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Würzburg
Eltern aufgebracht: Auch traumatisierte Kinder sollen Selbsttests machen
Die Testpflicht für Schüler macht einige Eltern wütend. Sie soll auch für traumatisierte Kinder gelten. Eine Mutter fürchtet, dass das bei ihrem Sohn Erinnerungen weckt.
Auch traumatisierte Kinder müssen ab Montag einen Corona-Selbsttest durchführen (Symbolbild).
Foto: Sebastian Gollnow, dpa | Auch traumatisierte Kinder müssen ab Montag einen Corona-Selbsttest durchführen (Symbolbild).
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 09.02.2024 12:42 Uhr

Für Missbrauchsopfer ist der Weg zurück in ein normales Leben zäh und mühsam. Für die Kinder, die ein Würzburger Logopäde missbraucht hat, ist er besonders schwer. Sie haben Behinderungen, können oft nicht richtig sprechen. So auch der achtjährige Marco. Seit drei Jahren kämpft seine Mutter Doris K. (Name geändert) dafür, ihren Sohn das Furchtbare vergessen zu lassen. Doch eine Weisung des Kultusministeriums könnte dafür sorgen, dass die traumatischen Erlebnisse bei Marco wieder hochkommen.

Das Ministerium besteht nämlich ab Montag auf eine Corona-Testpflicht für alle Schulkinder. Die gilt auch für Kinder mit Behinderung und missbrauchte Kinder wie Marco. Auch sie dürfen nach Ostern nur zurück in die Schule, wenn sie "einen aktuellen negativen Covid-19-Test haben, der durch medizinisch geschultes Personal durchgeführt wird", heißt es in der E-Mail, die kurz vor Ferienende ankam.

Marco reagierte verstört auf einen Testversuch

Für Missbrauchsopfer ist es aber eine Tortur, wenn mit Gegenständen in ihrem Gesicht herumhantiert wird. Das kann Erinnerungen an Missbrauchssituationen wecken: Als Marco im Herbst auf Corona getestet werden sollte, weil ein Kind in seinem Umfeld positiv war, habe er sehr verstört reagiert, erzählt die Mutter. "Er schlägt, wenn man ihm über den Mund wischt." Auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erträgt ihr Sohn nicht. Durch ein Attest des Hausarztes wurde er davon befreit.

Kinder wie Marco treffen die Corona-Beschränkungen besonders schwer. Sie verstehen nicht, dass sie andere Kinder nicht mehr treffen dürfen. Hinzu kommt noch, dass viele Therapien nicht wie sonst stattfinden können. Marco etwa hat erst durch eine Delfin-Therapie sein Lachen wiedergefunden. 

Wie ihr Kind jetzt zwei Selbsttests die Woche selbst durchführen soll, weiß Doris K. nicht. Doch genau das fordert das Kultusministerium künftig von allen Schülern. "Das setzt voraus, dass Ihr Kind in der Lage ist, diesen Test selbst durchzuführen", schreibt die Schulleitung der Würzburger Christophorus-Schule in einer E-Mail an die Eltern.

Selbst die Mutter durfte ihrem Sohn nicht den Mund abwischen

"Die Eltern explodierten förmlich, als sie den Brief bekamen", sagt Doris K.. "Für Außenstehende ist das schwer vorstellbar: Aber selbst ich habe drei Jahre gebraucht, bis ich meinem Sohn wieder den Mund nach dem Essen abwischen durfte", erzählt sie.

Sie und andere Mütter haben viel ertragen seit der Entdeckung des Missbrauchs im März 2019: Getuschel von Nachbarn und den Prozess. Die Suche nach Therapeuten, die helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Sogar die Vertröstungen von Ämtern und Vereinen, die Anfangs Hilfe versprochen hatten. Sie hat gelernt, das nicht still hinzunehmen: "Ich habe den Schulleiter gebeten, mir zu erklären, wie man so ein Kind testen soll, das kaum Gesichtsberührung zulässt", sagt sie.

Schulleiter spricht von einem "Dilemma"

Christoph Schwind, Schulleiter der Würzburger Christophorus-Schule, spricht in einem Schreiben an die Mutter von einem "Dilemma". Er habe sich schon gedacht, "dass das für viele Eltern schwierig wird". Er wisse nicht, "wie das Kultusministerium so etwas erlassen kann, ohne unsere Kinder im Blick zu haben". Dabei gebe es dort eigene Abteilungen für Förderzentren, die das Problem kennen müssten.

Die Lehrkräfte sollen – so die Anweisung des Ministeriums – keinem Kind zumuten, dass es ein Stäbchen in die Nase gesteckt bekommt, wenn es das nicht selbst tun kann. Aber "wir dürfen nur vormachen und Anweisungen geben, wie das Stäbchen zu benutzen ist", so der Schulleiter. Doch wie soll das bei Kindern mit Behinderung funktionieren, die schon mit der Koordination von alltäglichen Handreichungen Schwierigkeiten haben?

"Das Kultusministerium befasst sich bereits mit der Fragestellung"

Auf die Anfrage beim Kultusministerium in München, ob es für Kinder wie Marco keine alternative Lösung gebe, erhielt die Redaktion bis zum Freitagabend keine Antwort. Der Schulleiter versichert aber: "Das Kultusministerium befasst sich bereits mit dieser Fragestellung und wir hoffen auf eine schnelle Antwort." Der Landesverband der Lebenshilfe sei auch schon aktiv.

 
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