Der Weltklimagipfel in Dubai mahnt zum schonenden Umgang mit den Ressourcen: Weniger zu verbrauchen, würde der Umwelt und dem eigenen Geldbeutel helfen. Doch die Gesellschaft tut sich schwer damit. Warum ist Verzicht angesichts der Klimakrise so schwierig und so negativ besetzt?
Antworten sucht Katharina Wörn, seit kurzem Juniorprofessorin für Systematische Theologie und Gegenwartsfragen/Ethik an der Uni Würzburg. Am Lehrstuhl für Evangelische Theologie forscht die 35-jährige Wissenschaftlerin genau dazu.
Prof. Katharina Wörn: Könnte man meinen. Aber Verzicht bedeutet zunächst einmal die bewusst getroffene, freiwillige Entscheidung des Einzelnen, etwas zu unterlassen. Ich sehe in diesen Herausforderungen erstmal politischen Handlungsbedarf.
Wörn: Sicherlich nicht die alleinige. Dafür ist die Transformationsaufgabe zu groß. Ich glaube aber schon, dass Verzicht eine politische Signalwirkung entfalten kann. Zum Beispiel verzichten immer mehr Menschen weitgehend auf Fleisch. Viele einzelne Konsumentscheidungen senden damit ein Signal an Wirtschaft und Politik.
Wörn: Nein. Ich würde sagen, man kann nur darum bitten.
Wörn: Weil sich das dann wie ein Verbot anfühlt. Der echte Verzicht ist aber keine Einschränkung von Freiheit, sondern im Gegenteil der Vollzug von Freiheit: Man sagt selbstbestimmt, was man nicht mehr tun möchte.
Wörn: Wir stehen im Alltag vor vielen Verzichtsentscheidungen – ich muss priorisieren, was mir wichtig ist. Dafür fällt etwas anderes weg, was für Bedauern oder Schmerz sorgen kann. Dieses Moment gibt es, und auch deshalb hat der Verzicht einen schlechten Ruf. In der aktuellen Klimadebatte wird er zusätzlich als Eingeständnis wahrgenommen, dass unser Lebensstil bisher nicht richtig war.
Wörn: Sicherlich spielt das eine Rolle. Das abstrakt als Gesellschaft anzuerkennen, ist das eine – die Erkenntnis, dass das auch mich betrifft, das andere.
Wörn: Ja, weil ich meine Gewohnheiten ändern muss. Und das ist eben nicht leicht. Verzicht kann aber eine Praktik sein, um zu einem neuen Normal zu kommen. Wenn Sie fünf Jahre kein Fleisch mehr gegessen haben, werden Sie dies vielleicht nicht mehr als schmerzlichen Verzicht wahrnehmen.
Wörn: Sicherlich – wobei dieses individuelle Verhalten trotzdem flankiert und ergänzt werden muss durch politische Entscheidungen und Verordnungen.
Wörn: Ich frage mich manchmal, welche Rolle der Umgang in der Politik selbst oder der Medien mit dem Thema spielt. Der Vorschlag – es war keine Anordnung! – eines wöchentlichen Veggie-Days durch die Grünen vor ein paar Jahren ist ja so ein Beispiel. Ich selbst erlebe hingegen zum Thema Verzicht sehr viel positives Interesse. Tatsächlich gibt es ja viele Strömungen in unserer Gesellschaft, die Verzicht positiv bewerten – Tiny Houses, Vegetarismus, Fasten...
Wörn: Das war meine zentrale Beobachtung im Vorfeld der Bundestagswahl 2021. Der Tenor durch alle Parteien war: Nein, wir werden uns nicht einschränken müssen. Stattdessen: grünes Wachstum, auch wenn die technischen Bedingungen – Stichwort Energiebedarf – dafür längst nicht vorhanden sind. Es gibt eine Angst, den Bürgern etwas zuzumuten. Und damit meine ich gerade nicht denjenigen, die sowieso wenig haben, sondern den Privilegierten.
Wörn: Und ich frage mich, ob das überhaupt so sinnvoll ist oder ob man nicht lieber versuchen sollte, den Verzicht positiver zu besetzen. Wo man verzichtet, ist ja immer eine Entscheidung für etwas anderes getroffen, es entsteht Raum für Neues, Anderes. Nur fehlt uns eben noch die Vision, wie unsere Gesellschaft einmal aussehen könnte.
Wörn: Im Weg steht uns zum einen ein problematischer Freiheitsbegriff im Sinne von "ich kann machen, was ich will". Es ist aber ein Privileg, aus bestimmten guten Gründen etwas nicht zu tun. Das ist Freiheit! Zum anderen sollten wir stärker den Gewinn sehen, der im Verzicht liegen kann – an Lebensqualität, Zeit, neuen Formen von Gemeinschaft, wenn ich mir zum Beispiel ein Auto teile. Oder der Gewinn an Gesundheit, wenn ich die Kurzstrecke zu Fuß gehe.
Wörn: Was war das für ein Aufschrei! Heute würde doch keiner mehr einen Gewinn an Lebensqualität darin sehen, in einer verrauchten Gaststube essen zu gehen. Es ist einfach so vieles eine Frage von Gewöhnung. Aber man muss erstmal einen Hügel des inneren oder äußeren Widerstands überwinden. Auch beim Rauchverbot war die Politik mutlos, die Initiative kam ja über ein Volksbegehren.
Wörn: Gar nicht. In der antiken Philosophie etwa sind Mäßigung und Verzicht Voraussetzung für ein gelingendes gutes Leben. Diese positive Einordnung ist uns verloren gegangen.
Wörn: Ich denke, das hat stark mit unserer kapitalistischen Wirtschafts- und Denkweise zu tun, die auf permanentem Wachstum beruht. Größer, schneller, weiter – das ist in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ganz zentral. Aber es ist eben paradox: Gleichzeitig haben viele die Sehnsucht nach mehr Zeit, nach Zugehörigkeit, nach Muße.