Prof. Lars Dölken, ist seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Chef der Virusdiagnostik an der Universität Würzburg. Wir sprachen mit ihm über die zweite Corona-Welle und warum für einige europäische Länder der Impfstoff zu spät kommen könnte. Außerdem erklärt der Virologe, warum er Masken für viel wirksamer hält als ein Beherbungsverbot.
Lars Dölken: Das kann man definitiv ausschließen. Aufgrund der recht langen mittleren Erkrankungsdauer hinken die Todeszahlen der Zahl von Neuinfektion grundsätzlich etwa vier Wochen hinterher. Derzeit steigen in vielen Ländern die Infektionszahlen wieder deutlich schneller. Das sieht dann natürlich so aus, als würden jetzt viel weniger Menschen an dem Virus versterben als noch im Frühjahr. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern beträgt die Zahl an täglichen Covid-19-Toten derzeit etwa ein Prozent der täglichen Anzahl an Neuinfektionen von vor vier Wochen. Bei uns wurden Anfang September im Durchschnitt etwa 1200 Infektion pro Tag nachgewiesen, in Frankreich bereits rund 8000. Derzeit versterben pro Tag in Deutschland etwa elf Personen, in Frankreich 75. Aktuell liegen wir im Sieben-Tage-Durchschnitt pro Tag bei 3500 nachgewiesenen Infektionen. In vier Wochen werden also bei uns etwa 35 Menschen pro Tag an Covid-19 versterben.
Dölken: Im Vergleich zum März und April wird natürlich jetzt viel mehr getestet. Die Dunkelziffer in der ersten Welle betrug aller Voraussicht nach das fünf- bis zehnfache der nachgewiesenen Infektionen. Wir hatten daher in Deutschland an einigen Tagen sicherlich 25 000 bis 50 000 Infektionen – bei bis zu 315 Toten an einem Tag: das entspricht einer Todesrate von 0,6 bis 1,2 Prozent. Das Virus ist also nicht harmloser geworden, auch wenn sich unsere Behandlungsmöglichkeiten verbessert haben.
Sind die bis zu 315 Todesfälle an einem Tag verglichen mit den Grippe-Todesfällen im Winter denn so viel mehr?
Dölken: In der Tat waren auch die 315 Corona-Toten an einem Tag Mitte April bei uns nicht viel mehr als sonst auch in einer durchschnittlichen Influenza-Saison auftreten. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben unserer Politiker bei der ersten Welle rechtzeitig und entschlossen reagiert. Das zentrale Problem jetzt in der zweiten Corona-Saison ist, dass diese nicht wie die erste nur zwei, sondern sechs Monate dauern wird – nämlich bis Ende April nächsten Jahres. Am Beispiel von unserem Nachbarland Tschechien wird das Problem vielleicht am klarsten ersichtlich. Dort wird derzeit täglich SARS-CoV-2 bei gut 5000 Menschen erstmals nachgewiesen, 43 versterben im Schnitt. Vor acht Wochen waren es dort nur etwa 240 Infektionen pro Tag. Berücksichtigt man, dass Tschechien nur 10,7 Millionen Einwohner statt der 83 Millionen in Deutschland hat, so entsprächen die 5000 Infektionen dort bei uns über 43 000 Infektionen pro Tag.
Dölken: Hier hat er zwar grundsätzlich Recht, da dies in der Folge wohl "nur" zu etwa 200 Corona-Toten pro Tag bei uns führen wird. Entscheidend ist aber erstens für wie lange wir 20 000 Infektionen am Tag aushalten müssen, und zweitens wann diesen Winter bei uns ein solcher Wert erstmals erreicht wird. Ich wäre glücklich, wenn wir im Mai nächsten Jahres zurückblicken könnten und im Maximum 20 000 Infektionen pro Tag festgestellt hätten. Die Zahlen werden aber bei 20 000 nicht stehen bleiben, sondern exponentiell weiter ansteigen. Da sind wir schnell bei mehreren hunderttausend Neuinfizierten pro Tag: 0,5 bis 1 Prozent davon werden an Covid-19 versterben. Einen zweiten generalisierten Lockdown darf es aber aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht nicht geben. Mit Infektionszahlen wie derzeit in Tschechien bereits ganz zu Beginn einer sechs Monate dauernden Covid-19-Saison . . . das wird hart.
Dölken: Wir haben bislang versucht, vor allem draußen Essen zu gehen. Jetzt geht das natürlich nicht mehr. Trotzdem war ich inzwischen auch schon mal drinnen in einem Restaurant zum Essen und habe mich dort sehr sicher gefühlt. Man sollte drauf achten, dass genügend Platz vorhanden ist, so dass die Abstände zwischen den Tischen eingehalten werden können. Ich fürchte aber, dass die Situation für die Restaurants problematisch werden wird, da mit einem Ansteigen der Zahlen auch die Angst der Leute zunehmen wird – ob begründet oder nicht, ist dann egal. Auch dies ist ein Grund dafür, die Zahlen nicht weiter sprunghaft ansteigen zu lassen.
