"Es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn man sich gegenüber sitzt", sagt Helga Stelter. Die 83-Jährige ist Bewohnerin des Marie-Juchacz-Haus in Würzburg und freut sich darauf, ihre Familienangehörigen wiederzusehen. Bislang galt in den Seniorenheimen in Bayern striktes Besuchsverbot. Ab diesem Wochenende gibt es jedoch einen Lichtblick für Heimbewohner und deren Angehörige. Nachdem bayernweit Lockerungen zur Ausgangssperre in Kraft treten, ist auch der Besuch in den Heimen wieder erlaubt. Das Marie-Juchacz-Haus in Würzburg hat dafür ein eigenes Konzept entwickelt, den "Raum der Begegnung".
Die letzten zwei Wochen seien die Senioren ungeduldiger geworden, hätten nach Lockerungen verlangt, "wollen, dass das Leben wieder normal wird", erklärt Raimund Binder, Leiter des Marie-Juchacz-Hauses der AWO in Würzburg. Doch normale Besuche blieben verboten. Lediglich einen vorläufigen Testlauf habe man gestartet, um zu sehen, wie das Zusammentreffen zwischen den Senioren und deren Familienmitgliedern klappen könnte. "Mit Mund-Nasen-Schutz und zwei Metern Abstand dürfen sich Bewohner und deren Angehörige wieder sehen", erläutert er. Nach den Auflagen des Gesundheitsministeriums ist zwar nur ein Abstand von 1,5 Metern vorgeschrieben – der Leiter des Heimes möchte allerdings das potenzielle Infektionsrisiko so gering wie möglich halten.
Besuch mit Schutzmaßnahmen
Als ein "Raum der Begegnung" dient das Café des Seniorenheims, welches über mehrere Ein- und Ausgänge verfügt. Über den einen betreten die Besucher den Raum, über den anderen die Senioren. Quer durch den Raum verläuft eine Reihe an zusammengeschobenen Tischen, auf beiden Seiten stehen vereinzelt Stühle. Das Mobiliar haben die Mitarbeiter so angeordnet, dass mindestens zwei Meter Abstand zwischen Besucher und Besuchtem liegen. Auf dem Tisch liegt außerdem ein Metermaß. "Das dient optisch nochmal dazu, den Abstand klar zumachen", erklärt der Leiter.
Die Begegnung sei jedoch nicht das gleiche wie ein Besuch, stellt Binder klar. "Wenn ich meine Mutter besuche, dann begrüße ich sie, falle ihr um den Hals. Das ist nicht möglich." Für das Wochenende richten die Mitarbeiter gerade weitere Begegnungsräume her. "Während andere Einrichtung ihre Zimmer für so etwas leer räumen, räumen wir sie voll", sagt Binder schmunzelnd. Anstelle von Markierungen auf dem Boden, werden auch in den anderen Räumen große, schwere Tische zwischen den Sitzplätzen platziert, um dadurch den Sicherheitsabstand zu gewährleisten – ganz nach Vorbild des Begegnungsraums im Café.
Rückblickend gesehen, sei die Situation der letzten Wochen keine leichte gewesen, erklärt der 55-Jährige: "Wir haben alles getan, dass den Leuten klar ist, es ist zwar eine besondere Situation, aber wir leben hier." Um wegen des Virus auf Nummer Sicher zu gehen, hat das Seniorenheim bereits Anfang März seine Türen geschlossen, noch bevor die offiziellen Kontaktbeschränkungen erlassen worden sind. Mit Erfolg, denn im Marie-Juchacz-Haus ist bislang keiner der 100 Senioren an Corona erkrankt. Für die Mitarbeiter des Heims steckt dahinter jedoch ein enormer Aufwand.
Herausforderung die Mitarbeiter
Innerhalb der letzten Wochen wurden die Arbeitsplätze für die Betreuung der Bewohner aufgestockt: Angestellte, die normalerweise im ambulanten Pflegedienst oder in der Tagespflege arbeiten, kümmern sich seither um die Senioren, die auf vier Etagen in dem Heim leben. Für zusätzlichen Schutz seien die Mitarbeiter auf die einzelnen Stockwerke aufgeteilt worden, um den Kontakt zwischen den einzelnen Etagen zu verhindern, berichtet Binder.
Doch nicht nur für Pflegekräfte waren die letzten Wochen eine Herausforderung – auch in der Verwaltung des Heims gab es jede Menge zu tun. Die Telefone liefen heiß. Nach jedem neuen Beschluss des Ministeriums klingelte es bei Magdalena Fritz, die in der Verwaltung des Seniorenheims arbeitet. Täglich würden außerdem die Angehörigen anrufen, um nach dem neusten Stand zu fragen. "Da muss man einfach mit den Leuten kommunizieren", sagt die 20-Jährige. "Aber sobald dann erstmal jeder Bescheid weiß, beruhigt sich die Lage."
Möbelstücke verhindern Körperkontakt
Aber was, wenn die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten werden? Auf ständige Kontrollen, ob Besuch und Besuchter die Regeln einhalten, will der Leiter des Seniorenheims wenn möglich verzichten. "Ich glaube, das kann man den Leuten zutrauen, dass sie verantwortungsbewusst umgehen", erklärt er. "Und die Menschen haben ja auch ein Recht auf Privatsphäre."
Und was ändert sich ab diesem Wochenende für das Seniorenheim? Vor allem in der Verwaltung wird das Heim mehr Personal benötigen. "Da brauchen wir mehr Leute, die in der Koordination mithelfen", ist sich Binder sicher. Denn jedem Besucher muss ein Termin zugeordnet werden. Zusätzlich bekäme der Besucher eine Sicherheitsunterweisung und müsse eine Erklärung unterschreiben, um zu bestätigen, dass er gesund ist. Pro Person dauert das circa zehn Minuten.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) kritisiert unterdessen die Lockerung der Besuchsregelung: "Es ist niemand darauf vorbereitet, wenn neben 100 Bewohnerinnen und Bewohnern noch 100 Angehörige eine Einrichtung aufsuchen", heißt es in einer Pressemitteilung. Ein Überrumplungsmanöver sei wenig hilfreich, findet Marliese Biederbeck, Geschäftsführerin des DBfK Südost. Dem Argument hält der Leiter des Heims entgegen: Nicht jeder Senior des Heims würde täglich Besuche empfangen. Für das Wochenende hat Binder insgesamt 18 Besuchstermine vergeben – und das tägliche Besucherlimit des Seniorenheims liegt vorerst bei 20 Personen. Die Bewohner dürfen maximal einen Angehörigen pro Tag sehen, für höchstens eine Stunde.