In der Würzburger Wärmestube herrscht reger Betrieb: Sämtliche Stühle sind besetzt, einige Gäste stehen. Sie alle sind an diesem trüben Novembertag nicht nur für eine warme Mahlzeit, eine Dusche oder Gesellschaft in die Rüdigerstraße gekommen – sie wollen Konstantin Wecker erleben. Der bayerische Liedermacher und Autor, der gerade mit seinem Programm "Utopia 2.0." durch Deutschland tourt, machte auch in Würzburg Halt. Vor seinem Konzert am Abend im Maritim-Hotel hatte Wecker ein zweites Ziel: die Wärmestube. Der Künstler kennt die Einrichtung bereits – 2018 war er zu einer Lesung dort.
"Konstantin Wecker begegnet den Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen vom Weg abgekommen sind, auf Augenhöhe", sagt Bernhard Christof, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Wärmestube, auf dessen Initiative der Termin zustande gekommen ist. "Er ist jemand, der zuhört, Mut zuspricht und die Menschen in den Arm nimmt – es gab einige, die bei seinem Besuch in der Wärmestube vor fünf Jahren zu Tränen gerührt waren."
Um kurz nach 14 Uhr öffnet sich die Tür – mit einem Schwall kalter Luft kommt Konstantin Wecker herein. "Ein Tusch für unseren Ehrengast!", ruft Christof. Ein paar Begrüßungsworte später sitzt Wecker schon mitten unter den Gästen. Er hat Geschenke mitgebracht: Gratiskarten für sein Konzert. Zusammen mit dem gemeinnützigen Verein "InSight" hat er die Initiative "Kultur für alle" gestartet und verteilt "Sozialtickets" für Menschen, die sich sonst keines leisten könnten. Einen Nachweis müsse man dafür nicht erbringen. "Der Missbrauch bei der Aktion hält sich in Grenzen – die wirklich Reichen kommen nicht in meine Konzerte", sagt Wecker und lacht.
Und dann kommt der Autor und Liedermacher zu den Themen, die ihn seit jeher umtreiben: Er spricht über Pazifismus, seinen Traum von einer herrscherlosen Gesellschaft, Momente des Versagens, und darüber, was ihm Mut macht.
Wecker, der gerade mit dem Helga-und-Werner-Sprenger-Friedenspreis ausgezeichnet wurde, ist es auch angesichts der aktuellen "grauenhaften Kriege" wichtig, für Pazifismus einzutreten. Kriege entstünden dadurch, so der 76-Jährige, dass man das Unbehagen am eigenen Selbst auf andere übertrage. Das Wichtigste sei daher, zu sich selbst zu stehen. "Ihr wisst, ich hab' eine sehr wilde Vergangenheit hinter mir", wendet sich der Künstler an die Besucher der Wärmestube. Trotz Drogen- und Alkoholproblemen sowie Gefängnisaufenthalten "konnte ich wie durch ein Wunder immer weiter meinen Beruf ausüben". Seine Gedichte, Liedtexte und Melodien hätten ihn am Leben gehalten.
Wecker spricht in der Wärmestube über seine Herzensthemen
Immer wieder findet Wecker wertschätzende Worte für die Gäste: "Ich liebe die Zerbrechlichen." Mit sogenannten gesellschaftlichen "Versagern" zu reden, sei spannender, als etwa mit Finanzminister Christian Lindner – "von dem erfährst Du nichts". Die Definition eines Versagers sei zudem meist von der Gesellschaft vorgegeben, ergänzt die Würzburger Schauspielerin und Kabarettistin Heike Mix, die als Moderatorin eingeladen ist. "Die schädlichsten Versager sind Menschen wie Trump, Putin oder Caligula", stellt Wecker unter dem Applaus der Gäste fest.
Der 76-Jährige braucht für seinen Besuch in der Wärmestube kein Programm. Er spricht spontan über seine Herzensthemen und geht auf Zwischenrufe ein. Dann rezitiert er eines seiner Gedichte: "Jeder Augenblick ist ewig". Wecker hat es vor elf Jahren geschrieben, "langsam beginne ich, es zu verstehen", sagt er und lacht. "In der Zeit muss alles sterben, aber nichts im Augenblick", beendet er sein poetisches Plädoyer für das Sein im Hier und Jetzt – viele Besucher nicken.
Wecker: Kunst macht den Menschen Mut
Wecker hat sich und sein Publikum warm geredet – von vielen Seiten kommen nun persönliche Fragen, Anekdoten, Wünsche. Ein Besucher hat dem Künstler eigene Zeichnungen und Gedichte mitgebracht und lässt ihn seine Zeilen vorlesen. Auf die Frage eines Gasts, was Wecker Mut mache, antwortet dieser: "Wenn ich merke, dass ich meinem Publikum seit 50 Jahren Mut machen kann." Die Kunst gebe dem Menschen den Mut, zu sich selbst zu stehen, ist er überzeugt.
Dennoch: "Ich hatte viel Glück", sagt Wecker, "es ist Zufall, dass ich bei meiner damaligen Lebensweise auf der Bühne stehe". Für alle, die nicht in einer Wärmestube sind, sei dies Zufall, meint Wecker: "Das haben wir uns nicht verdient oder erarbeitet, sondern wir haben Glück gehabt."
"Pfiat eich" und Handkuss zum Abschied
Auf die Bitte einer Besucherin "spielen Sie uns noch was vor?" zögert Konstantin Wecker nicht lange und stimmt a cappella eines seiner bekanntesten Lieder an: "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist". Einige Gäste summen mit, Handys werden gezückt, der Applaus ist groß. "Lasst euch durch euch selbst ermutigen", so Weckers Appell an das Publikum, ehe er sich nach einer Stunde mit den Worten "Pfiat eich" und einem Handkuss verabschiedet. Jeder sei ein Künstler, man müsse nur wissen, wie man den Zugang dazu finde.
So schnell wollen die Besucher Konstantin Wecker nicht gehen lassen: Einige bitten um Selfies, andere möchten ihm ihre persönlichen Erinnerungen an Konzerte erzählen.
Besucherin: "Wecker sagt, was Sache ist"
"Seit dem Lied von 'Willy' (von 1977, Anmerk. d. Red.) bin ich Fan", sagt eine ältere Dame. Dass Wecker sich über all die Jahre treu geblieben sei, berührt sie: "Sein Besuch hier war toll – ich muss weinen." Der 57-jährige Frank hat als Jugendlicher Wecker schon einmal erlebt, "1980 in München in der Olympiahalle". Ihm gefällt die Sprache des Künstlers, "wie er sich ausdrückt, bringt er die Dinge einfach korrekt auf den Punkt".
Auch Hanne sieht Konstantin Wecker nicht zum ersten Mal. Als dieser 2018 in der Würzburger Wärmestube aus seinem Buch las, war die 49-Jährige ebenfalls dabei. Dass Wecker von seinen Abstürzen erzähle, und davon, wie er alles wieder auf die Reihe bekommen habe, beeindruckt sie. "Er sagt, was Sache ist – ich find’s fantastisch." Der 67-jährige Ernesto, der Wecker eben noch seine Gedichte und Zeichnungen präsentiert hat, ist ein langjähriger Fan. "Konstantin Wecker hat viel mitgemacht", sagt er, "und ich auch".