Dölken: Es gibt inzwischen sehr gute Hinweise darauf, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Infektionskontrolle leisten können. Betrachten wir zum Beispiel das jüngste Infektionsgeschehen in einigen Würzburger Schulen. Es gab positive Fälle nach den Ferien von Lehrern und Schülern, aber keine Übertragungen innerhalb der einzelnen Klassen. Ich hatte klar erwartet, dass wir diese sehen würden. Offensichtlich haben also die Hygienekonzepte hier gegriffen. Wie groß der Anteil der Masken daran war, ist schwer zu sagen. Wenn aber nur fünf Prozent aller Infektionen durch die Masken verhindert würden, hätte das schon einen erheblichen Effekt über die nächsten sechs Monate. Wenn man nämlich bedenkt, dass diese Infizierten auch wieder neue Personen infizieren, dann träten bis Weihnachten in Deutschland ohne Masken doppelt so viele Neuinfektionen auf wie beim Tragen von Masken - bis Mitte März wären es viermal so viele. Die Wirkung steigt über die Zeit exponentiell an. Ich selbst mag Masken auch nicht. Dauernd beschlägt die Brille. Und es ist schwer in Zahlen zu fassen, wie viel die Masken genau bringen. Ich finde es allerdings grob fahrlässig, das Tragen von Masken kategorisch abzulehnen. Zumal es für die allermeisten von uns eher nervig ist, aber kein wirklich echtes Problem darstellt. Für mich ist dies daher ein kleiner, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr wichtiger Beitrag, den jeder von uns leisten kann, um die Infektionszahlen nicht noch schneller ausufern zu lassen.
Dölken: In seiner jetzigen Form sehr wenig. Das uneinheitliche Vorgehen der Länder untergräbt nur maximal die Akzeptanz der anderen Corona-Maßnahmen. Grundsätzlich kann ich sehr gut nachvollziehen - und halte es auch für sinnvoll -, dass Regionen mit sehr geringen Infektionszahlen hier Beschränkungen einführen. Das trifft aber nur noch für sehr wenige Regionen zu, zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. Es macht aber aus virologischer Sicht keinerlei Sinn, dass zum Beispiel ein Landkreis mit 24 Infektionen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen anders behandelt wird als ein anderer Landkreis mit 51 Infektionen pro 100 000 Einwohnern. Da kann auch Würzburg als Beispiel dienen. Kurzzeitig hatten wir über 50, wenige Tage später schon wieder unter 50. Geändert hat sich dabei für das Risiko, das von jedem einzelnen von uns ausgeht, nichts. Genauso bin ich gegen mögliche Grenzschließung in der Zukunft. Diese gehen an der Wirklichkeit der Pandemie vorbei, bringen im Kampf gegen das Virus nicht viel, erzeugen für die Betroffenen nur maximale Probleme und vernichten somit die Akzeptanz für andere Maßnahmen. Wir müssen hingegen die Menschen davon überzeugen, unnötige Reisen ausfallen zu lassen und private Feiern zu verschieben oder zumindest auf einen kleinen Personenkreis zu reduzieren. In Würzburg ist bei Screening-Tests derzeit weniger als eine von 100 Personen mit dem Virus infiziert. Ich würde daher momentan auch in Würzburg nicht mit 25 Personen feiern wollen.
Dölken: Ein Sonnenstrahl am Horizont sind die laufenden Phase-III-Studien von gleich drei vielversprechenden SARS-CoV-2-Impfstoffen. Zehntausende wurden im Rahmen dieser Studien inzwischen geimpft. Auch wenn über die Wirksamkeit noch keine abschließenden Daten vorliegen, so traten offensichtlich zumindest keine katastrophalen Nebenwirkungen auf. Bis Anfang November werden wir hier Klarheit erlangen. Erste Zulassungen erfolgen hoffentlich noch in diesem Jahr. Wir werden sie im Frühjahr aber auch dringend brauchen - je früher, desto besser. Nur sie werden ein vorzeitiges Ende der zweiten Covid-19-Saison ermöglichen und viel persönliches Leid verhindern. Für einige europäische Länder droht der Impfstoff aber zu spät zu kommen.
aber wir sind derzeit, was die Infektionen angeht, in einer Phase, in welcher sich die Zahlen signifikant verdoppeln und verdreifachen. Dies ist nicht das wirklliche Problem, sondern die Gefahr besteht mittelfristig darin, dass Infizierte, welche auf Intensivstationen behandelt werden müssen, möglichst zahlenmäßig nicht durch die Decke schießen und somit die Kapazitäten in den Kliniken gefährden. Steigt die Zahl der Infizierten, steigt automatisch auch die Anzahl jener Infizierten, welche einen schweren Verlauf vorweisen. Ich weiß nicht was daran so schwer zu verstehen ist.
Aber: Egal welche Annahmen, Berechnungsmethoden und Hypothesen man ins Feld führt, Der Trend zeigt in allen Modellen klar nach oben.
Und nur das zählt. Wenn die kritische Masse erreicht wird, ist dieses Schneballsystem nicht mehr zu stoppen. Das muss verhindert werden.