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Würzburg/Schweinfurt
Corona-Leserfragen: Wann kollabiert das Gesundheitssystem?
Zahlreiche Leser sind dem Aufruf gefolgt und haben uns ihre Fragen zur Corona-Pandemie geschickt. Experten geben die Antworten. Hier: Was ist die "kritische Masse"?
Prof. Lars Dölken ist Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Chef der Virusdiagnostik an der Universität Würzburg.
Foto: Daniel Peter | Prof. Lars Dölken ist Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Chef der Virusdiagnostik an der Universität Würzburg.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:24 Uhr

Zu Beginn der verschärften Einschränkungen haben wir unsere Leser dazu aufgerufen, uns ihre Fragen zum Thema Corona und den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu schicken. Nach und nach wollen wir diese Fragen mit Hilfe von Experten beantworten.

Ein Leser aus Schweinfurt wollte wissen, was die sogenannte kritische Masse ist, die unser Gesundheitssystem zusammenbrechen lässt.

Eine Frage der Kapazitäten von Kliniken und Gesundheitsämtern

"Es gibt keine konkrete Zahl für eine Überforderung des Gesundheitssystems", erklärt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Klar sei aber, dass es in drei Bereichen zu Problemen kommen könnte, sollte das Infektionsgeschehen weiter so dynamisch sein: in Laboren, Kliniken und Gesundheitsämtern.

"Es zeigt sich derzeit bereits eine sehr hohe allgemeine Inanspruchnahme der Labordienstleistungen", so das LGL. Die Folge: In einigen Laboren werden die Testkits und anderes Material knapp. Das könne wiederum zu "längeren Wartezeiten auf Testungen und Befunde" führen.

"Einige wenige Kliniken stoßen bereits jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen."
Prof. Lars Dölken

Was die stationäre Versorgung von Corona-Infizierten angeht, komme es darauf an, wie viele SARS-CoV-2-Patienten die Kliniken behandeln können, ohne dass die Behandlung anderer Patienten darunter leidet, sagt der Würzburger Professor Lars Dölken. Es sei schwierig, hier eine konkrete Zahl zu nennen. "Einige wenige Kliniken stoßen bereits jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen. Derzeit können sich aber benachbarte Regionen noch helfen", so der Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Chef der Virusdiagnostik an der Uni Würzburg.

In den meisten Landkreisen Deutschlands sei das Limit "sicherlich noch nicht erreicht". Ist es aber erst einmal soweit, "ist es zu spät und viele Menschen müssen unnötig sterben", sagt Dölken. Der Virologe geht davon aus, dass in England " wohl die Hälfte der mehr als 40 000 Toten dort hätte vermieden werden können", wäre der Lockdown ein bis zwei Wochen früher erfolgt.

Mögliche Patientenströme besser steuern

Um einer Überlastung vorzubeugen, will die bayerische Staatsregierung mögliche Patientenströme steuern. Es sei wichtig, "die Bettenbelegung noch effizienter zu lenken und auch damit die Kliniken zu unterstützen", so das LGL. Dafür greifen man "auf ein bewährtes Instrument aus der ersten Phase der Pandemie zurück" und führe die "Ärztlichen Leiter Krankenhauskoordinierung" wieder ein. Sollte es die Lage erfordern, werde man "weitere Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel künftig wieder Kapazitäten für Covid-19-Erkrankte freizuhalten".

"Der Kollaps des Gesundheitssystems kommt nicht langsam, sondern mit einem Knall."
Prof. Lars Dölken

Ein mögliches Problem für die Kliniken könnten laut Dölken steigende Infektionszahlen innerhalb des Klinikpersonals werden, sodass "die Versorgung zusammenbricht", sowie Patienten mit anderen akuten Erkrankungen, die sich zusätzlich mit Corona infizieren. Dann müssten positiv getestete Mitarbeiter, "so lange sie nicht allzu schwer krank sind", weiter eingesetzt werden. "Der Kollaps des Gesundheitssystems kommt nicht langsam, sondern mit einem Knall", warnt Dölken.

Bei den Gesundheitsämtern geht es laut Dölken um die Frage, wie viele SARS-CoV-2 Infektionen die Behörden noch umfassend bearbeiten können, um möglichst alle Kontaktpersonen identifizieren, kontaktieren und testen lassen zu können. Das "sehr dynamische Infektionsgeschehen" stelle die Gesundheitsämter hier "bereits jetzt vor sehr große Herausforderungen", heißt es beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. 

Wie lange funktioniert die Kontaktverfolgung?

Wie viel können die Ämter schaffen? "Hier liegt die Zahl bei etwa 100 Infektionen pro 100 000 Einwohner pro Woche", sagt Virologe Dölken, "temporär vielleicht auch mal bei bis zu 200." Bei höheren Inzidenzwerten sei "eine umfassende Kontaktverfolgung kaum noch zu stemmen". Die Infektionszahlen nehmen exponentiell zu: Ein rapider Anstieg des Inzidenzwertes von 25 auf 100 dauere  genauso lang wie von 100 auf 400. "Gerade in den Landkreisen, in denen die Krankenhäuser eh schon an ihr Limit stoßen, würde dies dann zum völligen Kollaps führen", sagt Dölken und verweist auf die Lage im Frühjahr in Norditalien oder New York.

 
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Kommentare
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  • P. S.
    Sehr gute Übersicht zur Gefahr in den Kliniken (auch wenn natürlich nicht repräsentativ):
    https://www.helios-gesundheit.de/fileadmin/UWS_Zentraler_Bild-_und_Filmpool/Dateien/Covid-19_Auslastung_Kliniken/Covid-19_Helios__D__Helios_Kliniken__D__0100_20201110.pdf
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  • C. L.
    Doppelter Kommentar
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  • C. L.
    Lieber steve67, zu Ihrem Link erhalte ich folgende Fehlermeldung (ein Kopierfehler des Links meinerseits dürfte keiner vorliegen):

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    The requested URL /fileadmin/UWS_Zentraler_Bild-_und_Filmpool/Dateien/Covid-19_Auslastung_Kliniken/Covid-19_Helios__D__Helios_Kliniken__D__0100_20201110.pdf was not found on this server.
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