Zukunft Bayerns, noch die Unterstützung sozial Schwacher eine Rolle spielen – zwei zentrale landespolitische Themenfelder. Was also will die AfD in Bayern? Was verbirgt sich hinter den knappen Überschriften im Programm? Und wären zentrale Forderungen der selbsternannten "Rechtsstaatspartei" rechtlich überhaupt umsetzbar?

Eine Auswahl von Punkten aus diesem Positionspapier, die rechtlich oder politisch Fragen aufwerfen, im Faktencheck.

1. An den Schulen: Differenzierung der Schüler nach Sprachkenntnissen

In den Schulen will die AfD vor allem auf "Differenzierung" und "Leistungskultur" setzen. Laut Maria Walter, der Leiterin Abteilung Schulen bei der Regierung von Unterfranken, wird in Bayern jedoch "das Unterrichtsprinzip der Differenzierung grundsätzlich in allen Schularten und Fächern bereits seit vielen Jahren" angewendet.

Differenzierung meint hier, Lerninhalte so auf die individuellen Lernbedürfnisse einzelner Schüler oder Schülergruppen zuzuschneiden, dass die Kinder optimal gefördert werden – auch was das Deutschlernen angeht. Es bedeutet hingegen nicht, Kinder "auszusieben".

Das ist aber offenbar genau das, was die AfD will: "Kinder, die nicht oder nur schlecht deutsch sprechen, dürfen nicht länger den Lernerfolg der einheimischen Schüler behindern", erklärt die Landtags-AfD auf Nachfrage. Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen sollen demnach in allen Fächern in eigenen Klassen unterrichtet werden. 

2. Im Bildungsbereich: "Leistungskultur" zulasten von Schülern mit Behinderung

Was genau die AfD mit "Leistungskultur" als ein wesentliches Bildungsziel meint, ist nicht im sogenannten Regierungsprogramm zu finden. Dafür aber in den veröffentlichten Leitlinien der AfD-Landtagsfraktion: Unter "Leistungskultur" versteht die Partei demnach, dass behinderte Kinder nicht länger Regelschulen besuchen dürfen. "Die ideologisch motivierte Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen ist zu beenden, da eine solche Pseudointegration die Vermittlung des Lehrstoffs behindert und die Förderung der auf herkömmlichen Weg beschulbaren Kinder beeinträchtigt", heißt es dort.

Behinderte Kinder aus Regelschulen auszuschließen, würde jedoch gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen, die das Recht auf inklusive Bildung gewährt. Diese UN-Konvention ist seit 2009 geltendes Recht in Deutschland und muss von allen staatlichen Stellen umgesetzt werden.

Mehr Differenzierung in bayerischen Schulklassen? Was meint die AfD wirklich mit ihren politischen Forderungen im Bayerischen Landtag? 
Foto: Armin Weigel, dpa/ Montage MP | Mehr Differenzierung in bayerischen Schulklassen? Was meint die AfD wirklich mit ihren politischen Forderungen im Bayerischen Landtag? 

3. Für Auszubildende: Auto-Führerschein schon ab 15 Jahren

Die AfD verspricht Azubis, dass sie beim Start der Ausbildung den Auto-Führerschein erwerben dürfen und bei guten Noten bezahlt bekommen. Dies soll auch für Jugendliche ab 15 Jahren gelten, die nach der Mittelschule ihre Ausbildung beginnen. Wie das Bundesverkehrsministerium mitteilt, lässt das europäische Recht den Erwerb einer Fahrerlaubnis mit 15 oder 16 Jahren derzeit allerdings gar nicht zu.

Da das Führerscheinrecht auf EU-Ebene für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist, kann die Absenkung des Mindestalters nicht einseitig auf nationaler Ebene geregelt werden. Im Koalitionsvertrag versprechen CSU und Freien Wähler in Bayern deshalb auch nur, sich "in besonderen Ausnahmefällen" und allein für Fahrten zur Ausbildungsstätte für die Erteilung "einer Fahrerlaubnis der Klasse B ab 16 Jahren" einzusetzen.

4. Steuern und Abgaben: Abschaffung von Erbschafts- und Schenkungssteuer

Finanzpolitisch fordert die AfD-Landtagsfraktion vor allem die Entlastung von Steuern und Abgaben. Problem dabei: Viele der Vorschläge können mangels Zuständigkeit gar nicht in Bayern entschieden werden.

Dies gilt etwa für die von der AfD geforderte Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Zwar ist diese Abgabe eine "Landessteuer" und die Einnahmen fließen komplett dem Bundesland zu. Trotzdem ist der Bund für die geltende Rechtsgrundlage zuständig.

