An diesem Freitag verneigt sich Bayern bei einem Trauerstaatsakt im Würzburger Dom vor dem Lebenswerk von Barbara Stamm. Die frühere CSU-Sozialministerin, stellvertretende Ministerpräsidentin und Landtagspräsidentin war am 5. Oktober im Alter von 77 Jahren in ihrer Heimatstadt Würzburg ihrer langjährigen Krebserkrankung erlegen.
Ein Blick auf die Stationen ihres Lebens.
Schwierige Kindheit und Jugend
Am 29. Oktober 1944 wird Barbara Stamm in Bad Mergentheim geboren. Sie wächst in den ersten Jahren in einer Pflegefamilie auf. Barbara ist acht Jahre alt, als sie plötzlich von einer ihr bis zu diesem Tag völlig fremden Frau aus der vertrauten Umgebung geholt wird: von ihrer leiblichen Mutter. Dramatische Jahre folgen, die Mutter ist mit der Erziehung überfordert, der Stiefvater gewalttätig. Immer wieder landet Barbara als Jugendliche im Heim. Einer Religionslehrerin, die sie auch finanziell unterstützt, verdankt sie schließlich, dass sie nach der Hauptschule eine Ausbildung zur Kindergärtnerin machen kann.
Erste politische Schritte
Über die katholische Jugendarbeit lernt Barbara Stamm Mitte der 1960er Jahre in Würzburg ihren späteren Ehemann Ludwig kennen. Über ihn und seine Freunde, wie den späteren CSU-Postminister Wolfgang Bötsch (1938-2017), findet die junge Frau zur Politik. Seit 1969 Mitglied in der CSU, zieht sie 1972 in den Würzburger Stadtrat ein, 1976 wird Barbara Stamm erstmals in den Landtag gewählt. Unumstritten ist ihre Kandidatur in der Männerpartei CSU damals aber nicht. Sie vernachlässige ihre Kinder, kolportieren die Gegenspieler.
Aufstieg in München
Ab 1986 stellvertretende Vorsitzende der Landtags-CSU, holt Ministerpräsident Franz Josef Strauß die Würzburgerin nur ein Jahr später in sein Kabinett – als Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit. Unter Ministerpräsident Edmund Stoiber rückt Barbara Stamm im Oktober 1994 zur bayerischen Sozialministerin auf, ab 1998 fungiert sie zudem als stellvertretende Ministerpräsidentin. Es ist der vorläufige Höhepunkt ihrer politischen Karriere, als Ministerin kann sie die Sozialpolitik an vorderster Stelle gestalten.
Niederlage und Sturz
1990 kandidiert Barbara Stamm vergeblich als Oberbürgermeisterin in Würzburg. Gegen den späteren Wahlsieger, ihren Jugendfreund Jürgen Weber (Würzburger Liste), und SPD-Mann Walter Kolbow erreicht sie nicht einmal die Stichwahl. Dabei sei die Aufgabe, Chefin im Rathaus zu sein, ihr "Lebensziel" gewesen, sagt sie später einmal. Ungleich schwerer wiegt der Abschied aus dem Ministerinnenamt. Weil Edmund Stoiber in der BSE-Krise einen Sündenbock sucht, um sich selbst aus der Schusslinie zu halten, muss Sozialministerin Stamm im Januar 2001 zurücktreten. Sie weint bittere Tränen.
Politisches Comeback
Sieben Jahre nach dem Rücktritt als Ministerin nimmt die Karriere im Herbst 2008 noch einmal Fahrt auf. Als erste Frau in Bayern wird Barbara Stamm Präsidentin des Landtags - und bleibt es bis zu ihrer Abwahl 2018. Mit ihrer warmherzigen Art genießt Stamm schnell über Parteigrenzen hinweg große Anerkennung. Sie repräsentiert den Freistaat als "Mama Bavaria". Zu Empfängen des Landtags werden nun nicht mehr nur Politiker, sondern auch Bürgerinnen und Bürger geladen, die sich sozial oder kulturell engagieren.
Das soziale Gewissen
Auch als Landtagspräsidentin bleibt Stamm stellvertretende CSU-Parteivorsitzende. Ein Amt, das sie von 1993 bis 2017 innehat. Dabei schärft sie ihr Profil als "soziales Gewissen" der CSU - auch auf Bundesebene, wo sie unter anderem die sogenannte Mütterrente durchsetzt. Ehrenamtlich ist sie von 2001 bis zu ihrem Tod Landesvorsitzende der Lebenshilfe, im Bistum Würzburg engagiert sie sich viele Jahre in der Caritas, zuletzt als Ehrenvorsitzende. Lange Jahre unterstützt Stamm auch die Kinderhilfe für Rumänien.
Fastnacht als kultureller Ausgleich
Dass Barbara Stamm feiern kann, beweist sie nicht zuletzt alljährlich bei der "Fastnacht in Franken" in Veitshöchheim. Dort wird sie über Jahre zu einer Art Maskottchen, allen voran ihr von den Gebrüder Narr besungenes "blaues Klääd". 2019 wird die Politikerin auf der TV-Bühne groß geehrt: Zum Finale erscheinen alle Künstlerinnen und Künstler in blau. Volker Heißmann singt dazu "Aber dich gibt's nur einmal für mich".
Daheim bei Familie und Freunden
Dass sie ihre Familie wegen der Politik oft allein gelassen hat, ist Barbara Stamm immer bewusst. Gleichwohl betont sie den großen Zusammenhalt mit Ehemann Ludwig (84), der den Kindern Claudia (52), Thomas (48) und Sissi (42) neben dem Vater oft auch die Mutter ist, wie sie scherzhaft bemerkt. Dass Claudia Stamm 2009 ausgerechnet für die Grünen in den Landtag einzieht, ist für die Mutter nie ein Problem. Im Gegenteil: Sie ist stolz, dass eines ihrer Kinder in die Politik gegangen ist, obwohl es erlebt habe, welche Entbehrungen der Job mit sich bringt. Ein weiterer Rückzugsort ist der Freundeskreis, mit dem sie sich regelmäßig zum Schoppen oder Schafkopf trifft.