Ein Großteil der Abschiebungen in Deutschland scheitert. Laut Bundespolizei konnten im vergangenen Jahr 60 Prozent der rund 53.000 geplanten Abschiebungen nicht durchgeführt werden. In Unterfranken waren es sogar 76 Prozent, wie die Zentrale Ausländerbehörde auf Nachfrage mitteilte. Von dort wurden 226 Menschen abgeschoben, bei 725 scheiterte die geplante Rückführung.
Wie läuft eine Abschiebung in Bayern konkret ab? Wird sie angekündigt und was passiert, wenn sie nicht zustande kommt? Antworten auf die zentralen Fragen geben das Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) und das bayerische Innenministerium (StMI).
Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Abschiebung?
Die Voraussetzungen sind in Paragraf 58 des Aufenthaltsgesetzes aufgeführt. Im Kern geht es darum, dass ein Mensch kein Recht zum Aufenthalt in Deutschland hat – weil er unerlaubt eingereist ist, keinen gültigen Aufenthaltstitel hat oder weil aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.
Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Asylantrag abgelehnt oder die zuständige Ausländerbehörde gegen das Recht auf Aufenthalt entschieden hat, muss dies den Asylsuchenden schriftlich mitgeteilt werden. Die Betroffenen erhalten in der Regel eine Frist für eine freiwillige Ausreise.
Wer nicht freiwillig ausreist, erhält einen Abschiebebescheid. Dagegen können Betroffene Rechtsmittel einlegen. Gegen eine Abschiebung selbst können sie im Vorfeld einen Eilantrag auf Aussetzung beim zuständigen Verwaltungsgericht stellen.
Welche Behörde entscheidet, wer wann wohin abgeschoben wird?
Zuständig für "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" sind die Ausländerbehörden. Sie informieren die Zentralen Abschiebestellen – in Bayern also das Landesamt für Asyl und Rückführungen, das die Flüge organisiert.
Der Zielort hängt davon ab, ob jemand in sein Heimatland rückgeführt werden soll oder in einen anderen Staat. Das könnte der Fall sein, weil er dort entweder bereits einen Schutzstatus hat (sogenannte Drittstaatenfälle) oder – sofern es sich um einen EU-Staat handelt – weil das Asylverfahren dort erst durchgeführt werden muss.
Muss eine Abschiebung vorher angekündigt werden?
Vor dem 27. Februar 2024 sollten die Betroffenen über das Datum ihrer Abschiebung mindestens eine Woche vorher informiert werden. Dann trat das Gesetz zur Verbesserung von Rückführungen in Kraft. Seither wird der Termin nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht mehr angekündigt. Eine Ausnahme ist nur noch für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren vorgesehen. Das LfAR verweist darüber hinaus auf die Geheimhaltungspflicht laut Aufenthaltsgesetz.
Wann kommt es zu einer Einzelabschiebung, wann zu einer Sammelabschiebung?
Als Vorteil von Sammelabschiebungen nennt das Landesamt, dass die Bundespolizei dabei für umfassende Sicherheitsbegleitung sorgt und Widerstand durch Betroffene nicht zum Abbruch der Abschiebung führe. Die Abschiebung Einzelner komme vor allem dann in Betracht, wenn kein Widerstand zu erwarten sei oder "Sammelcharter", also Flugzeuge mit einer Gruppe von Ausreisepflichtigen, im Zielstaat nicht zugelassen seien.
Was ist der Unterschied zwischen einer kontrollierten Ausreise und einer begleiteten Abschiebung?
Der Begriff kontrollierte Ausreise wird laut LfAR im Zusammenhang "mit einer freiwilligen Ausreise aus Haft oder Gewahrsam" verwendet, wenn Betroffene von den Behörden an den Flughafen oder Grenzübergang gebracht werden. Eine begleitete Abschiebung ist eine Zwangsmaßnahme mit Sicherheitsbegleitung während der gesamten Rückführung.
Wie läuft eine Abschiebung in Bayern ab?
Normalerweise holt die Polizei Betroffene in ihrer Wohnung oder Unterkunft ab (Gewahrsamnahme), um sie zum Flughafen oder Bahnhof zu bringen (Zuführung). Bei einer begleiteten Abschiebung übernimmt dann die Bundespolizei das Weitere bis im Zielland. Die Pässe werden laut LfAR möglichst schon vorher eingezogen und in der Regel den Behörden am Zielort übergeben.
Was passiert, wenn sich ein Herkunftsland weigert, Ausreisepflichtige zurückzunehmen?
"Ein wesentliches Hindernis für Abschiebungen ist die fehlende Kooperationsbereitschaft zahlreicher Herkunftsländer", heißt es beim Landesamt für Asyl und Rückführungen. "Eine Vielzahl von Ausreisepflichtigen kann nicht abgeschoben werden, weil sich die Herkunftsländer entweder bei der Beschaffung von Passersatzpapieren oder der Durchführung von Rückführungen unkooperativ zeigen." Dafür zu sorgen, dass Herkunftsländer kooperieren, sei Aufgabe der Bundesregierung, die für die auswärtigen Beziehungen zuständig ist.
