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Würzburg
Corona-Krise: Mehr Unterfranken suchen Hilfe bei Sozialverband
Durch die Corona-Krise müssen Menschen mit geringem Einkommen die stärksten Einbußen hinnehmen. Welche sozialen Folgen die Pandemie hat, erklärt Carsten Vetter vom VdK.
Fast zwei Millionen Kinder in Deutschand leben in einem Hartz-IV-Haushalt. Die aktuelle Krise trifft arme Menschen besonders hart, sagt Carsten Vetter vom Sozialverband VdK in Würzburg. 
Foto: Jens Kalaene, dpa | Fast zwei Millionen Kinder in Deutschand leben in einem Hartz-IV-Haushalt. Die aktuelle Krise trifft arme Menschen besonders hart, sagt Carsten Vetter vom Sozialverband VdK in Würzburg. 
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:26 Uhr

Seit Beginn der Corona-Krise haben noch mehr Menschen als zuvor Hilfe bei Deutschlands größtem Sozialverband VdK gesucht. Der Grund: Einige Behörden waren im Lockdown nicht mehr erreichbar und die Menschen fühlen sich im Stich gelassen, berichtet Carsten Vetter, Bezirksgeschäftsführer beim VdK Unterfranken. Arbeitslosigkeit, Rente und Pflege waren die beratungsintensivsten Themen, die die Menschen umtrieben. In Bayern konnte der gemeinnützige Verband innerhalb eines Jahres 23 000 neue Mitglieder gewinnen, 4500 neue in Unterfranken. 

Frage: Wenig Platz, wenig Hilfe, wenige günstige Lebensmittel: Warum werden besonders die armen Menschen von der Corona-Krise schwer getroffen?

Carsten Vetter: Arme Menschen haben wenig oder gar kein Einkommen. Durch die Corona-Krise sind sie derzeit in Kurzarbeit oder haben ihre Arbeit ganz verloren. Das heißt, sie haben noch weniger Geld. Durch die Corona-Krise verstärken sich gesellschaftliche Missstände. Mehr als ein Fünftel aller Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor, dazu zählen Dienstleister wie Friseure, der Gastronomiebereich und Teile des Handels. Besonders hart hat es auch die Solo-Selbständigen getroffen, denn sie bekommen noch nicht einmal Kurzarbeitergeld. Die staatlichen Hilfen in  Milliardenhöhe kommen bei den Armen kaum an.

Welche Fragen hatten die Menschen, die sich beim VdK gemeldet haben?

Vetter: Es ging vor allem um den Anspruch auf das Kurzarbeitergeld. Aber es gab auch Fragen zum Thema Rehabilitation und Krankheit. Auch Arbeitslose riefen bei uns an, die wissen wollten, ob das Arbeitslosengeld verlängert wird. Es wurden ja laufend neue Gesetze gemacht. Auch zum Thema Frühverrentung gab es viele Fragen. Zum Beispiel wurden im Lockdown keine persönlichen Begutachtungen mehr gemacht. Das heißt, viele Menschen warten immer noch auf ihre Bescheide. Es bestand zum Teil eine komplexe juristische Lage, die einen hohen Aufklärungsbedarf mit sich brachte.

Carsten Vetter, Bezirksgeschäftsführer des VdK in Würzburg, vertritt die sozialpolitischen Interessen der Bürger.
Foto: Patty Varasano | Carsten Vetter, Bezirksgeschäftsführer des VdK in Würzburg, vertritt die sozialpolitischen Interessen der Bürger.
Der  VdK hat seit der Corona-Zeit immensen Zulauf. 23 000 Mitglieder konnten bayernweit neu gewonnen werden. Wie erklären Sie sich das?

Vetter: Wir konnten während des Lockdowns einen Anstieg der Beratungen um sechs Prozent feststellen. Am Telefon haben wir nicht nur Fragen beantwortet, sondern auch Einkaufs- und Nachbarschaftshilfe organisiert und Seelsorge betrieben. Als großes Problem wurde von unseren Mitarbeitern die Vereinsamung und Ängste von Menschen mit chronischen Erkrankungen wahrgenommen. Wichtig war das Zuhören, das Verringern von Ängsten, das Mut zusprechen. Und: Wir waren vor allem für die Menschen erreichbar.

Welche Behörden waren nicht erreichbar?

Vetter: Einige Arbeitsagenturen waren während des Lockdowns nicht erreichbar. Auch die Deutsche Rentenversicherung hatte teilweise nur ein Band laufen: "Wegen Corona sind wir derzeit nicht erreichbar." In einigen Behörden hat kein Service und keine Beratung stattgefunden. Viele dringliche Fragen konnten nicht beantwortet werden. Das wird den Menschen nicht gerecht.

