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Würzburg/Schweinfurt
Debatte: "Die Gesellschaft ist gespalten" – was soll das überhaupt heißen?
Muss man immer gleich von "Spaltung" sprechen, wenn nicht alle einer Meinung sind? Gerade passt der Begriff wohl, meint unser Autor. Warum Corona aber nur am Rande damit zu tun hat.
In der Regel sind es die Impfgegner, die von einer 'Spaltung der Gesellschaft' sprechen. Schild auf einer Demonstration in Frankfurt gegen die Anti-Corona-Maßnahmen.
Foto: Boris Roessler, dpa | In der Regel sind es die Impfgegner, die von einer "Spaltung der Gesellschaft" sprechen. Schild auf einer Demonstration in Frankfurt gegen die Anti-Corona-Maßnahmen.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 09.02.2024 04:56 Uhr

Vor ein paar Wochen sagte eine Hörerin in einer Radiosendung, sie habe das Vertrauen in Olaf Scholz schon vor dessen Amtsantritt als Bundeskanzler verloren, weil Scholz nicht von einer Spaltung der Gesellschaft sprechen wolle. Auch Kolumnist Nikolaus Blome,  bis Oktober 2019 stellvertretender Chefredakteur und Politikchef der "Bild"-Zeitung, wirft dem Kanzler im "Spiegel" vor, die "Spaltung" der Gesellschaft zu leugnen, und hält das für "gönnerhaftes Gerede einer ganz alten Linken": "Was nicht beim Namen genannt wird, gibt es nicht."

Wer heute von Spaltung spricht, meint den Konflikt zwischen Geimpften und Ungeimpften, zwischen Impfwilligen und Impfverweigerern. Tatsächlich sind es meist letztere, die behaupten, schärfere Anti-Corona-Maßnahmen und vor allem eine Impfpflicht würden diese Spaltung vertiefen. So als treibe der Staat einen vermeidbaren Keil vorsätzlich immer tiefer. 

Eine ähnliche Argumentation gab es schon mal: Wer ab 2015 gegen die Aufnahme von weiteren Geflüchteten war, sich aber nicht offen ausländerfeindlich äußern wollte, nahm gerne den Umweg einer Warnung: Die stärkere Zuwanderung werde die Bevölkerung überfordern und zwangsläufig zu einer Spaltung derselben führen.

Unterschiedliche Meinungen sollten in einer pluralistischen Gesellschaft kein Problem sein

Vielleicht diagnostizieren wir in Deutschland generell zu leichtfertig gleich eine Spaltung, wenn wir mal nicht alle einer Meinung sind. Unterschiedliche Ansichten zu haben – in einer pluralistischen Demokratie sollte dies ja kein Problem sein. Und eine kleine, wenn auch immer lauter und gewaltbereiter auftretende Minderheit mit konträrer Meinung könnte man allenfalls als "Abspaltung" bezeichnen. Kanzler Olaf Scholz jedenfalls bleibt seiner Linie treu. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wählte in seiner Neujahrsansprache auch lieber den Begriff "Gräben". 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte es in seiner Neujahrsansprache einmal mehr ab, von einer Spaltung des Landes zu sprechen.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte es in seiner Neujahrsansprache einmal mehr ab, von einer Spaltung des Landes zu sprechen.

Allerdings: Kurz vor Ende des zweiten Corona-Jahres meldete das Robert Koch-Institut eine bundesweite Impfquote von lediglich 71 Prozent. Macht im Umkehrschluss 29 Prozent Ungeimpfte – was nicht gerade nach einer zu vernachlässigenden Größe klingt.

Freilich sind das nicht alles militante Schwurbler, die glauben, Bill Gates wolle sie versklaven. Es gibt auch die Impftrödler, die Spritzen-Phobiker und (Schul-)Medizin-Skeptiker ("mein Immunsystem packt das"), die Internet-Recherchierer ("noch nicht genügend Daten vorhanden") und die Verdränger ("mir wird schon nichts passieren"), die nicht auf den Straßen "spazieren gehen" und Polizeibeamte angreifen. Dummerweise richtet ihre Ungeimpftheit den gleichen pandemischen Schaden an wie die der radikalisierten Hardliner.

Mit den meisten Ungeimpften kann man sich ganz normal unterhalten – bis zu einem Punkt

Nicht wenige Menschen haben Ungeimpfte in Familie, Bekanntenkreis, Nachbarschaft oder Kollegenkreis. Und werden festgestellt haben (sofern das Thema nicht schamhaft oder prophylaktisch vermieden wurde), dass man sich mit den meisten ganz normal unterhalten kann. Es kommt halt irgendwann der Punkt, an dem fadenscheinige bis falsche Informationen ("tausende Impftote") und/oder ein mehr oder weniger diffuses Misstrauen gegenüber Wissenschaft, Politik und Behörden vorgebracht werden.