Eine Abschaffung "in Bayern", wie die AfD-Fraktion es verspricht, wäre rechtlich nicht möglich. Hinzu kommt, dass auch die Bayerische Verfassung eine Erbschaftssteuer ausdrücklich vorsieht: Sie dient laut Artikel 123 "auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern". Eine Änderung der Bayerischen Verfassung wäre nur mit Zweidrittel-Mehrheit im Landtag plus Volksabstimmung möglich.

Für eine komplette Abschaffung der Erbschaftssteuer ist im Bund keine Mehrheit in Sicht. Die Bayerische Staatsregierung klagt deshalb aktuell für eine Erhöhung und Regionalisierung der Freibeträge, um etwa das Elternhaus möglichst steuerfrei erben zu können.

Den Eigenheimbau billiger machen, wollen viele. Doch könnte Bayern die Grunderwerbsteuer tatsächlich im Alleingang abschaffen?
Foto: dpa/Montage MP | Den Eigenheimbau billiger machen, wollen viele. Doch könnte Bayern die Grunderwerbsteuer tatsächlich im Alleingang abschaffen?

5. Grunderwerbssteuer: Abschaffung für erste selbstgenutzte Immobilie

Ebenfalls keine bayerische Zuständigkeit gibt es für die von der AfD im Landtag geforderte Abschaffung der Grunderwerbsteuer für die erste selbstgenutzte Immobilie: Auch sie ist eine Landessteuer, für die der Bund den Rechtsrahmen setzt. Die Länder sind allein zuständig für die Höhe der Steuersätze. Bayern hat aktuell mit 3,5 Prozent der Kaufsumme bundesweit den niedrigsten Steuersatz.

Eine bundesweite Abschaffung der Erbschafts- sowie der Grunderwerbssteuer würde laut Bayerischem Finanzministerium in Bayern zu Einnahmeausfällen von bis zu knapp vier Milliarden Euro pro Jahr führen. Wo diese Summe eingespart werden könnte, um den Staatshaushalt wie versprochen "solide" zu führen, lässt die AfD offen.

6. Länderfinanzausgleich: Komplette Abschaffung

Ebenfalls jenseits bayerischer Kompetenz ist die von der AfD geforderte komplette Abschaffung des Länderfinanzausgleichs: "Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird", heißt es in Artikel 107 des Grundgesetzes. Für eine Änderung dieser Vorgabe bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Dies scheint allein schon durch den Finanzbedarf etwa der ostdeutschen Bundesländer, in denen die AfD aktuell viel Zustimmung erhält, wenig wahrscheinlich.

Derzeit klagt die Bayerische Staatsregierung aufgrund der überproportional großen Belastung des Freistaats gegen die aktuelle Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs. Dabei geht es jedoch um eine fairere Ausgestaltung der Solidarabgabe, nicht um dessen komplette Abschaffung.

7. Öffentlich-rechtliche Sender: Streichung der Rundfunkbeiträge

Die Abschaffung der Rundfunkbeiträge ist seit langem Leib- und Magenthema der AfD. Ob diese Beiträge – und damit wohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk – nur in einem Bundesland allein abgeschafft werden könnten, ist fraglich.

Rechtsgrundlage für die Rundfunkbeiträge ist ein Staatsvertrag zwischen allen 16 Bundesländern. Als das Land Sachsen-Anhalt 2020 eine Beitragserhöhung nicht mittragen wollte, entschied das Bundesverfassungsgericht, dass damit "die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten" aus Artikel 5 des Grundgesetzes verletzt würde. Entziehe sich ein Bundesland seiner Mitverantwortung für eine "funktionsgerechte Finanzierung" der öffentlich-rechtlichen Sender, "liegt darin bereits eine Verletzung der Rundfunkfreiheit", so die Verfassungsrichter.

Die AfD attackiert den Bayerischen Verfassungsschutz - aus durchsichtigen Motiven. Doch das bayerische Landesamt ist heute schon demokratisch legitimiert und rechtsstaatlich kontrolliert.  
Foto: Peter Kneffel, dpa/ Montage MP | Die AfD attackiert den Bayerischen Verfassungsschutz - aus durchsichtigen Motiven. Doch das bayerische Landesamt ist heute schon demokratisch legitimiert und rechtsstaatlich kontrolliert.  

8. Verfassungsschutz: Von politischer Beeinflussung unabhängig machen

Den Verfassungsschutz – von der AfD provokativ "Regierungsschutz" genannt – will die Landtagsfraktion "demokratisieren und damit von politischer Beeinflussung unabhängig machen".

