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Würzburg
Wertvolles jüdisches Ritualobjekt aus Würzburg: Von Nazis geraubt, in Israel gerettet
Besonderes Ausstellungsobjekt: In einer Siedlung im Norden Israels ist ein wertvolles Ritualobjekt aus der früheren Würzburger Synagoge zu sehen. Wie kam es dorthin?
Der 1881 vom Ehepaar Louis und Rosalie Rosenblatt gestiftete Thoravorhang aus der Würzburger Synagoge wird jetzt in einer Ausstellung in einem israelischen Museum gezeigt.
Foto: Dvora Liss | Der 1881 vom Ehepaar Louis und Rosalie Rosenblatt gestiftete Thoravorhang aus der Würzburger Synagoge wird jetzt in einer Ausstellung in einem israelischen Museum gezeigt.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:00 Uhr

Die kleine landwirtschaftlich geprägte israelische Siedlung Ein Harod hat weniger als 1000 Einwohner. Aber Ein Harod besitzt ein landesweit bekanntes Museum, das größte im Norden Israels. In jenem Mishkan Museum wird derzeit eine Ausstellung mit alten und neuen Textilarbeiten von jüdischen Künstlern gezeigt. Darunter ist als Besonderheit ein von den Nazis geraubter Thoravorhang aus der Würzburger Synagoge in der Domerschulstraße, von dessen Existenz am Main niemand etwas wusste.

Ein Thoravorhang (hebräisch Parochet) hängt vor dem Thoraschrein, in dem sich die Thorarollen mit den fünf Büchern Mose befinden. Die Vorhänge sind meist reich verziert und bestehen aus Samt, Seide, Leinen oder Brokat. So ist auch der 2,80 mal 2,37 Meter große dunkelrot-goldene Vorhang aus der 1841 eingeweihten Würzburger Hauptsynagoge aus Samt.

Der Thoravorhang wurde im Jahr 1881 gestiftet

Das wertvolle Stück stammt aus dem Jahr 1881, gespendet vom fünfzigjährigen Würzburger Hopfenhändler Louis Rosenblatt und seiner Frau Rosalie, möglicherweise als Dank für die Geburt ihres zehnten Kindes, das in diesem Jahr zur Welt kam.

Auch der Bankier und Unternehmer Joel Jakob von Hirsch hatte einen Thoravorhang gestiftet, wobei zwei springende Hirsche plakativ auf den Namen des Spenders hinwiesen. Auf solch offensichtliche Verweise verzichteten Louis und Rosalie Rosenblatt, wenn auch natürlich die hebräische Inschrift ihre Namen enthält.

Die 1841 eingeweihte Würzburger Synagoge in der Domerschulstraße. An der Ostwand befand sich der mit einem Thoravorhang verhüllte Thoraschrein. Auf der Empore beteten die Frauen.
Foto: Archiv Roland Flade | Die 1841 eingeweihte Würzburger Synagoge in der Domerschulstraße. An der Ostwand befand sich der mit einem Thoravorhang verhüllte Thoraschrein. Auf der Empore beteten die Frauen.

Unter dem großen Wappen, das mit den zwei stehenden Löwen und der Krone an das Wappen Bayerns erinnert, zu dem Unterfranken seit 1814 gehörte, steht – neben anderen – ein Zitat aus dem Buch Genesis (32,11): "Ich habe es nicht verdient, dass du so viel für mich getan hast."

Transkribiert hat die Aufschrift Divora Liss, Kuratorin der Ausstellung im Mishkan Museum. Sie nennt den Würzburger Vorhang wegen seiner beeindruckenden Größe und kunstvollen Machart außergewöhnlich; in der Schau ergänzt sie ihn mit weiteren ebenfalls aus Europa stammenden und gleichfalls reich bestickten Thoravorhängen sowie mit Thoramänteln aus Stoff, in die Thorarollen gehüllt wurden.

Den Kontrast bilden textile Werke von fünf zeitgenössischen israelischen Künstlern. Darunter sind ein moderner Hochzeitsbaldachin, ein Thoravorhang, der aus Erinnerungsstücken eines Verstorbenen besteht, und eine Kombination aus Talmudtexten und Plastiktüten auf einem Stück Leinwand.

Der Thoravorhang überstand die Pogromnacht vom 9./10. November 1938

Wie aber kam der Würzburger Thoravorhang in das nordisraelische Museum? Die Erklärung liegt im Dritten Reich. In der Nacht zum 10. November 1938 suchten während des Pogroms, das unter dem verharmlosenden Namen "Reichskristallnacht" in die Geschichte eingegangen ist, SS- und SA-Männer, unter ihnen Universitätsrektor Ernst Seifert, das Gotteshaus heim. Sie schlugen die Fenster und die Einrichtung kurz und klein, zertrümmerten Leuchter und Ritualien und steckten Thorarollen in Brand.