Da enden die Gespräche dann meistens schnell. Aber ist das schon Ausdruck einer gesellschaftlichen Spaltung?

Möglicherweise ist das Impfthema nur Symptom einer ganz anderen Krankheit als Covid-19: nämlich des augenscheinlich wachsenden, ganz grundsätzlichen Misstrauens gegenüber der repräsentativen  Demokratie und ihren Entscheidungsfindungsprozessen. Den grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber einem toleranten, diversen und somit irgendwie unübersichtlichen Gemeinwesen.

Pflegekräfte auf einer Demonstration gegen die Anti-Corona-Maßnahmen im Dezember in Hamburg.
Foto: Markus Scholz, dpa | Pflegekräfte auf einer Demonstration gegen die Anti-Corona-Maßnahmen im Dezember in Hamburg.

Möglicherweise wartet ein wachsender Teil der Gesellschaft immer nur auf das passende Ventil, um sein Unbehagen, seine Abneigungen öffentlich abzulassen. Findige Demagogen stellen solche Ventile denn auch gerne bereit: Sie mobilisieren gegen die Rettung Geflüchteter auf See, gegen Klimaschutzpolitik, gegen diskriminierungssensible Sprache, gegen Impfungen. Kurz: Sie nutzen alles, was geeignet ist, gesellschaftlichen Dissens zu fördern.

Somit hätten wir es mit einer Spaltung zu tun, die das Ende der Pandemie überdauern würde. Um deren Ursachen zu erforschen und sie schließlich zu überwinden, sind weitaus größere Anstrengungen nötig, als nur, die letzten Impfzauderer zu überzeugen. Oder eine Debatte darüber zu führen, ob man nun von Spaltung sprechen kann oder nicht.

 
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Kommentare
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  • C. P.
    Treffend analysiert; siehe auch Gysis kurze Ausführung bei Lanz letzte Woche, dass 30 % (!) kein Vertrauen oder Bezug zu Politikern haben.

    Möglicherweise ist das Impfthema nur Symptom einer ganz anderen Krankheit als Covid-19: nämlich des augenscheinlich wachsenden, ganz grundsätzlichen Misstrauens gegenüber der repräsentativen Demokratie und ihren Entscheidungsfindungsprozessen. Den grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber einem toleranten, diversen und somit irgendwie unübersichtlichen Gemeinwesen.
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  • S. S.
    Ich sehe trotzdem eine Spaltung und zwar klar zwischen Arm und Reich. Wer hat die höchste Impfqute? Die Studierten! Wer kann sich Urlaube leisten? Die besser verdieneden. Wem ist es egal ob man verreisen kann weil man sichs nicht leisten kann? Die Armen. Wer muss mit Asylbewerber konkurrieren? Menschen im Niedriglohnsektor.
    Früher nannte man das Klassenkampf.
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  • R. S.
    Die Impfpflicht wird die Spaltung der Gesellschaft überwinden

    Ein wahrlich brillanter Denkansatz, Unterdrückung von Kritik und Kritikern lässt diese verstummen, also gibt es nur noch Linientreue. Keine Spaltung nirgends. Neu ist die Idee nicht, schon in Goethes Erlkönig kann man sie nachlesen: „Und bist du nicht willig, so brauch´ ich Gewalt.“

    Dankbare Anwender dieser Methode die KP Chinas sowie andere autoritäre Regime. Mit etwas Nachdenken fällt einem ein, dass man damit auch in Deutschland reichlich Erfahrung gesammelt hat, allerdings mit sehr ungutem Ausgang.

