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Würzburg
Analyse: Im Eisenheim-Prozess hat das Gericht alle Möglichkeiten ausgeschöpft
Einigen ist das Urteil zu milde. Andere halten an Gerüchten rund um den Tod von Theresa Stahl fest. Dabei hat das Gericht bei Wahrheitssuche und Urteilsfindung einen guten Job gemacht.
Rund viereinhalb Jahre nach der tödlichen Alkoholfahrt fiel im Berufungsverfahren das Urteil gegen den Hauptangeklagten.
Foto: Thomas Obermeier | Rund viereinhalb Jahre nach der tödlichen Alkoholfahrt fiel im Berufungsverfahren das Urteil gegen den Hauptangeklagten.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:55 Uhr

Es war eine Szene, die nach der Urteilsverkündung im Eisenheim-Prozess im Trubel kaum jemand mitbekam: Ronald Stahl ging von der Nebenklägerbank auf Richter Michael Schaller zu, die beiden Männer wechselten einige Worte miteinander. "Ich habe mich bei ihm für seine gute Arbeit bedankt", erklärte der Vater von Todesopfer Theresa später. Der Vorsitzende habe ihm mit seiner Verfahrensführung und der Urteilsbegründung das Gefühl gegeben, "dass es passt". Gleichzeitig begann in den unterschiedlichsten Kommentarspalten des Internets das, was Richter Schaller in eben jener Urteilsbegründung befürchtet hatte.

Dass die 15-monatige Jugendstrafe gegen Niclas H. zur Bewährung ausgesetzt wurde, fühle sich für den Unfallfahrer "sicher wie ein Freispruch an", wurde da behauptet. Andere forderten drastische Strafen: "Drei Jahre im Steinbruch arbeiten" gehörte noch zu den harmloseren Vorschlägen.

Einen Zaun um das Leben des Täters gebaut

Dabei ist die ausgesprochene Freiheitsstrafe wegen der fahrlässigen Tötung der 20-jährigen Fußgängerin – wenn auch zur Bewährung ausgesetzt – nicht nur deutlich härter als die Geldstrafe von 5000 Euro wegen fahrlässigen Vollrauschs aus erster Instanz. Mit den Bewährungsauflagen baute das Gericht gewissermaßen einen Zaun um das Leben des heute 22-jährigen Täters.

So muss er sich während seiner zweijährigen Bewährungszeit um eine psychotherapeutische Behandlung und eine Arbeitsstelle bemühen. Bis er Arbeit gefunden hat, muss er pro Woche zehn Stunden soziale Hilfsdienste leisten. Alkohol ist für ihn tabu. Dass er den Auflagen nachkommt, muss er regelmäßig nachweisen, zudem steht er unter der Kontrolle eines Bewährungshelfers. Und ob ihm die zuständige Kreisbehörde seinen Führerschein je wieder gibt, wenn in drei Monaten ein mittlerweile fünf Jahre währendes Fahrverbot abgelaufen ist, ist völlig offen.

Opfer wohin man schaut

Es mag ein frommer Wunsch von Richter Michael Schaller bleiben, dass das Urteil eine Signalwirkung hat. Dass es eine Mahnung ist an alle, die es mit Alkohol im Straßenverkehr nicht so genau nehmen. Diejenigen, denen die Gesetzgebung in Deutschland ohnehin zu lasch ist, die eine fahrlässige Tötung mit Mord gleichsetzen und von "Kuschel-Justiz" sprechen, wird das Strafmaß nicht überzeugen. Vielleicht hilft da ein anderer Blickwinkel auf die Geschehnisse im Fall Theresa Stahl.

"Alkohol am Steuer zerstört Leben auf allen Seiten."
Staatsanwalt Ingo Krist

"Alkohol am Steuer zerstört Leben auf allen Seiten", betonte Staatsanwalt Ingo Krist in seinem Plädoyer. Richter Schaller wurde konkreter: In dem Fall "bleiben ausschließlich Opfer", sagte er. Natürlich Theresa und ihre Familie sowie ihr Freund, der hilflos einige Meter entfernt stand, als seine Partnerin überfahren wurde, und dann alleine in stockfinsterer Nacht auf einem Acker um ihr Leben kämpfte und den Notruf absetzte. Dazu "alle vier Angeklagten", deren Leben – natürlich selbstverschuldet – überschattet ist. Auch die Ex-Freundin von Niclas H. gehört zu den Opfern: Der Täter wollte sich vor ihren Augen das Leben nehmen.

Und schließlich ist da der Richter, der den Fahrer in erster Instanz auf Basis eines Gutachtens, das nun korrigiert werden musste, lediglich wegen fahrlässigen Vollrauschs zu der heftig kritisierten Geldstrafe verurteilt hatte – und dafür samt seiner Familie abscheulichen Anfeindungen ausgesetzt war. Dabei war auch sein Urteil formaljuristisch aus damaliger Sicht nicht falsch, möglicherweise wäre es aber durch eine intensivere Beweisaufnahme zu verhindern gewesen.

