Er hat sie berührt, er hat sie erreicht. Wenn ein Star, ein gefeierter Liedermacher und Autor wie Konstantin Wecker in die Würzburger Wärmestube geht, zu den Wohnungslosen, zu den Suchtabhängigen, zu den Randständigen – dann ist das keine Selbstverständlichkeit. Oder vielleicht doch?
Noch am Vorabend stand Wecker (70) im ausverkauften Congress Centrum auf der Bühne, mit einem Programm wie ein Lebenswerk– 50 bis 90 Euro haben seine Gäste als Eintritt dafür hingeblättert. Für vermeintlich Gestrandete der Gesellschaft ist dies eine ferne, eine fremde Welt.
„Der Rand der Gesellschaft ist an der Wall Street“
Doch als Wecker an diesem Gründonnerstag auf Einladung des Fördervereins zur Lesung in die Wärmestube kommt, ist er einer von ihnen. Zumindest gibt er den Besuchern das Gefühl. Denn, so Weckers Botschaft, „nicht hier ist der Rand der Gesellschaft, sondern an der Wall Street.“ Nicht am protzigen Auto oder am 25. Handy entscheide sich das Glück, sondern am Menschsein. Was es dazu braucht? Empathie und viel Herz – und beides sieht Wecker verlorengehen, „wo sich die Leute vor lauter Wettbewerb fast umbringen.“
Da setzt sich der Liedermacher lieber zu Versagern. Denn Versagen, davon ist er überzeugt, ist essenziell. „Um zu sich selbst zu finden, muss jeder irgendwann fallen.“ Ex-Häftling Wecker spricht aus Erfahrung, auch er war ganz unten – als 19-Jähriger im Knast wegen Diebstahl (Wetteinsätze auf der Pferderennbahn), später wegen Drogenkonsum.
Wecker als Mutmacher: Scheitern hilft bei der Selbstfindung
„Wenn ich durch den Erfolg zu egoistisch und egomanisch geworden bin, habe ich Gott sei Dank eine auf den Deckel gekriegt.“ Auch Suchterfahrungen weiß Wecker mit seinen Gästen zu teilen. Sucht – das ist er sich mit einer Besucherin einig – sei die einzige Krankheit, aus der man nur allein herausfinde.
Eine Biografie mit Sequenzen des Scheiterns, die ihm in der Wärmestube den Weg ebnen zu Menschen, die auf der Suche sind. Ein Ex-Alkoholiker spricht dies offen aus – Zweifel sind aus seinen Worten zu hören („Wie kann ich meinen Eltern verzeihen?“), Sehnsucht nach Leben und die Frage nach sich selbst. Wecker ermutigt ihn fast stellvertretend für alle anderen: „Mit dem, was Du sagst und fühlst, bist Du viel näher am Leben als andere, die nur gedankenlos raffen.“
Gäste der Wärmestube dankbar für Geste und Wertschätzung
Der 70-Jährige hadert mit einer egoistischen Ellenbogengesellschaft ohne Werte. „Lieber naiv als korrupt“: Er liest aus diesem neuen Text und klopft den Mächtigen auf die Finger, wo sie vor Neid zerfressen sind. Wo wichtige Jobs viel zu schlecht bezahlt würden und Millionen-Boni für Manager fließen. Die soziale Ungerechtigkeit im Land macht Wecker immer noch wütend – und in der Wärmestube kann er sie greifen.
Deshalb ist er hier gerne zu Gast, um sich zu solidarisieren. Genauso erleben die Stammbesucher – auch 20 Spender als Ehrengäste sind dabei – den prominenten Besuch. „Das ist eine tolle Geste und Wertschätzung“, findet einer, der in der Schmökerkiste mitarbeitet. Zur Unterstützung des Sozialprojekts wurde Wecker angefragt, der Bücherbauwagen steht an diesem Tag vor der Wärmestube.
Caritas-Direktorin: Wecker lenkt Blick auf wichtige soziale Themen
Ein anderer Stammgast hat einige Episoden aus seiner bewegten Lebensgeschichte in einem Heft aufgeschrieben und schenkt es dem Liedermacher. Der revanchiert sich mit einem signierten Buch. Die Würzburger Caritasdirektorin Pia Theresia Franke ist dankbar für seinen Auftritt, er lenke Aufmerksamkeit auf wichtige Themen – sei es die soziale Ausgrenzung oder die Lage von Flüchtlingen und Asylsuchende. Das tut Wecker in der Tat, empört sich immer noch, zum Beispiel über die Verunglimpfung von Flüchtlingshelfern als „Teddybärwerfer“ oder als „Gutmenschen“.
Der Friedensaktivist klingt mit 70 ein bisschen weiser, aber keineswegs leiser als früher – das ist am Vorabend im Congress Centrum zu hören. Immer noch hat er diese Gänsehaut-Stimme und gewinnende Lächeln, nicht zuletzt über sich selbst: Ein Idealist, der viele Illusionen verloren hat, aber immer noch eine Hymne (nicht nur) auf die Geschwister Scholl und für den Widerstand gegen Rechtsextreme ansingt: „Es geht ums Kämpfen, nicht ums Siegen!“
Leise, eindringliche Poetik beim Konzert im Congress Centrum
Wecker beginnt sein Konzert in Würzburg mit dem „Willy“, jener Hymne auf einen totgeschlagenen Idealisten, die ihn vor einem halben Jahrhundert mit einem Schlag berühmt gemacht hat. Es folgt aber kein „best of …“. Der Kraftprotz, der einst mit manchen „sado-poetischen Gesängen“ sogar Richter gegen sich aufbrachte, will an diesem Abend in Würzburg mit leiser, eindringlicher Poetik überzeugen.
Das kommt seinem ebenfalls reifer gewordenen Publikum desillusionierter Idealisten entgegen, für die Weckers Leben nicht frei von Fehlern war (was er selbst selbstverständlich zugibt), der aber im Zweifel links, antiautoritär und friedensbewegt ist – noch immer eine populäre moralische Instanz, wie der Schriftsteller Heinrich Böll oder der Kabarettist Dieter Hildebrandt.
Friedensträumer mit wunderbaren Worten und Melodien
Einer aus dem Publikum beschreibt es so: „Hierher kommen Gläubige, die sich bei seinen Konzerten immer wieder die Gewissheit abholen, noch auf dem richtigen Weg zu sein: Nicht die da oben sind die Guten, sondern wir kleinen Menschlein hier unten.“ Wecker packt den Traum von einer Welt ohne Waffen und Grenzen in wunderbare Worte und Melodien, unterstützt mit kraftvollen Tönen von seinem musikalischen Partner Jo Barnikel am Klavier und der wunderbaren Cellistin Fany Kammerlander.
Tags darauf in der Wärmestube sucht Wecker, erst vor kurzem mit dem renommierten Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet, die Begegnung. Hört zu, nahbar, fast kumpelhaft. Nur die Zeit sitzt ihm im Nacken – am Abend steht das nächste Konzert in Karlsruhe auf dem Programm. Nach etlichen Gesprächen, Autogrammen und Erinnerungsbildern verlässt er nach einer Stunde unter Applaus den Raum. Und an den Tischen bleiben jene zurück, die hier eine Anlaufstelle, einen Anker im Leben finden – und vor allem: einfach sein können. Ohne dickes Auto, aber mit ganz viel Herz.