    Aber warum aus der Vergangenheit lernen, warum neue Fehler machen, wenn man alte recyceln kann? Das ist so etwas von nachhaltig!
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  • R. D.
    Da werden aber jetzt ganz schön viele völlig unterschiedlich gelagerte Themen vermischt und im gleichen Kontext angeführt. Das Thema Impfen ist ja noch wissenschaftlich belegbar, die anderen Themen wie Gendern in der Sprache ist ein völlig anderes Thema und eher Ausdruck einer übersatten Wohlstandsgesellschaft die sonst keine Probleme hat. Man kann all diese Themen eben nicht über einen Kamm scheren.
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  • g. r.
    Natürlich ist und wird die Gesellschaft gepalten bleiben. Es gibt Männer und Frauen und Sonstige, Arme und Reiche, Schöne und nicht Ansehnliche, Dicke und Dünne, Muslime und Andersgläubige und Ungläubige, Kinderlose und solche mit Nachkommen, Hundefreunde und Hundehasser, Akademiker und Nichtakademiker, Beamte und Nichtbeamte, privat und gesetzlich Versicherte, ... Darüber darf oder will sich niemand empören, weil wir es so gewohnt sind und akzeptieren.
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    Natürlich richtet sich der Protest hintergründig gegen gelebte Demokratie. Eine Lösung dieses Konflikts ist schwierig, da die politischen Entscheider und Entscheiderinnen sich immer weiter vom Volk entfernen, anstatt zu versuchen, auf die Menschen zuzugehen. Es ist sehr deutlich, dass die Politik näher zur Wirtschaft, zu den Großkonzernen, zum Geld steht als zu den Menschen. Im Grund sehe ich es als das Problem unserer Zeit an, dass sich fast alles nur noch ums Geld dreht, in Großen wie im Kleinen.
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  • R. F.
    Unerträglich ist dieses Framing, die Zensur, die Lügenmärchen. Immer schön die Schuld bei den Ungeimpften suchen....
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  • L. S.
    Sie liefern mit Ihrem "Beitrag" den Beweis für die Richtigkeit der Aussagen im Artikel.
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  • S. K.
    Was meinst du konkret?
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  • R. B.
    Können Sie die Lügenmärchen konkretisieren? Für eine offene und ehrliche Antwort wäre ich Ihnen dankbar, da meist aus der Ecke der Impfgegner nur Phrasen oder sonst nicht nachvollziehbare Thesen kommen.
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  • U. S.
    Zitat aus Artikel: Mit den meisten Ungeimpften kann man sich ganz normal unterhalten

    Ach ist das so? Wobei doch sicher die Gegenfrage gestattet ist, ob man sich auch mit Geimpften ganz normal unterhalten kann.

    Was hat sich denn geändert an dem Menschen weil er geimpft bzw nicht geimpft ist? Es ist immer noch der selbe Mensch geblieben mit dem man sich vor Corona gut verstand, mit dem man zusammen feierte und fröhlich war. Und mit dem man schon vor Corona nicht immer einer Meinung war und es Debatten über "was auch immer" gegeben hat. Warum soll das jetzt anders sein? Vielleicht weil uns das die Medien im Auftrag der Politik weismachen wollen? Wie weit ist es gekommen wenn Menschen die einst zu unserem Kreis gehörten ausgegrenzt werden weil sie eine andere Meinung haben? Denkt mal darüber nach!
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  • S. K.
    Schrecklich, wie sich die Ungeimpften so gegen die Gesellschaft stemmen. Dabei ist doch das Virus der eigentliche Gegner. Wie kann man die Menschheit nur so hintergehen und verraten....
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  • K. W.
    Die Aussage von Ihnen, dass "die Medien" von "der Politik" gesteuert würden, ohne das auch nur in irgend einer Weise zu belegen, lässt die Vermutung zu, dass Sie irgendwelche Parolen einfach nur nachblabbern.
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  • H. M.
    wie beim Gendern versucht beim Impfen eine Minderheit der übergroßen Mehrheit ihre Meinung zu diktieren. Das ist noch lange keine Spaltung der Gesellschaft. Wir, als Mehrheit müssten auf die Straßen gehen, aber wir respektieren und leben die Demokratie, was nicht immer einfach ist.
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  • M. M.
    Quellenangaben fehlen.
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  • M. A.
    Die Querdenker sagen doch immer dir "Lügenpresse" einfach mal keine Presse keine Nachrichtenleute hingehen und die alleine nur mit polizeiliche Begleidung ihren Spaziergang machen lassen daß das normal denkente Volk nichts von denen mitbekommt , das wollen die aber auch wiederum nicht mal sehen was die dann wiederum dazu sagen🤔.
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  • D. M.
    Das wäre das Sinnvollste... diese grundsätzlichen "Ich-bin-gegen-alles- Querulanten" ignorieren.

    Leider sind das aber auch diejenigen, die der Sozialgemeinschaft die meisten Einschränkungen abverlangen und lautstark, gnadenlos und nachdrücklich die meiste Unterstützung einfordern.
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  • D. K.
    Wer schreit hat recht! zwinkern
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  • P. B.
    Machen sie die Gruppe der „Impfverweigerer“ nicht größer als sie ist. Aktuell sind laut RKI 74,2% mindestens einmal geimpft. Diese Zahl ist nach übereinstimmender wissenschaftlicher Meinung zu niedrig, weil viele Impfungen (Betriebsärzte) nicht erfasst wurden. Weiterhin fehlen Kinder unter 5, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist. Die Gruppe, die sich bisher nicht impfen ließ, dürfte deutlich unter 20% liegen. Davon geht eine Minderheit auf Demos, und davon gehört nur eine Minderheit zu den gewaltbereiten Randalierern. Diese bekommen meiner Meinung nach zu viel Aufmerksamkeit in den Medien. Wenn auch die MP von einem „Querschnitt der Bevölkerung“ spricht übernimmt sie ein Narrativ der AFD.
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