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Würzburg
Corona-Aufarbeitung: Haben wir aus der Pandemie etwas gelernt, Herr Ullmann?
Lockdown, Schulschließungen, Impfkampagne - was war richtig, was falsch? Andrew Ullmann, FDP-Bundestagsabgeordneter und Infektiologe aus Würzburg, fordert Aufarbeitung.
Corona-Aufarbeitung per Bürgerrat? Die Idee von SPD und Grünen lehnt Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Infektiologe aus Würzburg, ab.
Foto: Thomas Obermeier | Corona-Aufarbeitung per Bürgerrat? Die Idee von SPD und Grünen lehnt Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Infektiologe aus Würzburg, ab.
Andreas Jungbauer
 und  Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 21:29 Uhr

Ausgangssperren, menschenleere Straßen, strenge Kontaktregeln, Maskenpflicht: Vieles, was im ersten Corona-Lockdown 2020 den Alltag bestimmte, scheint heute fast surreal. Was war richtig, was falsch? Um das aufzuarbeiten, müsse endlich eine Enquete-Kommission eingesetzt werden, fordert Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Infektiologe aus Würzburg. Im Gespräch erklärt der Medizin-Professor, warum für ihn die Diskussion um die Impfpflicht keine Sternstunde der Politik war und weshalb er einen Bürgerrat zur Aufarbeitung ablehnt. 

Frage: Herr Ullmann, mit dem Wissen von heute: Waren manche Maßnahmen in der Corona-Pandemie überzogen?

Prof. Andrew Ullmann: Ja, wobei man je nach Zeitpunkt unterscheiden muss: Die Kontaktbeschränkungen zu Beginn der Pandemie waren richtig, weil niemand die Folgen von Infektionen abschätzen konnte. Eine Maskenpflicht im Freien oder auch die Schulschließungen hingegen waren im Rückblick nicht sinnvoll.

Ist das die Einschätzung des Infektiologen oder des Politikers?

Ullmann: Das lässt sich nicht trennen. Grundsätzlich gibt es in der Beurteilung der Corona-Maßnahmen kein schwarz-weiß, nicht die richtige oder die falsche Maßnahme. Im Nachgang kann man vieles als falsch bezeichnen, was der ein oder andere – auch ich – schon damals kritisiert hat. Ein Beispiel ist in Bayern die Ausgangssperre ab 22 Uhr. Wichtig wäre herauszufinden, wie die Politik damals zu Entscheidungen gekommen ist.

Wurde zu viel hinter verschlossenen Türen verhandelt?

Ullmann: Die Entscheidungsfindung hätte transparenter sein müssen. Aus meiner Sicht ist es bedenklich, wie phasenweise der Bundestag nicht einbezogen wurde.

Sie fordern eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung. Was könnte die leisten?

Ullmann: In einer solchen Kommission können die Wege der Entscheidungsfindung aufgearbeitet werden. Aufgabe ist es, das, was in der Vergangenheit passiert ist, kritisch zu bewerten und konkrete Handlungsempfehlungen für die Zukunft abzuleiten. Denn klar ist: Wir müssen für die nächste Pandemie besser vorbereitet sein.

'Ein Impfstoff ohne Nebenwirkungen ist möglicherweise kein guter Impfstoff', sagt der FDP-Politiker und Infektiologe Prof. Andrew Ullmann.
Foto: Thomas Obermeier | "Ein Impfstoff ohne Nebenwirkungen ist möglicherweise kein guter Impfstoff", sagt der FDP-Politiker und Infektiologe Prof. Andrew Ullmann.
Sind wir das denn? Haben wir aus der Pandemie gelernt?

Ullmann: Seit der Pandemie wurde der öffentliche Gesundheitsdienst deutlich gestärkt. Damals wurden die Meldungen ans Robert Koch-Institut teilweise per Fax geschickt, das darf nicht mehr vorkommen. Aber auch während der Pandemie gab es gute Erfahrungen: Schnelle Diagnostik musste und konnte stattfinden, die neuen Impfstoffe waren ein Quantensprung in der Vorbeugung. Also ja, insgesamt sollten wir besser aufgestellt sein, aber optimal ist es bei weitem noch nicht.

Und wie sehen Sie aus heutiger Sicht die Diskussion um eine Impfpflicht?

Ullmann: Das war mit Sicherheit keine Sternstunde der Politik. In der Diskussion wurde fälschlicherweise behauptet, dass die Impfung vor Infektionen schützt – wobei sie "nur" das Risiko einer Erkrankung reduziert. Ziel einer Impfung war immer, die Krankenhauseinweisungen zu reduzieren. Erinnern Sie sich: Intensivstationen konnten die Zahl der Covid-Erkrankten teilweise nicht bewältigen. In der Diskussion ging es um eine allgemeine Impfpflicht – diese habe ich nicht befürwortet, sondern nur für Risikogruppen. Mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wollte man erreichen, dass sich Mitarbeiter von Kliniken oder Pflegeheimen nach einer Corona-Infektion schneller erholen und kein Personalmangel entsteht. Das war wichtig, deshalb war ich dafür.