Richtig ist, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) eine dem Innenministerium nachgeordnete Behörde ist. Was die Verfassungsschützer dürfen und was nicht, ist allerdings durch Bundes- und Landesrecht klar definiert – und wird auch immer wieder gerichtlich überprüft. Erlaubt ist dem Verfassungsschutz demnach die Beobachtung von "Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung" – konkret gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip sowie das Rechtsstaatsprinzip, also die Kontrolle der politischen Gewalt durch unabhängige Gerichte.

Die Beobachtung der bayerischen AfD als "Verdachtsfall" durch den Verfassungsschutz fußt deshalb nicht einfach auf einer politischen Anweisung etwa des Innenministers. Sie muss vielmehr nach den genannten Kriterien sachlich begründet sein und wird in der Regel auch gerichtlich überprüft. So sah der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Herbst 2023 gleich mehrere Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Bayern-AfD – etwa die Verletzung der Menschenwürde durch ein "ethnokulturelles Volksverständnis" sowie "Umsturzphantasien", die auch in einem internen Telegram-Chat diskutiert wurden, an dem AfD-Landtagsabgeordnete beteiligt waren.

Der bayerische Verfassungsschutz ist bereits jetzt demokratisch legitimiert und unterliegt einer rechtsstaatlichen Kontrolle durch unabhängige Gerichte.

9. Energieversorgung: Abschaffung der Solarpflicht und Pflicht zu digitalen Stromzählern

Eine Solardachpflicht gilt laut bayerischem Klimaschutzgesetz aktuell für neue Gewerbebauten und etwa Ställe –  ab 2025 auch bei Dachsanierungen. Für die AfD ein "ausschließlich auf grüner Ideologie und Lobbyismus" beruhender Zwang und "weiterer immenser Kostenfaktor für Unternehmen". Die Stromerzeugung müsse technologieoffen auch mit Atomkraft oder Erdgas erfolgen.

Die Solardachpflicht in Bayern folgt allerdings einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das auch die Bundesländer zur Erfüllung der im Pariser Abkommen weltweit vereinbarten Klimaziele zu konkreten Maßnahmen verpflichtet hat.

Mit der AfD soll es keinen Zwang zum Einbau "smarter Stromzähler" geben. Für normale Familienhaushalte gilt diese Pflicht aber ohnehin nicht: Ein neues Bundesgesetz sieht ab 2025 eine stufenweise Verpflichtung zum Einbau der digitalen Zähler nur für Stromverbraucher ab 6000 kWh vor – bei einem Einfamilienhaus geht man von einem Jahresverbrauch von im Schnitt 4000 kWh aus.

Die AfD befürchtet den Missbrauch digitaler Stromzähler, auch durch die eigene Regierung: Sie könne damit etwa mit einem "Sozialkreditsystem nach chinesischem Vorbild" bei unliebsamen Bürgern Strom rationieren, glaubt man in der Landtags-AfD. Dies dürfte in Deutschland jedoch weder politisch noch verfassungsrechtlich umsetzbar sein.

 
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  • B. Strohmenger
    Die "unabhängigen" Faktenchecks alle anderen Partei-Programme betreffend kommen sicher noch?!
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  • Edith Kram
    @GF: ich kann mich noch erinnern, als ein bayerischer Ministerpräsident vor der Wahl anfangs der 2000er verkündet hatte, dass es mit ihm keine Arbeitszeiterhöhung gibt. Wenige Wochen später wurde die Arbeitszeit explizit in Bayern von 40 auf 42 Wochenstunden erhöht.
    Heute ist dies z. B.das "verschobene" Klimageld.

    Und der Platz ist hier zu kurz, um alle Wahlversprechen und -programme aufzulisten, die niemals eingehalten wurden.

    Darum jetzt einfach alles abtun mit den Worten "außerhalb bayerischer Kompetenz" ist etwas kurzsichtig und zeugt davon, dann man (noch) nicht bereit ist, sich sachlich mit den Ideen auseinanderzusetzen.

    Aus obskuren Ideen entwickeln sich, von den richtigen Köpfen weitergesponnen, oftmals gute Lösungen.
    Auch das erste Rad war nicht rund und ohne Karl Benz könnten wir heute nicht Auto fahren usw.

    Anstatt also alles mit Polemik zu überschütten, sollte man nach Wegen und Lösungen suchen,
    damit keiner die AfD wählen muß.
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  • Norbert Meyer
    Europa soll den USA 1000 (eintausend) nichtaktive Nuklearsprengköpfe abkaufen.
    Was bedeutet das ? Kann sich jeder denken. Eine Idee eines rücksichtslosen Staates ?
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  • Andrea Priebsch
    Eine gute Entzauberung dieser rücksichtslosen Partei!
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