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Würzburg / Schweinfurt
Corona-Regeln in Pflegeheimen: Geht Hygiene vor Menschlichkeit?
Seit einigen  Wochen ist der Besuch in den meisten Pflegeeinrichtungen unter Auflagen wieder erlaubt. Dennoch fürchten viele Angehörige um die Lebensqualität der Bewohner.
In vielen Pflegeeinrichtungen gelten wegen Corona verschärfte Besuchsregelungen.
Foto: Thomas Obermeier | In vielen Pflegeeinrichtungen gelten wegen Corona verschärfte Besuchsregelungen.
Johanna Heim
 |  aktualisiert: 09.02.2024 23:16 Uhr

Die meisten Bewohner von Seniorenheimen in Unterfranken dürfen seit den Lockerungen im Mai unter Auflagen zwar wieder Besuch empfangen, richtig nahe kommen können sich die Angehörigen aber nicht. Abstand halten ist Pflicht, Besucher und Bewohner müssen zumindest eine Maske tragen. Berührungen sind gar nicht erlaubt. Die Angst, dass die geliebte Mutter oder der Opa durch die fehlenden sozialen Kontakte psychisch und physisch abbauen, belastet viele Angehörige. Im Gespräch mit der Redaktion äußern sie Kritik an den allgemeinen Hygiene-Vorschriften und strengen Besuchsregelungen. Da gehe die Menschlichkeit verloren, heißt es.

Schwere Zeiten auch für Angehörige

"Ich habe ihr immer die Haare gemacht und meine Schwester ihre Nägel", erzählt Karola Stock aus Bergtheim (Lkr. Würzburg). Stocks Mutter lebt seit drei Jahren in einem Seniorenheim im Landkreis  Schweinfurt. Die aktuelle Situation sei sehr belastend für sie, so Stock, denn in Zeiten vor Corona hätten sie und ihre Schwester die 85-Jährige so oft es ging besucht und gepflegt. Sie sorgt sich um ihre Mutter. "Keiner kann ihr für sie nachvollziehbar erklären, warum sie auf einmal keinen Besuch mehr bekommt, warum sie ihr Zimmer nicht verlassen soll, warum sie eine Maske tragen muss", erzählt die 61-Jährige.

"Wir müssen im Sinne der Menschen wieder einen Schritt weiter gehen."
Raimund Binder, Leiter des Marie-Juchacz-Haus in Würzburg

Dass bei Besuchen der Abstand eingehalten werden muss, kann die Frau aus Bergtheim nachvollziehen. Dennoch sei die Situation schwierig, da die Mutter schlecht sehe und höre. Drei Meter Abstand gelten laut Stock momentan in dem Seniorenheim, was die Kommunikation zwischen Mutter und Tochter noch erschwert. "Ich habe auch gefragt, ob ich sie wenigstens mit Handschuhen berühren dürfte", erzählt Kolb, was das Hygienekonzept des Altenheims jedoch nicht zulasse.

Kritik an Besuchsregelungen

"Die Sinnhaftigkeit der gesetzlichen Besuchsregelung wird hinterfragt und von vereinzelten Bewohnern und Angehörigen nicht mehr so akzeptiert wie zu Beginn der Pandemie", sagt René Kinstle, Leiter des Diakonie-Seniorenhaus Mühlenpark in Kitzingen. "Die Leute werden ungeduldiger", stimmt auch Raimund Binder zu, Leiter des Marie-Juchacz-Haus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Würzburg. Mancher Besucher verstehe nicht, warum er nicht auf das Einzelzimmer des Angehörigen gehen darf. "Einige Bewohner teilten mir mit, dass sie sich an ihre Kriegsgefangenschaft zurückerinnern", erzählt Kinstle. "Andere fragten mich, ob sie jetzt im Zoo seien, weil sie hinter Glas säßen und winken müssen." Deshalb könne er Angehörige gut verstehen, die sagen, dass die Bewohner auch Schutz vor sozialer Isolation und der Einschränkung ihrer Rechte benötigen.

Auch Kathrin Tatschner, Chefärztin der geriatrischen AWO-Rehabilitationsklinik in Würzburg berichtet, dass Angehörige der Patienten mit den Besuchsregelungen unzufrieden sind. Im Gespräch mit dieser Redaktion kritisiert deswegen ein Angehöriger: "Es kommt mir vor wie Willkür, dass jede Einrichtung etwas anderes macht." Er sorge sich, dass die Besuchsregelungen zu Folgeschäden bei den Angehörigen führen könnten, wie beispielsweise einer Depression.

