Die Ermittler halten einen islamistischen Hintergrund des Messerangriffs in Würzburg mit drei Toten für naheliegend. Das teilte die Generalstaatsanwaltschaft München am Dienstag mit. Dafür sprächen Zeugenaussagen, wonach der Täter zweimal "Allahu akbar" gerufen und nach seiner Festnahme von "Dschihad" gesprochen habe.
Sicher ist man sich jedoch nicht: Die Ermittlungen der Soko "Main" und der Kriminalpolizei laufen noch. Rund 130 Ermittler gehen mit Unterstützung des Bundeskriminalamts mehr als 100 Spuren nach.
Im Fokus stehen die Gegenstände, die bei dem Täter und in dessen Wohnung gefunden wurden – darunter zwei Handys, deren Inhalt noch mit Hilfe von Islamwissenschaftlern ausgewertet werden muss. Bislang seien "noch keine Hinweise auf Propagandamaterial oder sonstige extremistische Inhalte gefunden worden", hieß es.
Hinweise auf Terrormiliz und frühere Vorfälle mit Messern
Unterdessen stellt sich die Frage, ob Behörden Hinweise falsch eingeschätzt haben, die auf eine Gefahr des späteren Täters hingedeutet haben. Nicht nur, dass er im Januar 2021 in Würzburg während eines Streits Personen mit einem Messer bedroht hat: Schon 2015 soll er in einer Asylbewerberunterkunft in Chemnitz mit einem Mitbewohner in Streit geraten sein und habe dabei nach einem Küchenmesser gegriffen. Die Ermittlungen seien 2017 eingestellt worden, da "ein Tatnachweis nicht zu führen war", so die Generalstaatsanwaltschaft.
Darüber hinaus bestand schon Anfang dieses Jahres der Verdacht, dass der Somalier in seinem Heimatland Teil einer Terrororganisation gewesen ist. Wie die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dieser Redaktion bestätigte, hatte sich im Januar ein Asylbewerber bei der Polizei in Dresden gemeldet, der 2015 in derselben Unterkunft wie der spätere Täter gelebt hat. Damals will er ein Telefonat des heute 24-Jährigen mitgehört haben, in dem dieser erzählt habe, er habe in Somalia in den Jahren 2008/2009 für die Terrororganisation al-Shabaab, die dem El-Kaida-Netzwerk angehört, Zivilisten, Journalisten und Polizisten getötet.
Als die Bayerische Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus davon erfuhr, übergab sie den Sachverhalt zur Überprüfung an den Generalbundesanwalt. In Karlsruhe habe man allerdings "mangels konkreter Tatsachen" von einem Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgesehen – zumal der Beschuldigte zum angeblichen Tatzeitpunkt erst elf oder zwölf Jahre alt und damit strafunmündig gewesen war. Nun wollen die Ermittler dem Hinweis noch einmal nachgehen.
War der Täter Kindersoldat?
Wie die Generalstaatsanwaltschaft weiter mitteilt, spielte al-Shabaab auch im Asylantrag des Mannes im Mai 2015 eine Rolle: So habe er diesen damit begründet, dass er von der Terrororganisation in Somalia "verfolgt und bedroht werde".
Erst Mitglied, dann Gejagter der Terrormiliz – ein Widerspruch? Nur scheinbar. Unicef und Human Rights Watch weisen seit Jahren darauf hin, dass al-Shabaab Kinder für ihren Krieg gegen die somalische Regierung zwangsrekrutiert. Terrorismusexperte Peter Neumann hat Somalia im Jahr 2013 besucht und dabei auch mit mutmaßlich ehemaligen Kindersoldaten gesprochen. Seiner Einschätzung nach sind "die allermeisten Kindersoldaten in Somalia nicht ideologisch radikalisiert, sondern kamen durch Versprechen, Bezahlung und manchmal auch durch Zwang in die Gruppe". Neumann weiter: "Es ist aber sehr gut möglich, dass sie traumatisiert sind und ihre Taten als Mitglieder der Gruppe immer wieder durchleben."
Laut Professor Dominikus Bönsch, Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses in Lohr und des Zentrums für seelische Gesundheit in Würzburg, wo der Täter zweimal behandelt wurde, war dort von diesen Hinweisen nichts bekannt. "Über Ermittlungen oder Vorfälle, die sich möglicherweise in Somalia in seiner Kindheit zugetragen haben könnten, wussten wir nichts", sagt er auf Anfrage der Redaktion. "Weder hat der Patient darüber gesprochen, noch bekamen wir solche Informationen von anderen Stellen."
Bönsch betont aber auch: "Ob über zehn Jahre zurückliegende Ereignisse – wenn sie verifizierbar wären – zu einer anderen Einschätzung" des Patienten "geführt hätten, kann ich nicht sagen." Zwar wären sie "in die Einschätzung mit eingeflossen", hätten aber sicher nicht zu einer sofortigen Unterbringung in der Psychiatrie geführt. Die Hürden dafür seien sehr hoch. "Nicht ein mögliches Risiko entscheidet darüber, sondern eine konkrete hohe Gefährdung."
Nun soll ein gerichtspsychiatrisches Gutachten unter anderem zur Frage der Schuldfähigkeit des Täters beauftragt werden. Am Dienstag versprach Ministerpräsident Markus Söder: "Alles wird geklärt und alles kommt auf den Tisch."