
Wenn in diesen Zeiten ein bekennender Pazifist auf der Bühne steht – ist es dann denkbar, den Krieg in der Ukraine nicht ausdrücklich zu erwähnen? Ist es. Zumindest bei Konstantin Wecker. Nicht, dass er sich um das Thema drücken wollte. Aber seine Abscheu gegenüber Krieg, Gewalt und Herrschaft ist universell. Und so erhebt er an einem ausgesprochen sinnlichen Abend im Würzburger Congress Centrum vor rund 800 Zuhörern seine Stimme für die Menschlichkeit, die Liebe – und träumt von einer friedlichen Welt.
Warum Konstantin Wecker kein Problem mit Naivität hat
Anfang Juni ist der Liedermacher und vielseitige Künstler 75 geworden, mit seiner Jubiläumstour "Ich singe, weil ich ein Lied hab" will er, wie er sagt, den Leuten Mut machen. Er schreibt und singt in Alternativen, die vielen etwas weltfremd daherkommen. Dafür gibt er den "Spinner", und ja: "Ich bin gern naiv." Er ist schließlich nicht der Politiker, der Entscheidungen über Waffenlieferungen treffen müsste. Für sich persönlich lehnt er sie ab, auch im aktuellen Ukraine-Kontext.
Er bleibt sich treu, wenn er im Gespräch vor dem Auftritt sagt: "Ich würde mich lieber an die Wand stellen lassen, als zum Gewehr zu greifen." Anderen aufzwingen will er diese Grundhaltung nicht, das müsse jede und jeder für sich selbst beantworten. Und doch ärgert es ihn, dass in der öffentlichen Ukraine-Debatte nur noch Fronten zählen, "dabei gibt es auch pazifistische Bewegungen in der Ukraine". Im öffentlichen Diskurs vermisst er kritische Stimmen.

Wer im Publikum – mit Wecker in die Jahre gekommen – eine klare und konkrete Ansage auf der Bühne zu diesem Krieg erwartet hatte, war auch nach drei Stunden Konzert nicht bedient. Aber gewiss nicht enttäuscht. "Wenn unsere Brüder kommen mit Bomben und Gewehren, wollen wir sie umarmen, wollen wir uns nicht wehren." Singt's – und wer im Saal dächte in dem Moment nicht an den brutalen Krieg im Osten? Für Wecker wäre es ein Horror, würde die pazifistische Idee selbst in der Kunst aussterben. "Dann stirbt sie irgendwann ganz."
Inspirierend statt belehrend oder missionarisch
Wecker ist nicht mehr die wütende Rampensau vergangener Jahrzehnte. Besonnen setzt er seine Impulse, inspiriert in einer Weise, dass es einem warm wird ums Herz. Mit seiner bildstarken Sprache, seiner Poesie, seinen großen Gefühlen zaubert er eine Atmosphäre, die gleichzeitig wohltut und betroffen macht. Die sich auch klanglich wie eine wärmende Decke über die Reihen legt – nicht zuletzt dank seiner vierköpfigen Band mit ganz fabelhaften Musikern, kaum weniger einfühlsam als Wecker selbst: Jo Barnikel (Keyboards), Fany Kammerlander (Cello, Bass, Ukulele) Jürgen Spitschka (Schlagwerk) und Norbert Nagel (Saxofon und Klarinette).
Er nimmt seine Fangemeinde mit auf einen nachdenklichen Spaziergang, auf eine emotionale Zeitreise durch sein musikalisches und poetisches Werk aus fünf Jahrzehnten. Heute kann er lächeln über den "Macho" Wecker aus den 70er Jahren. Kann dankbar und demütig sein, wo er sich früher etwas auf Erfolge eingebildet hätte. Kann von seiner Kokain-Abhängigkeit erzählen und auf sein "sattes, oft unverzeihliches Leben" schauen. Bei all dem wirkt Wecker mit sich selbst versöhnt – und voller Liebe. Für ihn gehört sie zum Menschsein. Um sie drehen sich Lieder und Gedichte an diesem Abend des Innehaltens.
Geschätzt ein Drittel des Publikums hat ihn schon vor 30 Jahren gehört, etliche sogar vor 40 Jahren. Das erfährt man, weil Wecker selbst danach fragt. Weil er sich den Gästen zuwendet, das Licht im Saal heller machen lässt, um sie zu sehen. Und gegen Ende auch noch persönlich eine Runde durch die Reihen dreht – zur rhythmischen neuen Wirklichkeit ("Questa Nuova Realtà"). Was für eine Energieleistung mit 75 Jahren, fast jeden Tag steht Wecker derzeit irgendwo in der Republik auf der Bühne.
Er ist nahbar, gern bei den Leuten – und die spüren das. Da drückt einer ihre Gefühle aus nach dem Motto "Das kann doch alles nicht richtig sein". Ergo, um bei Wecker zu bleiben, "sag Nein!" Zweifle dort, wo sich alle sicher sind. Schenke dort, wo alle geizen. Mach' Licht, wo es dunkel ist. Einmal, erinnert er sich noch vor dem Konzert, hat sich eine Frau bei ihm bedankt. Sie werde belächelt, weil sie sich so sehr für Geflüchtete engagiere. Wecker tut es seit Jahren auch – und hat die Besucherin beim Konzert ermutigt, damit fortzufahren. Seine Botschaft: Eine bessere Welt ist möglich, also schaffen wir sie!

Bisweilen klingt das an diesem Abend leicht melancholisch. Wie ein Vermächtnis – auch wenn Wecker ankündigt, noch lange nicht abzutreten. "Ich will ja zum 80. nochmal auf Tour gehen." Und dann wird er gewiss auch wieder nach Würzburg kommen, er mag die Stadt und die Gegend.
Weckers Unterstützung für junge Songwriter
An der Uni hatte er hier über mehrere Jahre einen Lehrauftrag für den Songwriter-Nachwuchs. Mit jungen Musikern und Textern zu arbeiten, sie zu unterstützen etwa mit einem eigenen Plattenlabel – das ist ihm ein Herzensanliegen. "Wenn ihr reich und berühmt werden wollt, geht zu Dieter Bohlen", habe er ihnen mal gesagt. "Wenn ihr singt, weil ihr ein Lied habt, dann kommt zu mir."
Ehrlich bleiben, authentisch bleiben, sich spüren. So war auch der Auftritt in Würzburg ein Weck(er)ruf gegen Konformismus und Anpassung. Nach über drei Stunden, mehreren Zugaben ("Gracias a la Vida, Ich danke dem Leben!") und Standing Ovations hatten der Künstler und seine Band nicht nur geträumt. Sie haben das Publikum beseelt und berührt.