Nicht immer ist klar, aus welchem Land ein Mensch tatsächlich stammt. Daher kann es vorkommen, dass das vermutete Herkunftsland eine Rücknahme verweigert, weil die Person nicht zweifelsfrei identifiziert werden kann oder weil es Rückübernahmen limitiert hat. In diesen Fällen erhalten Betroffene zunächst eine Duldung in Deutschland.
Was passiert, wenn Ausreisepflichtige beim Abholtermin krank, nicht anzutreffen oder untergetaucht sind?
Bei Sammelabschiebungen stellt laut LfAR ein unabhängiger Arzt am Flughafen die Reisefähigkeit der Betroffenen fest. Bei Einzelabschiebungen werde "aufgrund einer gesetzlichen Regelung vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen".
Die Betroffenen müssten eine Erkrankung, die die Rückführung beeinträchtigen kann, durch eine ärztliche Bescheinigung glaubhaft nachweisen. In akuten Fällen könne die Reisefähigkeit kurzfristig überprüft werden. Falls notwendig, würden Ausreisepflichtige unter medizinischer Begleitung rückgeführt werden.
Wenn Betroffene beim Abholtermin nicht anzutreffen sind, muss der Antrag auf Abschiebung storniert und erneut gestellt werden, sobald sie wieder auftauchen. Dann erfolgt ein weiterer Versuch.
Welche Handhabe gegen Widerstand während der Abschiebung hat die Polizei?
Widerstand ist bei den Behörden offenbar ein sensibles Thema. Keine der angefragten Stellen will sich konkret dazu äußern, wie häufig und mit welchen aktiven und passiven Widerständen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte während Abschiebungen konfrontiert sind. Das bayerische Innenministerium verweist auf eine fehlende automatisierte Auswertung.
In mehreren Einzelgesprächen mit der Polizei wurden gegenüber der Redaktion Fälle genannt, bei denen Ausreisepflichtige passiven Widerstand leisteten – beispielsweise indem sie versuchten, sich durch Seife-Schlucken zu erbrechen oder sich während des Transports zum Flughafen einkoteten.
Das Innenministerium, dem die Landespolizei unterstellt ist, teilt schriftlich mit: "Grundsätzlich gilt, dass die zuführenden oder begleitenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte auf passiven oder aktiven Widerstand im Rahmen ihrer rechtlich zulässigen und verhältnismäßigen Möglichkeiten reagieren und wenn erforderlich, geeignet und angemessen auch unmittelbaren Zwang anwenden. Dies kann durch Einwirkung auf die Person in Form von körperlicher Gewalt (zum Beispiel Festhalten, Schieben, Drücken) oder durch Hilfsmittel der körperlichen Gewalt (zum Beispiel Hand- oder Fußfesseln) gemäß den Vorschriften des Polizeiaufgabengesetzes geschehen."
Wie oft kommen Hand- oder Fußfesseln bei Abschiebungen zum Einsatz?
Der Einsatz von Fesseln wird laut Ministerium nicht automatisiert ausgewertet. Grundsätzlich seien alle Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs Einzelfallentscheidungen, denen eine Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit vorangehe. Eine Abschiebung könne eine Ausnahmesituation darstellen, bei der mit Fluchtversuchen zu rechnen sei. In begründeten Fällen könne eine Fesselung schon zu Beginn des Transports geboten sein.
Wer kommt in Abschiebungshaft und wie lange?
Unter dem Oberbegriff Abschiebungshaft, die einer richterlichen Anordnung bedarf, werden laut LfAR Vorbereitungshaft, Sicherungshaft und Mitwirkungshaft zusammengefasst.
Ein möglicher Grund für Sicherungshaft ist Fluchtgefahr. "Diese wird beispielsweise vermutet, wenn die betroffene Person die Ausländerbehörde wiederholt über ihre Identität täuscht, wenn sie nach dem Ablauf der Ausreisefrist umzieht, ohne der Ausländerbehörde eine neue Anschrift mitzuteilen oder wenn sie sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat", erklärt das Landesamt.
Gefangene werden in Abschiebungshaft in speziellen – nicht mit dem Strafvollzug vergleichbaren – Einrichtungen untergebracht: in Bayern in Eichstätt, Hof oder in der kombinierten Transit- und Abschiebungshafteinrichtung am Flughafen München.
Abschiebungshaft kann durch das Rückführungsverbesserungsgesetz für maximal sechs Monate (zuvor drei) angeordnet werden. Ausreisegewahrsam ist mit einer Dauer von bis zu 28 Tagen möglich (zuvor zehn).
Wie lange gilt eine Abschiebung?
Mit einer Abschiebung erhalten Betroffene normalerweise ein Einreise- und Aufenthaltsverbot in Deutschland. In der Regel darf es höchstens fünf Jahre betragen.