Es ist zu befürchten, dass in Folge der Corona-Krise viele Menschen ihren Job verlieren und damit in eine finanzielle Notlage geraten. Noch ist das Ausmaß in Mainfranken nicht abzusehen. Doch Raymond Polyak erwartet nichts Gutes. Der 46-Jährige ist Geschäftsführender Gesellschafter des Inkassounternehmens Creditreform in Würzburg. Die Auskunftei bringt jedes Jahr den Schuldneratlas für Unterfranken heraus. Auf dieser Grundlage hat Polyak Hinweise für Menschen, die auf Geldprobleme zusteuern.
Frage: Ansturm auf Kurzarbeit, große Gefahr einer Insolvenz-Welle, Menschen bangen um ihren Job: Auf was steuert Mainfranken wegen der Corona-Krise zu?
Raymond Polyak: Es ist noch zu früh zu sagen, ob sich die Lage extrem verschlimmern wird. Die Verunsicherung bei den Unternehmen ist sehr groß, das stellen wir fest. Die Unternehmen beschäftigen sich mit Kurzarbeit und mit organisatorisch-technischen Maßnahmen.
In Ihrem jährlichen Schuldneratlas für Unterfranken ist unter anderem zu lesen, dass die Überschuldung der Menschen zum Beispiel in der Stadt Schweinfurt besonders hoch ist. Wird sich das jetzt in solchen Hochburgen verschärfen?
Polyak: Davon ist auszugehen. Wir hatten im vergangenen Jahr bei der Überschuldung in Unterfranken erstmals einen Rückgang seit 2013. Die Städte Schweinfurt und Würzburg sind trotzdem auf den vorderen Plätzen gewesen. Wenn es in der Wirtschaft kriselt, dann steigen erfahrungsgemäß die Verschuldungsquoten bei den Verbrauchern an. In den genannten Regionen sitzen ja eine ganze Menge Unternehmen. Die haben wir auch nach Bonitätsgesichtspunkten analysiert. Die Unternehmen weisen ein besonderes Ausfallrisiko aus. Da ist Schweinfurt vorne dabei, die Stadt Würzburg auch.
Ihr Tipp: Was sollte ein Unternehmer zuallererst machen, wenn er merkt, dass es knapp wird mit seiner Liquidität?
Polyak: Als Erstes offen mit der Bank sprechen. Und mit den Lieferanten. Dann die Hilfsprogramme der Bundesregierung in Anspruch nehmen.
Und was raten Sie Privatleuten, die vielleicht ihren Job verlieren und merken, dass es auf Dauer eng wird im Geldbeutel?
Polyak: Wenn es darum geht, dass Rechnungen plötzlich nicht mehr beglichen werden können, sollte der Kontakt zu den Gläubigern oder Gläubigervertretern gesucht werden. Und mit der Bank, um zu prüfen, ob ein kurzfristiges Darlehen zu bekommen ist. Überschuldete Personen sollten mit einer Schuldnerberatung in Kontakt treten. Es lohnt sich auch, auf die eigene Ausgabenseite zu schauen. Denn in diesen außergewöhnlichen Zeiten, die wir haben, könnte man ja die eine oder andere Investition zurückstellen.
Jemand kann seine Rechnungen nicht mehr bezahlen: Ist in Zeiten von Corona mit einer Milde der Inkassounternehmen zu rechnen?
Polyak: Schwierige Frage. Jeder Fall ist individuell. Wenn ein Schuldner uns als Inkassounternehmen mitteilt, dass seine Zahlungsfähigkeit zum Beispiel aufgrund von Arbeitslosigkeit nicht vorhanden ist, dann fordern wir dazu den Nachweis an. Das muss ja plausibel sein. Das hat mit der Corona-Krise nichts zu tun. Unsere Aufgabe ist es in diesem Fall, als Mittler an den Gläubiger heranzutreten, die entsprechenden Punkte vorzutragen und uns dann abzustimmen, welche Lösung in dem Einzelfall gefunden werden kann. Das wird jetzt in der Krise ähnlich sein. Zum einen wird das Thema Stundungen vermehrt auf die Gläubiger und auf uns als Vertreter der Gläubiger zukommen. Zum anderen hat der Bundestag vor kurzem das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht verabschiedet. Dem Schuldner stehen jetzt verschiedene Möglichkeiten offen. Wenn er etwa eine Rechnung seines Energieversorgers aufgrund der Krise nicht bezahlen kann, hat er ein sogenanntes Leistungsverweigerungsrecht. Die Forderung wird dann bis zum 30. Juni 2020 vom Gläubiger nicht weiter verfolgt. Der Schuldner muss aber auch hier vortragen, dass er ein Opfer der Corona-Krise geworden ist und er deshalb seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann.
Das sieht nach Schneeball-Effekt aus: Den Unternehmen geht es eh schon schlecht – und dann kommen jetzt plötzlich reihenweise Kunden, die nicht mehr zahlen können. Inwiefern potenziert das die heikle Situation in Mainfranken?
Polyak: Wir haben in der Region eine Vielzahl an Einzelhändlern. Dann ist da noch die Gastronomie mit ihrer angespannten Situation. Es ist davon auszugehen, dass es gerade in der Gastronomie, Hotellerie und im Einzelhandel verstärkt zu Insolvenzen kommen wird. Wir rechnen damit, dass wir bei den Firmeninsolvenzen in diesem Herbst einen extremen Anstieg haben werden, weil die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September ausgesetzt worden ist. Das heißt, die Unternehmen haben momentan nicht die Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung innerhalb von drei Wochen den Antrag auf Insolvenz zu stellen.
Wegen der Corona-Ansteckungsgefahr gibt es Appelle, momentan beim Einkaufen auf Bargeld zu verzichten und lieber mit Karte zu bezahlen. Nun ist ja aber bekannt, dass mancher Konsument bei ständiger Kartenzahlung den Überblick über seine Ausgaben verliert und in eine Schuldenfalle gerät. In welcher Weise ist das gerade jetzt relevant?
Polyak: Bargeldloses Bezahlen ist sehr verbreitet. Man liest, dass heute 30 bis 50 Prozent der Einkäufe bargeldlos getätigt werden. Ich sehe kein Potenzial, dass sich da im Moment etwas verschlimmert. Ich sehe vielmehr ein Risiko darin, dass in dieser Phase mehr online bestellt wird. Ich behaupte, dass man da eher den Überblick verliert: Man braucht eigentlich nur ein Produkt, legt aber gleichzeitig drei weitere in den Warenkorb, die man gar nicht braucht. Und die man später nicht mehr zurückschickt, weil es die Ausgangsbeschränkung gibt oder weil man im Moment nicht unter die Leute kommen will. Doch wer diese Ware behält, muss sie auch bezahlen. Da sehe ich eher ein Problem.
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