Zeigt die Corona-Krise die sozialen Ungleichheiten der Gesellschaft?

Vetter: Ja, sehr deutlich wurde das beim Home-Schooling während des Lockdowns. Jeder vierte Schüler blieb beim Daheim-Unterricht außen vor, weil zu Hause die digitale Ausstattung fehlt, ganz zu schweigen von Druckern für das Arbeitsmaterial. Systemrelevante Berufstätige arbeiten auch nicht im Homeoffice, sie setzen sich auf ihrem Arbeitsweg und am Arbeitsplatz Ansteckungsgefahren aus und bleiben trotzdem unterdurchschnittlich bezahlt. Sie können ihren Job nicht von zu Hause erledigen, denn für ihren Arbeitsplatz im Supermarkt, Krankenhaus oder beim Friseur gibt es keine Videokonferenz.

'Armut vererbt sich: Einmal arm, immer arm. Durch Corona werden noch mehr Kinder verarmen', sagt Carsten Vetter von der VdK Unterfranken.
Foto: Peter Kneffel | "Armut vererbt sich: Einmal arm, immer arm. Durch Corona werden noch mehr Kinder verarmen", sagt Carsten Vetter von der VdK Unterfranken.
Droht die Corona-Krise das Problem der Kinderarmut zu verschärfen?

Vetter: Immer mehr Kinder und Jugendliche leben in Hartz-IV-Haushalten. Und Armut vererbt sich: Einmal arm, immer arm. Durch Corona werden noch mehr Kinder verarmen. Es braucht jetzt schnelle, unbürokratische Unterstützung wie Aufschläge oder Zuschüsse für Computer, Internetanschlüsse oder Drucker. Wenn die Schulen länger geschlossen bleiben, werden die Kinder ohne Soforthilfe abgehängt. Sie leiden so schon extrem unter den Alltagsbeschränkungen. Das Finanzielle muss stimmen, damit ein gesundes Aufwachsen mit den gleichen Chancen auf Bildung und soziale Teilhabe sichergestellt ist.

Was kann der Staat denn Ihrer Meinung nach tun?

Vetter: Der VdK fordert eine einmalige Vermögensabgabe. Diese wird übrigens auch vom Grundgesetz in Ausnahmesituationen wie der aktuellen gedeckt. Deutschland ist ein Land der sozialen Ungleichheit. Eine Hälfte der Bevölkerung besitzt 99 Prozent des gesamten Vermögens, die andere Hälfte nur ein Prozent. Nur Menschen und Betriebe mit großem Vermögen sollen herangezogen werden, und es soll ein Freibetrag von einer Million Euro gelten. Selbst bewohnte Immobilien blieben steuerfrei. Nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung wäre von der Vermögensabgabe betroffen. Doch der Effekt wäre enorm, wir sprechen von zusätzlichen Steuereinnahmen im Milliardenbereich.

Was passiert ohne Vermögensabgabe?

Vetter: Die Tilgung der Corona-Schulden darf nicht über kurz oder lang durch Leistungskürzungen im Sozialbereich erfolgen, wie es teilweise bereits gefordert wird. Das würde die soziale Ungleichheit weiter vorantreiben und den sozialen Frieden gefährden. Das schadet der Wirtschaft mehr als krisenbedingt vorübergehend steigende Sozialausgaben. Die Wirtschaft kann dankbar sein, dass es Sozialleistungen wie Kurzarbeitergeld gibt.

Sozialverband VdK

Der Verbandsname "VdK" war ursprünglich die Abkürzung für "Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands". Heute ist der Verband mit zwei Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband Deutschlands. Er vertritt sozialpolitische Interessen und setzt sich für einen starken Sozialstaat, eine tragfähige gesetzliche Sozialversicherung und soziale Gerechtigkeit ein. In Bayern hat der VdK derzeit 732 000 Mitglieder, in Unterfranken 95 500. Seit Beginn der Corona-Krise traten bayernweit 23 000 Menschen neu in den Verband ein, 4500 in der Region. In Unterfranken arbeiten 100 hauptamtliche Mitarbeiter und 1000 ehrenamtliche beim VdK.
Carsten Vetter, Jahrgang 1972, ist seit 2010 Bezirksgeschäftsführer beim VdK in Unterfranken. Er  hat in Würzburg Rechtswissenschaften studiert und war vorher als Rechtsanwalt tätig. Vetter ist verheiratet und Vater zweier Töchter (15 und 16). 
Quelle: VdK
 
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