Würden Sie heute wieder so entscheiden?

Ullmann: Als Arzt und Politiker bin ich Befürworter von Impfungen. Damals war ich nicht für eine allgemeine Impfpflicht, aber für eine verpflichtende Aufklärung und gegebenenfalls für eine nachfolgende Impfpflicht für bestimmte Risikogruppen.

Gab es die? Wurde die Bevölkerung hinreichend über Risiken der Corona-Impfung aufgeklärt?

Ullmann: Manche Politiker haben damals in Interviews gesagt, die Impfstoffe hätten keine Nebenwirkungen. Das war falsch, man nimmt die Leute damit nicht ernst und verliert Glaubwürdigkeit. Auch in meinen Vorlesungen sage ich: Ein Impfstoff ohne Nebenwirkungen ist möglicherweise kein guter Impfstoff.

"Mir persönlich waren die Expertenkommissionen manchmal zu einig."
Andrew Ullmann, FDP-Politiker, über Meinungsvielfalt in der Pandemie
Hat die Politik die Wissenschaft genutzt oder auch missbraucht?

Ullmann: Missbraucht nicht, soweit würde ich nicht gehen. Nur waren mir persönlich die Expertenkommissionen manchmal zu einig. Man hätte akzeptieren können und müssen, dass es verschiedene Meinungen gibt. Und auch die Praktiker, die Psychologen, Soziologen, Pädagogen haben mir in den Kommissionen gefehlt.

Wer müsste jetzt, bei der Aufarbeitung, ran und in einer Enquete-Kommission sitzen?

Ullmann: Eine solche Kommission setzt sich zur Hälfte aus Politikern und Fachleuten zusammen. Es wäre verkehrt, nur Mediziner reinzunehmen. Wir müssen die Pandemie mit all ihren Auswirkungen betrachten, von der Wirtschaft über die Schulen bis zum politischen Prozess. Hier geht es vor allem um die Frage: Waren die Entscheidungen so demokratisch, wie unsere Verfassung das verlangt? Der Staat muss Maßnahmen zum Schutz der Gesamtbevölkerung rechtfertigen.

Sollten auch Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden?

Ullmann: Das wäre denkbar. Ich bin kein Freund eines Bürgerrates, das würde die Aufarbeitung verwässern. Wir haben im Bundestag mit der Enquete-Kommission die nötigen Instrumente. Aber man könnte durchaus Betroffene reinholen – etwa Menschen mit Long-Covid oder Post-Vac-Syndrom. Oder Menschen, die erleben mussten, wie Angehörige isoliert und einsam gestorben oder mangels Schutzvorkehrungen an Covid gestorben sind. Oder Eltern, deren Kinder die ersten zwei Schuljahre vor allem am Bildschirm verbracht haben.

Wie dringen Sie mit Ihrem Vorschlag einer Enquete-Kommission in der Ampel-Regierung durch?

Ullmann: Meine Fraktion steht zu 100 Prozent dahinter, das ist ein Fraktionsbeschluss. Eine Enquete-Kommission könnte problemlos bis zum Ende der Legislaturperiode Ergebnisse vorlegen. Die beiden Ampel-Partner bevorzugen die Idee eines Bürgerrates als repräsentative Versammlung – diese Idee lehne ich mit dem Blick auf die Verantwortung ab. Die Verantwortung lag bei den Politikern, entsprechend müssen diese auch die politische Aufklärung angehen. Ansonsten wäre es in meinen Augen eine politische Nebelkerze.

 
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  • Robert Hippeli
    Danach sind alle schlauer!

    Der nächste unbekannte Virus wird wieder kommen und dann heißt es wieder "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste".

    Was aber bei jeder Pandemie gleich ist, und gar nicht diskutiert wird:

    - Wir brauchen einen Masterplan um ganz schnell befristet alle Grenzen zu schließen, denn dass macht ja eine Pandemie, im Gegensatz zur Epidemie, aus. Eine Pandemie ist nun mal grenzüberschreitend!

    - Des weiteren müsste jetzt schon ein bundesweit einheitliches Krisenmanagement zum einheitlichen steuern von Maßnahmen eingerichtet werden, um den Kuddelmuddel der Bundesländer zu verhindern.

