
"Wir nannten ihn Pfiff." Mit diesen Worten erinnerte sich ein Freund aus vergangenen Zeiten an Ludwig Pfeuffer, der in Würzburg diesen Spitznamen trug und als Jehuda Amichai in Israel ein berühmter Dichter wurde. Sein Schulkamerad Otto Schlamme, wie Amichai 1924 geboren, hatte noch als Achtzigjähriger den Jungen, den sie laut seiner Aussage "Pfiff" nannten, gut im Gedächtnis. Otto und Ludwig besuchten zusammen die jüdische Volksschule und sangen im Chor bei den Gottesdiensten in der Synagoge in der Domerschulstraße.
Ein Interview mit Otto Schlamme führte 2004 Nili Gold, Professorin für moderne hebräische Literatur an der Universität von Pennsylvania, die damals an einem Buch über Amichai arbeitete. In der im Frühjahr erschienenen Festschrift "Auf meinem Tisch liegt ein Stein" zu Amichais 100. Geburtstag berichtete sie in einem englischsprachigen Beitrag über ihre Kontakte mit Amichais Jugendfreunden.

Kinderspiele im verwunschenen Garten
Eine weiterer war Norbert Hellmann, Sohn des Direktors der jüdischen Volksschule. Hellmann erzählte Nili Gold, dass er ebenso wie der damals noch Ludwig Pfeuffer genannte Amichai bei Ottos Schlammes Mutter, einer ausgebildeten Konzertviolinistin, Geigenunterricht erhielt. Gemeinsam mit anderen Kindern spielten die Jungen im verwunschenen Garten des Zeichenlehrers Baron Ernst von Manstein in der Keesburgstraße. Manstein, ein zum Judentum übergetretener Verwandter des Nazi-Generals Erich von Manstein, war ein prominentes Mitglied der jüdischen Gemeinde.

Ebenfalls im Synagogenchor sang Hans (später Henry) Eschwege, der ein Jahr nach Ludwig Pfeuffer geboren wurde. Vom Sohn des Kantors Ruben Eschwege wurde natürlich erwartet, dass auch er neben Ludwig am Freitagabend zum Beginn des Schabbat und am Samstagmorgen im Chor zur Verschönerung der Gottesdienste beitrug.

Ein wichtiger Zeuge im Eichmann-Prozess
Der 1927 geborene Max (später Mordechai) Ansbacher trat mit dem vier Jahre älteren Ludwig Pfeuffer in einem Theaterstück in der jüdischen Volksschule auf, erinnerte er sich im Gespräch mit Nili Gold. Ansbacher überlebte als einziges Mitglied seiner Familie das Dritte Reich. Über die Torturen in Theresienstadt, Auschwitz und Dachau berichtete er 1961 als Zeuge im Prozess gegen Adolf Eichmann. Später leitete er die Jerusalemer Holocaust-Gedächtnisstätte Yad Vashem. Ansbacher, der wie Amichai Würzburg mehrmals besuchte, starb 2021.

Der Familie Pfeuffer gelang 1936 die Auswanderung in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, das heutige Israel. Jehuda Amichai starb 2000 hochgeehrt und weltbekannt in Jerusalem. Otto Schlamme emigrierte mit Eltern und Schwester in die USA. Als amerikanischer Soldat war er 20-jährig an der Befreiung des Zwangsarbeitslagers Ohrdruf in Thüringen beteiligt. Sein Großvater Robert Sprinz, Allgemeinarzt und Leiter des jüdischen Krankenhauses in der Dürerstraße, wurde 1943 in Theresienstadt ermordet.
Auch Norbert Hellmann überlebte als einziger seiner Familie und arbeitete in New York lange als Lehrer. Henry Eschwege emigrierte ebenfalls in die USA und war Sachverständiger für das amerikanische Parlament.
Für Jehuda Amichai, Würzburger Kulturpreisträger und Autor des Würzburg-Romans "Nicht von jetzt, nicht von hier", wurde am 30. Oktober von den Vereinen "Würzburg liest", der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Leonhard Frank-Gesellschaft in Kooperation mit der Stadt in der Jehuda-Amichai-Straße ein Denkmal errichtet. Es besteht aus einer Natursteinplatte aus fränkischem Muschelkalk, vor die eine Stele aus Cortenstahl geblendet ist. Über einen Link kann man sich über Leben und Werk Amichais informieren, ein stilisierter Bücherstapel am Boden vervollständigt das Ensemble.
Amichai-Denkmal noch nicht voll finanziert
Der Entwurf stammt vom Künstler und Designer Michael Ehlers aus Reichenberg und ist ein Geschenk. Auch zahlreiche private Spenderinnen und Spender beteiligten sich an der Finanzierung, ebenso wie die drei auftraggebenden Vereine. Ein Restbetrag von rund 2500 Euro ist allerdings noch offen, sodass weiterhin Spenden willkommen sind.

Und was ist nun ein "Pfiff"? Eine kleine Umfrage unter älteren Würzburgerinnen und Würzburgern brachte überraschende Ergebnisse. Mehrmals wurde geschrieben und durch Beispiele belegt, dass es sich um die liebevolle Verballhornung des Namens "Pfeifer" handelte. Jehuda Amichais deutscher Nachname war "Pfeuffer" – das würde also passen.
Andere interpretierten "Pfiff" als pfiffigen, aufgeweckten Jungen, als Pfiffikus, der gewieft und quirlig ist – auch das macht Sinn. Die dritte Variante besagt, dass ein "Pfiff" der Jüngste oder Kleinste in einer Gruppe ist. Ob dies damals in Ludwig Pfeuffers Würzburger Freundeskreis zutraf, lässt sich heute freilich nicht mehr feststellen.
Zur Spenden-Plattform für das Amichai-Denkmal in Würzburg gelangt man über den Link wuerzburg-liest.de/kontakt.