Ein Schüler bricht im Sportunterricht zusammen und erleidet irreversible Hirnschäden. Der Fall, passiert 2013 an einem Gymnasium in Hessen, machte in diesem Frühjahr bundesweite Schlagzeilen, als der Bundesgerichtshof (BGH) entschied: Sportlehrer sind amtlich verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten. Und sie dürfen dabei keine Fehler machen. Nur: Sind Lehrer gut genug auf Unfälle vorbereitet?
Das Urteil des BGH sei eine Art "Weckruf" gewesen, um an der Schule Fortbildungen in Erste Hilfe zu starten, sagt Kai Fabricius vom Würzburger Siebold-Gymnasium. Der Sport- und Mathelehrer ist Schulsanitäter und Ausbilder beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) und organisierte für seine Kollegen am Buß- und Bettag eine Fortbildung. Knapp 100 Kollegen machten mit und ließen sich von den BRK-Experten zeigen, wie Verbände richtig angelegt, Kollabierte in stabile Seitenlage gebracht und lebensrettende Maßnahmen durchgeführt werden.
Im Alltag "hat man schon ein bisschen Bauchweh", sagt Fabricius. Gerade im Sportunterricht "ist im Hinterkopf immer die Angst, wo muss ich aufpassen". Auch er habe schon erlebt, wie ein Schüler bei Sommerhitze auf dem Sportplatz umkippt. Der Jugendliche habe plötzlich angefangen zu zittern, wie bei einem epileptischen Anfall. Fabricius alarmierte den Notarzt.
Sportlehrer müssen in Bayern in Erster Hilfe ausgebildet sein
Ein Beispiel, dass gar nicht so selten ist. So wurden im vergangenen Jahr laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung rund 1,2 Millionen Unfälle von Schülern gemeldet und ärztlich behandelt – bei insgesamt etwa 17,6 Millionen versicherten Schülern. Dabei passierte die Mehrheit der Unglücke nicht auf dem Schulweg, sondern in den Schulen. Dort bekomme Erste Hilfe nun zwar "einen höheren Stellenwert", sagt Fabricius. Trotzdem ist eine Ausbildung nach wie vor nicht für alle Lehrer gesetzlich verpflichtend vorgeschrieben.
In Bayern gilt: Sportlehrer müssen eine Erste-Hilfe-Ausbildung haben. Von allen übrigen Lehrkräften würden "regelmäßige Fortbildungen in Erster Hilfe verlangt, um bei Schulunfällen fachgerecht Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen zu können", heißt es aus dem Kultusministerium. Momentan gebe es solche Trainings vor allem bei schulinternen Lehrerfortbildung. Eine Auffrischung "soll nach jeweils drei Jahren erfolgen".
Soll, nicht muss - aus Kai Fabricius' Sicht ist das zu wenig. Denn auch wenn fast jeder Lehrer irgendwann einmal einen Kurs gemacht habe, "war das bei vielen mit der Führerscheinprüfung – und das ist ewig her".
Ähnlich sieht es der Schulleiter des Siebold-Gymnasiums, Hansgeorg Binsteiner. Durch das BGH-Urteil "ist klar geworden, dass die Lehrerschaft verantwortlich ist". Zudem habe das Ministerium im Juni in einem Schreiben gefordert, "dass wir Schüler in Erster Hilfe unterrichten". Vor der Ausbildung der Schüler wolle man deshalb die Kenntnisse der Lehrkräfte mit Fortbildungen auffrischen. Wäre es da nicht sinnvoller, eine Erste-Hilfe-Ausbildung zwingend für Lehrer aller Fachrichtungen vorzuschreiben? "Im Prinzip ja", sagt Binsteiner. Es "müsste eine Direktive da sein, so dass Lehrer eine gewisse Sicherheit haben".
Gerhard Bleß, unterfränkischer Bezirksvorsitzender des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), erkennt hingegen keinen "zusätzlich Handlungsbedarf" – außer, die Schulleitungen auf ihre Verpflichtungen in Bezug auf Erste Hilfe "immer wieder hinzuweisen". Lehrer seien generell darauf bedacht, Risiken möglichst auszuschließen, sagt Bleß. "Es gehört zum Berufsbild, dass trotz allem Unfälle passieren können." In der Regel seien Schulen gut vorbereitet, etwa durch Schulsanitätsdienste, Erste-Hilfe-Ausbildungen für Schüler oder eben Spezialtrainings für Lehrkräfte.
Neues Angebot des BRK in Würzburg: Erste-Hilfe-Kurse für Lehrer und Trainer
Unterstützt werden sie dabei oft von erfahrenen Nothelfern von Johannitern, Maltesern oder BRK. Beim BRK-Kreisverband Würzburg bietet beispielsweise Oliver Lückhof seit Juli den "Workshop Sportunfälle" für Lehrer und Trainer an. Einmal pro Monat, zwei Stunden lang. Die Nachfrage sei groß. Lückhofs Eindruck: Viele Teilnehmer kämen im Workshop zum ersten Mal in Berührung mit dem Verbandskasten, Unwissen sei weit verbreitet. "Leider gibt es noch immer viele Hemmschwellen bei uns im Kopf, die bei der Ersten Hilfe blockieren", sagt Lückhof. Dabei sei "das einzig Falsche, nichts zu tun".