"Das oberste Ziel ist immer der Schutz der Patienten."
Kathrin Tatschner, Chefärztin der Rehaklinik der AWO in Würzburg

Laut Staatsregierung ist ein Hygienekonzept in den Einrichtungen zwar weiterhin Pflicht, ab 29. Juni werden jedoch "die derzeitigen Besuchsbeschränkungen durch einrichtungsindividuelle Schutz- und Hygienekonzepte ersetzt". Dadurch will die Regierung sozialer Isolation und Vereinsamung entgegenwirken. Wesentliche Eckpunkte seien dann unter anderem das Einhalten von Mindestabständen und Hygieneregeln, aber auch die Berücksichtigung von Terminwünschen der Bewohner.

"Die Verantwortung tragen wir, nicht die Staatsregierung", appelliert die Chefärztin. Das oberste Ziel sei immer der Schutz der Patienten. Denn damit die Reha-Einrichtung weiterhin coronafrei bleibt, müssten sich die Mitarbeiter auch privat zurückhalten. Dazu kommt, dass sich seit der Pandemie der Arbeitsaufwand für viele Mitarbeiter noch gesteigert hat, so der deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) in einer Pressemitteilung Ende Mai. "Unsere Schwestern haben viel mehr zu tun, beispielsweise wegen des Besuchsdienstes an den Wochenenden", bestätigt Tatschner. Um diesen überhaupt ermöglichen zu können, musste sie drei weitere Mitarbeiter anstellen. Auch der Leiter des Marie-Juchacz-Haus musste für die Umsetzung der Besuchsregelung bereits sein Personal aufstocken. Trotz des Aufwands appelliert Raimund Binder: "Wir müssen im Sinne der Menschen wieder einen Schritt weiter gehen."

Lockerungen schwer umsetzbar bei Demenzpatienten

Besonders schwierig ist Situation seit März für Demenzpatienten in den Pflegeeinrichtungen. "Das ist eine absolute Herausforderung", erklärt Binder. Denn die Erkrankten könnten schlecht den notwendigen Abstand einhalten. Sie brauchen den Körperkontakt, so der Leiter. Kinstle berichtet noch von einem weiteren Problem: "Nach den ersten Besuchsmöglichkeiten haben einige Bewohnerinnen und Bewohner ihre Angehörige nicht mehr erkannt." Schwierigkeiten gibt es laut Binder auch beim Einhalten der Mund-Nasen-Schutz-Pflicht. Während mancher Erkrankter den Schutz aufsetzt und dann glatt vergisst, wehrt sich ein anderer gegen die Maske, berichtet Binder. Zusätzlich leide die Kommunikation unter der Maskenpflicht, da die Gesichtsmimik des Gegenübers, an der sich Demenzpatienten orientieren können, verloren gehe.

 
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  • Blum66
    Nur das Geld interessiert, vielleicht nicht bei den direkten Pflegepersonal aber die Stufen darüber.
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  • Ankalto4
    Es geht nicht nur um Hochbetagte. Mein Mann ist 65. Vor Corona war ich an 4 Tagen im Pflegeheim. Bin oft mit ihm draußen gewesen. Jetzt hat er das Gehen verlernt, vermisst Berührungen und die Kontakte zur Außenwelt. Diese Plexiglas-Besuche bringen wenig. Man hat den Eindruck, es bleibt so, bis der Impfstoff verfügbar ist.
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  • saaleufer
    Der Satz: "die Mitarbeiter sollen sich privat zurückhalten"............Knast auch für Mitarbeiter, in ihrer rar bemessenen Freizeit. Diktatur nenne ich das. Kein Wunder, daß den Job keiner mehr machen will, ein Zirkus sondergleichen ist das in den Altenheimen.
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  • LangLang
    Ja, da kann ich nur zustimmen. Die alten, dementen Angehörigen erkennen nach Wochen der Isolation ihre nahen Verwandten nicht mehr. Man hat keine Chance sie in vertrauter Umgebung in ihrem Zimmer zu besuchen. Was hilft es da, wenn sie 97, 98 oder gar 100 Jahre werden - in völliger Isolation, alleine gelassen. Soll man nur noch auf den Anruf warten, dass sie verstorben sind? Man ist völlig außen vor, hat keine Kontrolle, da wächst unvermeidbar das Misstrauen - dazu wenn es am Telefon durch zufall heißt, der Notarzt war da und wir wissen nichts davon............
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  • Michael Fischer
    Was mit den alten Leuten gemacht wird ist eine Frechheit. Kein VDK oder Kirche sagt etwas dagegen.
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  • ub-ejournals@uni-wuerzburg.de
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