In diesem Jahr ist in Sachen Rente alles in trockenen Tüchern. Durch die positive wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre sind die Renten zum 1. Juli sogar noch einmal kräftig gestiegen, im Westen um 3,45 und im Osten im 4,20 Prozent. Doch wird es auch in Zukunft solche Steigerungen geben? Wie wirkt sich die Corona-Krise auf das Rentensystem aus? Mit der Frage, wie es mit der gesetzlichen Rente weitergeht beschäftigt sich auch Professor Hans Fehr vom Lehrstuhl für Finanzwissenschaften an der Universität Würzburg.
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Hans Fehr: Die Bundesagentur für Arbeit kommt zu der Einschätzung, dass die Corona-Pandemie in Deutschland zur schwersten Rezession in der Nachkriegsgeschichte führen wird. Die Pandemie verursacht einen Beschäftigungsrückgang. Kurzarbeit und andere Maßnahmen federn ihn ab. Dennoch kommt es zu einem Rückgang der Lohnsumme. Sie stellt die Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung dar. Das wird im nächsten Jahr Folgen für die Rente haben.
Fehr: Die zukünftigen Anpassungen der Renten an die nun krisenbedingt stagnierenden oder gar negativen Lohnentwicklungen würden die Renten eigentlich mit der gleichen Verzögerung stagnieren oder gar fallen lassen. Allerdings gibt es eine 2005 eingeführte Regelung im deutschen Rentenrecht, die ein Absinken des Rentenwertes verhindert: die Rentengarantie. Das bedeutet, dass die Renten zwar stagnieren können und nicht mehr steigen, aber Rentner keine Verluste, wie die Beitragszahler durch gesunkene Lohneinkünfte in den Jahren zuvor, verschmerzen müssen. Die Renten können also nicht sinken, eine oder zwei Nullrunden für die Rentner sind aber durchaus denkbar.
Fehr: Zum letzten Mal ist es 2010 passiert – im Jahr nach der Finanzkrise – dass eine Rentenerhöhung ausfiel. Seitdem sind die Renten jedes Jahr gestiegen, zum Teil kräftig. Gerade hat die Rentenversicherung bei ihrer Bundesvertreterversammlng bestätigt, dass die Renten 2021 nicht steigen werden.
Fehr: Nach der Krise ist zu erwarten, dass die Löhne wieder ansteigen. Davon werden auch die Rentner – wieder zeitversetzt um ein bis zwei Jahre – profitieren. Neu ist, dass die Bundesregierung mit dem Rentenpakt 2018 und der Einführung der "doppelten Haltelinie" den Nachholfaktor bis 2025 ausgesetzt hat. Damit werden die Rentner also voll am "Aufschwung" beteiligt, obwohl sie beim "Abschwung" keine negativen Einbußen hatten. Die Krise trifft also Erwerbstätige und künftige Rentner stärker als Menschen, die bereits in Rente sind.
Fehr: Der Druck auf das Rentensystem steigt in den nächsten Jahren, das hat gar nichts mit Corona zu tun. Wenn also die Beschäftigung aufgrund der demografischen Entwicklungen zurückgeht, könnte die Politik künftig das Rentenniveau von derzeit garantiert mindestens 48 Prozent absenken, den Beitragssatz der Beitragszahler von derzeit 18,6 Prozent erhöhen und so die Beitragseinnahmen konstant halten. Sie könnte das Rentenalter, das bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre steigt, weiter anheben und so die Anzahl der Beitragszahler erhöhen und gleichzeitig die Anzahl der Rentenempfänger senken oder den Bundeszuschuss erhöhen.
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Fehr: Das heißt, dass die Rentner nicht mehr zu 100 Prozent an der Lohnentwicklung teilhaben. Das bedeutet aber nicht, dass die Renten sinken. In den vergangenen Jahren hatten wir Rentenanpassungen, die deutlich über der Inflationsrate lagen.
Fehr: Wir müssen zum Beispiel die künftige Lebensarbeitszeit an die Entwicklung der Lebenserwartung koppeln. Wir sind hier noch sehr unflexibel. Natürlich kann ein Dachdecker nicht noch mit 70 Jahren auf dem Dach stehen. Aber es gibt durchaus viele Leute, die in der Zukunft mit 70 Jahren noch produktiv arbeiten können – und die müssen wir auch lassen. Die Lebenserwartung steigt, aber nicht für alle gleich. Deshalb sollten wir zum Beispiel nach Berufen differenzieren, ob jemand früher oder später mit bestimmten Abschlägen in Rente gehen kann.
Fehr: Ganz genau, denn wir haben nicht mehr die gleiche Lebenserwartung innerhalb einer Kohorte, also innerhalb einer Altersgruppe. Insgesamt steigt die Lebenserwartung, aber für relativ schlecht ausgebildete Menschen steigt sie weniger oder bleibt sogar konstant. Man nennt dies differenzielle Lebenserwartung. Auf mittlere Sicht werden wir diese Entwicklung bei der Rente berücksichtigen müssen.
Fehr: Das wird das grundsätzliche Problem nicht lösen. Wenn man Selbständige aufnimmt, bekommt man kurzfristig Beiträge. Aber die großen Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung werden so nicht gelöst.
Fehr: Wir reden viel über Altersarmut, aber die derzeitigen Rentner brauchen nicht über Altersarmut zu klagen. Der Anteil der Rentner, die Hartz IV beziehen, ist signifikant niedriger als in der Gesamtbevölkerung. Aber: Es wird in Zukunft mehr Altersarmut geben, weil vor allem in Ostdeutschland lange Zeiten der Arbeitslosigkeit sich bei der Rente auswirken werden. Bei der Grundrente zählt nur, ob man eine bestimmte Anzahl von Jahren eingezahlt hat. Es wäre besser, hier mehr zu differenzieren. Beides - wie hoch die Beiträge waren und wie lange man eingezahlt hat - müsste in die Rente einbezogen werden.
Fehr: So, wie die Grundrente jetzt konzipiert ist, kann es sein, dass sie diejenigen, die Altersarmut trifft, nicht erreicht. Altersarmut trifft immer noch oft Frauen. Die gesetzliche Rente kann das Problem nicht lösen, wenn Frauen zu wenig am Arbeitsmarkt waren. Das ist eine Konsequenz des gesellschaftlichen Leitbildes: Frauen bleiben zu Hause. Das rächst sich, wenn diese Frauen demnächst in die Rente kommen. Dieses Leitbild hat die Politik jahrelang gefördert.
Fehr: Wir haben ein umlagefinanziertes Rentensystem, das gut funktioniert – auch mit Corona. Die gesetzliche Rente schützt. Aber man muss sich klar sein, die gesetzliche Rente kann nicht Leute schützen, die nicht gearbeitet haben. Und sie kann nicht ein Leben auf dem Niveau garantieren, wie es im Arbeitsleben war. Das muss jedem klar sein. Daher muss man selbst zusätzlich fürs Alter vorsorgen. Die Riesterrente ist zum Beispiel eine gute Sache in die richtige Richtung.
In dem Artikel geht es um die Auswirkungen der Corornakrise bei der gesetzlichen Rente, nicht um Zusatzversorgungen.