Es ist bereits der achte Verhandlungstag, da stehen vier Opfer im Mittelpunkt des Prozesses um Drogenhandel und Folter auf dem Fußballplatz. Für einen Schüler, den die angeklagten Taten und Peinigungen besonders hart getroffen haben müssen, werden die wenigen Meter in den Zeugenstand zum Spießrutenlauf: Er und die weiteren Zeugen müssen direkt vor den sechs Angeklagten vorbei. Vor jenen Männern, die sie laut Staatsanwaltschaft brutal geprügelt, gefoltert und mit dem Tod bedroht haben sollen.
Polizeibegleitung und ein Anwalt: Schutzmaßnahmen für Zeugen vor Gericht
Der junge Zeuge meidet den Blickkontakt. Einen anderen begleitet ein Polizist schützend in den Saal des Würzburger CVJM-Hauses, in dem dieser Prozess stattfindet. Zwei Zeugen bekommen einen Anwalt an die Seite, damit sie nicht versehentlich sich selbst belasten. Einer sagt zwei Jahre nach den fürchterlichen Erlebnissen noch immer traumatisiert: "Ich bin in psychiatrischer Behandlung."
Doch die Erinnerung vieler Zeugen sind angesichts ihres damaligen Drogenkonsums offenbar verwischt. Das macht die Wahrheitsfindung für die Richter schwierig. Von einem Urteil Ende April ist nicht mehr die Rede, das Landgericht hat weitere Prozesstage bis in den Juli hinein angesetzt.
Fünf brutale Übergriffe - und qualvolle Erinnerungen eines jungen Opfers
Fünf Übergriffe auf die jungen Opfer listet die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf. Übergriffe von drastischer und erschreckender Brutalität - von Peinigungen mit glühender Zigarette bis hin zur Vergewaltigung und Todesdrohungen. Die Ermittler hatten Handys beschlagnahmt, mit denen die mutmaßlichen Täter sich selbst beim Foltern gefilmt hatten.
Der Schüler wirkt angegriffen. Die Erinnerung an das, was auf dem Fußballplatz passierte, peinige ihn auch zwei Jahre später noch, sagt später eine Freundin von ihm im Zeugenstand. Der heute 19-Jährige hat als einziges Opfer selbst einen Anwalt beauftragt: Thomas Steuer vertritt für ihn seine Interessen als Nebenkläger.
Sein Mandant habe sich zeitweise nur noch in Begleitung aus dem Haus getraut, sagt der Anwalt. Er sei plötzlich in der Schule schlecht gewesen, habe Angst gehabt, den Angeklagten wieder zu begegnen. Die Drohung vor zwei Jahren, man werde den Jugendlichen umbringen, wenn er etwas verrate, wirkt nach.
Zweifel an Glaubwürdigkeit: Verteidiger nehmen Zeugen in die Zange
Ein anderer Zeuge braucht erst einmal ein Glas Wasser, ehe er mühsam Aussagen macht. Er tut sich schwer, sich zu erinnern. Roj Khalaf und Hanjo Schrepfer, die Verteidiger des Hauptbeschuldigten, nehmen ihn massiv in die Mangel.
Sie bezweifeln die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Warum er vor Gericht nun andere Aussagen mache als bei der Polizei? "Weil ich damals noch bis zu den Haarspitzen voll mit Amphetamin war", antwortet er schlicht. Nach quälend langer Befragung verlässt er erschöpft den Zeugenstand: "Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich gar nicht gekommen."
Einflussreicher Clan? Überraschend fällt ein berüchtigter Name
Dafür lässt der Hauptbeschuldigte an diesem Mittwoch plötzlich einen Namen fallen, der aufhorchen lässt: Tags zuvor hatte er in der Verhandlung noch erklärt, als angehender Hip-Hop-Künstler die Unterstützung einflussreicher Berliner Förderer zu haben. Jetzt nennt er einen konkreten Namen: Arafat Abou Chaker, Ex-Geschäftspartner von Bushido und Chef jenes berüchtigten Berliner Clans, den Ermittler für organisierte Kriminalität, Drogen- und Waffenhandel sowie Schutzgelderpressung verantwortlich machen.
Den beiden Staatsanwälten winkt dadurch jede Menge neuer Arbeit. Der Würzburger Drogenprozess könnte noch einmal eine neue Wendung nehmen.
Da haben die Würzburger Adabeis das Ergebnis des nach über 3 Jahren zu Ende gegangenen „Mammutprozesses“ wohl nicht mitbekommen:
…“Jetzt hat das Landgericht Berlin I Arafat Abou-Chaker vom Vorwurf freigesprochen, er habe Bushido zur Zahlung von Millionenbeträgen erpressen wollen. Wegen unerlaubter Tonbandaufnahmen in 13 Fällen wurde er indes zur Zahlung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 900 Euro verurteilt (Urt. v. 05.02.2024, Az. 538 KLs 17/19).
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hatten sich die Hauptvorwürfe in den vorangegangen 113 Hauptverhandlungstagen bestätigt. Sie hatte für den 47-Jährigen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, drei Monaten und einer Woche Haft beantragt. Seine Anwälte hielten hingegen keine der Straftaten für erwiesen…Sie forderten entsprechend Freispruch. Auch drei mitangeklagte Brüder von Abou-Chaker wurden…freigesprochen.“
Quelle: LTO