
Die erste Verleihung des neu geschaffenen Jehuda Amichai-Literaturpreises war gleichzeitig ein würdiger Abschluss der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des in Würzburg geborenen Dichters: Amichai und sein Werk waren bei der Preisverleihung im Ratssaal allgegenwärtig. Preisträgerin Barbara Honigmann sprach in ihrer Dankesrede zehn Minuten lang über den Namenspaten der Auszeichnung und zitierte aus zwei Gedichten von Jehuda Amichai.
Der Dichter selbst "wäre von der Wahl der Preisträgerin entzückt gewesen", sagte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Weil zeitgleich eine Gedenkveranstaltung an den Anschlag auf die Synagoge in Halle vor fünf Jahren in Anwesenheit des Bundespräsidenten stattfand, war Schuster verhindert und schickte eine kurze Videobotschaft.

Barbara Honigmann leiste "einen nicht wegzudenkenden Beitrag zur gesellschaftlichen Reife in Deutschland. Ihre Bücher sind Teil der Geistesgeschichte unseres Landes", betonte der Zentralratspräsident. Glückwünsche für Barbara Honigmann kamen auch aus Israel in Form einer Videobotschaft von Hana Sokolov-Amichai, der Witwe des im Jahr 2000 verstorbenen Lyrikers: "Ich bin froh, dass ihr Werk in seinem Namen gewürdigt wird." Die Rede wurde von ihrem Sohn David Amichai auf englisch verlesen.
Wohl einer der bedeutenden Literaturpreise in Deutschland
Die neu geschaffene Auszeichnung ist mit 15.000 Euro dotiert und gehört alleine durch diese Summe ab sofort zu den bedeutenderen Literaturpreisen Deutschlands. Die Stadt Würzburg habe mit der Benennung des Preises nach Jehuda Amichai Mut bewiesen, "weil den Dichter außerhalb von Würzburg hierzulande noch nicht allzu viele kennen", sagte Literaturwissenschaftler Thomas Sparr in seiner Honigmann-Laudatio.
Sparr erinnerte daran, wie aus dem Würzburger Buben Ludwig Pfeuffer, der mit seinen Eltern nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Alter von elf Jahren nach Israel auswanderte, der weltweit gelesene israelische Dichter Jehuda Amichai wurde. "In Israel kennt ihn jedes Kind, seine Gedichte sind allgegenwärtig. (…) Möge dieser Preis dabei helfen, dass sein Werk auch in Deutschland verbreitet und gegenwärtig wird."

Barbara Honigmann als erste Preisträgerin ist laut Sparr keine mutige, aber eine richtige und wohlbegründete Entscheidung gewesen. Die 75-jährige Schriftstellerin hat inzwischen so viele bedeutende Literaturpreise erhalten, dass sie eine Sammlung ihrer Dankesreden als Buch herausgegeben hat. In diesem großen Reigen an Auszeichnungen setze der Jehuda-Amichai-Literaturpreis in Erinnerung an den wohl bedeutendsten Dichter Israels einen ganz besonderen Akzent, so Sparr.
Amichai-Förderpreis geht an ukrainische Schriftstellerin
Der mit 5000 Euro dotierte Amichai-Förderpreis ging an die ukrainische Schriftstellerin Marianna Kijanowska für ihren Gedichtband "Babyn Jar. Stimmen". Der Lyrikerin sei es gelungen, das Massaker von deutschen Soldaten und ukrainischen Hilfspolizisten an mehr als 33.000 Juden im September 1941 in der Schlucht Babyn Jar bei Kiew in 67 Gedichten "gegenwärtig und unmittelbar zu machen", sagte Bettina Spoerri, Jury-Mitglied des Jehuda-Amichai-Literaturpreises. Im ersten Teil einer Trilogie über Gewalt, Mord und Krieg gebe Marianna Kijanowska den Ermordeten ihre Stimmen zurück: "Mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, mit einer hochverdichteten literarischen Sprache."

Kijanowska hält sich derzeit in den USA auf, nahm wie die Familie Amichai per Livestream an der Preisverleihung teil und schickte ihre Dankesrede in elektronischer Form. Aufgezeichnet hatte sie ihr Video am 7. Oktober, dem Jahrestag der Massaker der radikalislamistischen Terrororganisation Hamas in Israel. Vor einem Jahr habe sie zu den Menschen gehört, die nach Amichais Gedichten suchten, um sie in Übersetzung zu lesen: "Um mit Israel in seinem Schmerz zu sein. Denn ich kenne diesen Schmerz, weil ich Ukrainerin bin", sagte Kijanowska. Am 7. Oktober dauerte der russische Angriffskrieg auf ihr Heimatland seit mittlerweile 957 Tagen an.
Der Jehuda Amichai-Literaturpreis soll künftig alle zwei Jahre vergeben werden. Oberbürgermeister Christian Schuchardt nahm die Preisverleihung persönlich vor und erläuterte bei der Begrüßung der Anwesenden im Ratssaal noch einmal, warum die Stadt Würzburg den Preis ins Leben gerufen hat. Um in einer beängstigenden Zeit das Zusammenleben im Nahen Osten wie hierzulande zu stärken, brauche es Beiträge zur Sichtbarmachung, Vermittlung und Reflexion jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in Deutschland, so Schuchardt. Diese Beiträge sollen durch die Auszeichnung gefördert werden: "Insofern ist der Amichai-Preis für mich auch ein (…) ein Beitrag für den Frieden, in all seinen Ausprägungen."