    Beide Maßnahmen könnte jetzt in alle Ruhe diskutiert, eingerichtet und geübt werden. Dies wäre sinnvoller wie all die Klugscheißerei!
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  • Thomas Diener
    Das sind alles nur noch Nebelkerzen und im nachinein ist man auch immer schlauer.
    Man kann kann dies auch nit mit einer neuen Pandemei vergleichen , weil man ja die
    Auswirkungen und Ursachen dafür noch nicht kennt . Manche Kommissionen sind
    einfach nur teuer und dieses nicht einmal einstimmige Nachkarten der Ampfelfraktion
    schlichtweg überflüssig. In Schuldzuweisungen sind sich alle Politiker aller Parteien
    immer sehr schnell einig !
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  • Dietmar Eberth
    Natürlich muss man bei jeder Krise "Nachkarten" damit man beim nächsten mal besser wird. Sonst hätte man nichts aus Krise (hier Corona) gelernt
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  • Paul Schüpfer
    Soweit ich mich erinnere hat Herr Ullmann eine Impfpflicht ab 50 gefordert und nicht nur für Risikogruppen. Oder sind alle über 50 Jahren Risikogruppe? Da sollte er sich mal ehrlich machen. Insbesondere als sogenannter Liberaler ist eine die Forderung einer Pflicht zur Verabreichung von Medikamenten, die nicht erforscht sind und auch starke Nebenwirkungen haben können, nicht angebracht - egal für wen. Eine Aufarbeitung tut ansonsten dringend Not!
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  • Andrew Ullmann
    Eine Impfpflicht ab 50 Jahren, wenn ein ausreichende Immunisierung (Krankheit oder Impfung) bis zum Herbst 2022 durch eine verpflichtende Aufklärzung nicht erreicht wurde . (QUELLE: https://dserver.bundestag.de/btd/20/009/2000954.pdf) Hierzu hätte es erst im Herbst 2022 einen gesonderten BT Beschluss geben müssen. Kompliziert, ich weiß, aber Details können ausschlaggebend sein. Und die Impfstoffe sind erforscht, andere Behauptungen sind falsche Behauptungen (u.a. QUELLE: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8461570/)
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  • Anke Faust
    Hallo Herr Schüpfer, woher nehmen Sie Ihr Wissen, dass die Medikamente, ich gehe davon aus, dass Sie die Covid-19-Impfung meinen, nicht erforscht waren? Diese Aussage ist falsch.

    An m-RNA wird schon sehr lange geforscht und auch die Covid-19-Impfstoffe sind wie immer vorab getestet worden - nur eben in einer Gemeinschaftsaktion, teilweise parallel und in einem wesentlich zügigeren bürokratischen Rahmen.

    Lesen Sie gerne mal das Buch Projekt Lightspeed, in dem Uğur Şahin und Özlem Türeci, die beiden Wissenschaftler und Mitgründer von BioNTech, ihren Weg dieser Entwicklung beschreiben. Sehr spannend und lehrreich!

    Dadurch sind wir übrigens auch den lang ersehnten Krebs-Impfungen/Medikamenten wieder ein ganzes Stück näher gekommen.
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  • Günter Lutz
    Wo war Herr Prof. Ullmann während der Pandemie? Die meiste Zeit war er trotz Expertise und bester Verbindung in die Politik nicht sichtbar. Ich hatte mich damals gewundert und habe ihn am Anfang im BR gesehen, aber ansonsten hatte ich den Eindruck er war auf Tauchstation und hat sich damals dem medialen Wahnsinn entzogen.
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  • Andrew Ullmann
    Nicht wirklich, einfach in Google schauen. Aber Sie haben in einem Punkt recht, in vielen Talkshows war ich nicht. Lag aber nicht an mir.
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  • Fabian König
    Nur weil man nicht sichtbar ist, heißt das nicht, dass man untätig wäre. Im Übrigen finden die Ausführungen von Herrn Prof. Ullmann, und das sage ich wirklich selten, zu 100 Prozent meine Zustimmung. Herr Ullmann ist ein Lichtblick in einer Partei, mit der ich nur selten etwas anfangen kann.
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  • Manfred Englert
    Wir hatten eine Situation/Lage, die rund um uns herum sehr sehr viel Todesopfer forderte, niemand wußte etwas über diese vielen Erkrankungen.
    Selbst die Wissenschaft befand sich im Taumeln.

    Es fühlte sich wie Fahren im Nebel an, mit Sichtweite von einem Meter.

    Die Verantwortlichen, Kanzlerin, Minister als auch Ministerpräsidenten versuchten mit verschiedensten Mitteln ihre Bevölkerung zu schützen, was im Gegensatz zu den schrecklichen Bildern Italiens auch gelungen war.

    Ich fühlte mich durch das Tätigwerden unserer Regierungen trotz aller Hilflosigkeit unserer Wissenschaft gut aufgehoben, und tatsächlich überstanden wir alle diese Pandemie relativ glimpflich.
    Keiner hatte in unserer ach-so-technisierten-Welt so eine Lage je angedacht.
    Ja, die Wissenschaft und unsere Politiker sollen die Gesamtlage analysieren und Machbarkeitspläne erstellen, ohne Nachtreten und politischem Wahlkampfklamauk.
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  • Andrew Ullmann
    Nur um sicherzugehen. Es geht nicht um Nachtreten, das wäre falsch, sondern besser auf zukünftige Pandemien vorbereitet zu sein.
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  • Alfred Holler
    Leider nur ein like möglich, hätte gerne mehr gegeben!!
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  • Walter Seubert
    "Seit der Pandemie wurde der öffentliche Gesundheitsdienst deutlich gestärkt.
    Befristete Verträge die mittlerweile ausgelaufen sind. Soviel zum Thema Stärkung des ÖGD
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