Der Fall hatte Ende vergangenen Jahres für Schlagzeilen weit über die Region hinaus gesorgt: In einem aufsehenerregenden Indizienprozess war der damalige Gemeindearbeiter und Feuerwehrkommandant aus Erlabrunn (Lkr. Würzburg) vom Amtsgericht Würzburg wegen fahrlässiger Tötung und Unfallflucht zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Der Mann war schuldig gesprochen worden, die 71-jährige Gisela K. am 5. Januar 2016 vor ihrem Haus mit dem Streufahrzeug überfahren zu haben.
Verhandlung beginnt Ende November
Aber sowohl Staatsanwaltschaft als auch der Beschuldigte waren nach dem Urteil Ende November 2017 in Berufung gegangen. Es folgten quälende Monate des Wartens für alle Beteiligten. Erst jetzt steht fest: Die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Würzburg findet zwischen 22. November und 20. Dezember statt. Das Gericht hat das Zeitfenster dieser Redaktion bestätigt, es geht von sechs bis acht Prozesstagen aus.
Staatsanwalt ermittelt gegen Zeugen
Ernste Folgen könnte die erste Verhandlung für zwei Zeugen haben, die durch merkwürdige Erinnerungslücken und Aussagen aufgefallen waren und die ihren eigenen früheren Darstellungen oder Hinweisen anderer Zeugen stark widersprochen hatten. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft äußerte den Verdacht, hier sei von den Zeugen gelogen worden. Sie hat, wie die Redaktion aus Justizkreisen erfuhr, gegen einen führenden Feuerwehrmann der Nachbargemeinde Leinach sowie gegen jenen Mann, der das Unfallopfer damals gefunden hat, eigene Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage vor Gericht eingeleitet.
Opfer-Anwalt: „Sehr belastend“
Der Witwer und die beiden Söhne der Getöteten sind Nebenkläger in dem Verfahren. „Die lange Verfahrensdauer hat sie sehr belastet“, sagt Rechtsanwalt Norman Jacob, einer von drei Anwälten auch im Namen seiner Kollegen. „Dass bis heute kein Funken der Entschuldigung an die Familie gelangt, ist nicht nachvollziehbar.“ Er betont auf Anfrage: „Es wäre sicher für die Familie meines Mandanten und das gesamte Leben im Ort förderlich gewesen, wenn das Urteil in erster Instanz akzeptiert worden wäre.“
Markantes Reifenprofil
Das zielt auf den Fahrer des gemeindeeigenen Streutraktors, der frühzeitig unter Verdacht geriet. Er bestritt von Beginn an, für den Tod der Fußgängerin verantwortlich gewesen zu sein. Dies machte umfangreiche und zeitintensive Ermittlungen notwendig. Die bestätigten, dass Gisela K. durch einen Traktor mit genau dem markanten Reifenprofil des Streufahrzeugs überrollt worden war. Der Gemeindearbeiter, der an jenem Unfalltag den Traktor gesteuert hatte und dabei von Zeugen gesehen worden war, verstrickte sich in Widersprüche. Die monatelangen Ermittlungen einer Sonderkommission der Polizei nährten den Verdacht, dass der Fahrer den Unfall mit Unterstützung williger Helfer zu vertuschen versuchte.
Widersprüche und gelöschte Handydaten
Dieser Redaktion liegt der Abschlussbericht vor, den die Polizei im August 2016 präsentierte: Demnach waren Handydaten des Angeklagten sowie weiterer Zeugen gelöscht worden. Widersprüchliche Angaben über den Weg des Streufahrzeuges wurden gemacht, wichtige Spuren am Unfallort waren von dem Beschuldigten selbst buchstäblich weggekehrt worden. Auch gab es im Amtsgericht-Prozess widersprüchliche Aussagen über Arbeitszeiten der Gemeindearbeiter, was in der Folge dazu geführt hat, dass der Bauhof mittlerweile vom zweiten Bürgermeister geführt wird und eine Stechuhr eingeführt wurde.
Anwalt: „Es gilt die Unschuldsvermutung“
Der neue Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Martin Reitmaier, warnt auf Anfrage vor einer Vorverurteilung seines Mandanten. „Für Herrn K. gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.“ Schon jetzt blieb der Fall für den Beschuldigten nicht ohne Folgen. Aufgrund der bekannt gewordenen Fakten hat er seinen Arbeitsplatz in der Gemeinde und das Amt des Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr verloren. Seinen Führerschein musste er ebenfalls abgeben. Sein Amt als Gemeinderat einer Freien Wählergemeinschaft hat er weiter inne, bleibt den Sitzungen allerdings seit der erstinstanzlichen Verurteilung fern.
Justiz: Von Schreibtisch zu Schreibtisch
Zeitlich steht das ganze Verfahren von Beginn an unter keinem guten Stern: Nachdem die Polizei im August 2016 ihre Ergebnisse präsentiert hatte, holte der damalige Staatsanwalt erst mal noch ergänzend ein Gutachten ein – wozu ihm nach unseren Informationen schon Monate zuvor geraten worden war. Dann dauerte es bis Januar 2017, ehe eine Anklage fertig war – und der Fall erneut von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben wurde.
Zuständigkeiten änderten sich
Wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes am Amtsgericht Würzburg war ein Richter nicht mehr zuständig, ein Ersatz musste gefunden werden, der sich dann erst einmal in das komplexe Verfahren einarbeiten musste. Ergebnis: Im November 2017 – fast zwei Jahre nach dem Unfall – saß K. erstmals auf der Anklagebank.
Nach der Berufung dauerte es Monate, bis die Akte ans Landgericht gelangte. Da keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht, ist der Angeklagte weiter auf freiem Fuß. Fälle mit Inhaftierten genießen Vorrang. Deshalb findet die mit Arbeit überhäufte Kammer erst in einigen Monaten einen Prozess-Termin – dann fast drei Jahre nach dem Unfall.
Was sind eigentlich die wahren Gründe für die enorme Überlastung der bayerischen Gerichte?