Nach der Zerstörung der Inneneinrichtung der Synagoge in der Nacht zum 10. November 1938 musste die jüdische Gemeinde das Gotteshaus an die Stadt Würzburg verkaufen. Diese zog eine Zwischendecke ein und richtete eine Handwerkerschule ein. Darüber berichtete der Würzburger General-Anzeiger am 25. März 1939 mit einem großen Artikel.
Foto: Stadtarchiv | Nach der Zerstörung der Inneneinrichtung der Synagoge in der Nacht zum 10. November 1938 musste die jüdische Gemeinde das Gotteshaus an die Stadt Würzburg verkaufen.

Im Gegensatz zur Barocksynagoge in Heidingsfeld, die in Flammen aufging, sah das Zerstörungskommando in der Domerschulstraße von Brandstiftung ab, da in unmittelbarer Nähe viele Häuser standen, die Nichtjuden gehörten. Geraubt wurden bei dem Überfall Unterlagen der Gemeinde sowie allem Anschein nach auch jener Thoravorhang aus dem Jahr 1881.

Während die Akten auf Befehl der Gestapo an das Staatsarchiv in der Residenz gingen, landeten Ritualgeräte aus Metall sowie Textilien direkt oder auf Umwegen im Luitpoldmuseum in der Maxstraße, das 1939 in Mainfränkisches Museum umbenannt wurde. Beim Bombenangriff des 16. März 1945 erhielt das Haus einen Volltreffer, was zum Verlust oder zur Beschädigung zahlreicher Gegenstände führte. Besser erging es ausgelagerten Stücken, darunter auch jüdischen Ritualien, die in die Residenz, die nur teilweise zerstört wurde, gebracht worden waren.

In den Jahren 2018 und 2019 lief die Ausstellung "'Sieben Kisten mit jüdischem Material.' Von Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute" in Würzburg und München. Im Begleitband wird nachgezeichnet, wie die Festung nach dem Krieg als Sammelort von Kulturgütern bestimmt wurde, auch für geraubtes jüdisches Eigentum. Allerdings gerieten im Mainfränkischen Museum Judaica aus Metall, die in jenen "sieben Kisten" lagen, in Vergessenheit und wurden erst 2016 wiederentdeckt.

Der Weg des Thoravorhangs führte wahrscheinlich über die Sammelstelle Offenbach

Andere Ritualgeräte, überwiegend Textilien, wurden dagegen, wie von den Amerikanern gefordert, 1947 an eine zentrale Sammelstelle in Offenbach gesandt. Auch der Thoravorhang von 1881 muss darunter gewesen sein.

Nach dem Krieg diente das Erdgeschoss der ehemaligen Synagoge als Notwohnung, wie am Blumenkasten zu erkennen ist. Die Treppe führte zur Frauenempore.
Foto: Roland Flade | Nach dem Krieg diente das Erdgeschoss der ehemaligen Synagoge als Notwohnung, wie am Blumenkasten zu erkennen ist. Die Treppe führte zur Frauenempore.

In vielen Fällen fanden die Ermittler in Offenbach keine Eigentümer mehr, da diese ermordet worden waren. In anderen Fällen gab es zwar, wie in Würzburg, wieder eine kleine jüdische Gemeinde, doch verfügte diese nicht mehr über eine Synagoge, in der ein Thoravorhang aufgehängt werden konnte. So ging herrenloses Material an eine Nachfolgeorganisation, die Jewish Restitution Successor Organization (JRSO), die es weltweit an jüdische Museen und Synagogengemeinden verteilte.

Das Mishkan Museum in Ein Harod war einer der Empfänger – und zwar jenes Würzburger Thoravorhangs, der jetzt in der Ausstellung gezeigt wird. Dvora Liss kennt sogar die Nummer, unter der die Übergabe notiert wurde: B50.02.1790, 152/009.

Im Jahr 1956 wurde das Gelände der jüdischen Gemeinde in der Domerschulstraße eingeebnet und in einen Sportplatz umgewandelt. Heute steht auf einem Teil des Areals das Archiv- und Bibliotheksgebäude der Diözese. Ganz rechts sieht man die Michaelskirche, im Hintergrund den Hofgarten, links zwischen den Baggern den Aufgang zur Frauenempore der Synagoge, von der noch eine Wand steht.
Foto: Stadtarchiv | Im Jahr 1956 wurde das Gelände der jüdischen Gemeinde in der Domerschulstraße eingeebnet und in einen Sportplatz umgewandelt. Heute steht auf einem Teil des Areals das Archiv- und Bibliotheksgebäude der Diözese.

Louis Rosenblatt und seine Familie zogen 1889 nach Nürnberg. Die Synagoge in der Domerschulstraße wurde 1939 – mit einer Zwischendecke versehen – in eine städtische Handwerkerschule umgewandelt, am 16. März 1945 weitgehend zerstört und nach der Verwendung als Notwohnung 1956 abgerissen.

Das Grundstück, auf dem sie stand, liegt heute hinter dem Archiv- und Bibliotheksgebäude der Diözese und gehört wieder der jüdischen Gemeinde, die seit 1970 in der Valentin-Becker-Straße über ein neues Gotteshaus verfügt. Die am 10. November 1938 geraubten jüdischen Dokumente befinden sich seit den fünfziger Jahren in einem Archiv in Jerusalem.

 
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