Gericht tat alles, was möglich war, um die Wahrheit zu finden

Das hat das Gericht in zweiter Instanz deutlich besser gemacht: Die Bemühungen, Gerüchte von Fakten zu unterscheiden und alle im Raum stehenden Verfehlungen der Angeklagten zu beweisen oder zu widerlegen, war vom ersten Verhandlungstag vor einem Jahr an spürbar. Nicht mehr und nicht weniger hatte Theresas Familie gefordert. "Wir haben den Versuch gemacht, durch möglichst umfangreiche Beteiligung aller" der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen, so Richter Schaller. Das ist gelungen.

So wurden einige hartnäckige Gerüchte ins Reich der Legenden verbannt. Niclas H. war der Todesfahrer, kein anderer saß zum Unfallzeitpunkt am Steuer. Dementsprechend gab es auch kein Komplott der drei Mitfahrer, wonach sie Niclas H. nach dem Unfall auf den Fahrersitz bugsiert haben sollen. "Wir sind jetzt deutlich näher an der Wahrheit, aber alles wissen wir noch nicht", bilanzierte Ronald Stahls Anwalt Philipp Schulz-Merkel. Man werde auch nicht mehr erfahren, "wenn die Mitfahrer nicht doch noch mehr verraten". Die drei jungen Männer, die zu Geldstrafen wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wurden, hatten laut Staatsanwalt Krist "ein erbärmliches Nachtatverhalten" gezeigt und laut Schulz-Merkel auch im Zeugenstand ausgerechnet dann Erinnerungslücken, "wenn es für sie brenzlig wurde".

Einige Vorwürfe gehören ins Reich der Fabeln

Leider, so Richter Schaller, könne ein Strafprozess "die absolute Wahrheit trotz aller Bemühungen nicht liefern". Und so bleiben einige Fragen offen. Darunter die, ob Niclas H. die junge Frau doch absichtlich überfahren hat und dazu von seinem Beifahrer angestiftet worden war. Das habe man "nicht zu 100 Prozent widerlegen können", so der Staatsanwalt. "Aber die Hinweise dafür reichen nicht ansatzweise für eine Verurteilung aus." Darin waren sich alle Beteiligten einig. Im Gegenteil: Ein Gutachten habe klar gemacht, dass Niclas H. keine Zeit gehabt habe, um auf die angebliche Aufforderung "Fahr sie um!" zu reagieren, so Schaller. Die Geschichte sei daher "ins Reich der Fabeln – oder der sozialen Medien" zu verweisen, "wo sie vielleicht entstanden ist".

So gibt es viereinhalb Jahre nach Theresas Tod – sofern das Urteil rechtskräftig wird – für ihre Angehörigen die Chance, mit der echten Trauerarbeit zu beginnen. Theresas Freund formulierte es gegenüber dieser Redaktion so: "Durch ein Urteil kann es für mich keine Gerechtigkeit geben. Aber endlich die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen." 

Hinweis: Der Autor dieses Textes steht trotz Namensgleichheit mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.

 
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  • H. M.
    Das Urteil wegen fahrlässiger Tötung macht -im Gegensatz zur Verurteilung wegen fahrlässigem Vollrausch- deutlich, dass jemand sterben musste!! Das ist sehr wichtig! Besonders für die Angehörigen. Sterben musste eine junge Frau, die aufgrund ihrer Entscheidung, nach einem Schluck Alkohol nicht mehr selbst Autofahren zu wollen, tausendmal mehr Verantwortungsbewusstsein zeigte, als die völlig betrunkenen jungen Kerle im Auto! Die reden sich auch noch raus in dem sie sagen, sie hätten Erinnerungslücken. Dass nach einer solchen Zecherei ein sog. Filmriss gegeben ist, mag ja sein. Aber dass der Satz "Fahr sie um" nicht gefallen ist, wissen die ganz sicher?? Mit Verlaub: Das ist auf keinen Fall glaubhaft!!! Viele Autos in der Gegend haben "Theresas Pfeil" als Aufkleber, meine Fahrzeuge auch. So werden die Vier jungen Männer hoffentlich jeden Tag an diesen fürchterlichen Abend erinnert!
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  • H. S.
    Tut nichts zur Sache.
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  • S. K.
    die (All)Macht der Gutachter ist manchmal erschreckend...sie werden zu Herren des Verfahrens...und wieviele irren sich dabei....
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  • M. R.
    Wer denn sonst außer Gutachter? Auch die Aussage der Polizei und Fotos vom Tatort sind nichts mehr als Gutachten/Gutachter. Glauben Sie allen Ernstes, dass Richter Recherchen und vor Ort sich umschauen können? Richter bekommen von Seitens der Staatsanwalt einen Fall, der Verteidiger versucht den Angeklagten rauszubocken und der Richter entscheidet anhand der Tatsachen. Liegt doch in der Hand der Staatsanwaltschaft, welche Gutachter man holt.
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  • A. S.
    Die Aussage des Richters Michael Schaller, dass das Urteil eine Signalwirkung hat, ist sowas was von lächerlich. Ein 18- jähriger unreifer Typ vor kurzem noch Kind, wo die Erziehungsverantwortlichen jämmerlich versagt haben, wird aus dem Vorfall Klug? Wers glaubt wird selig. Wer regelmäßig saufen tut und sich ans Steuer setzt, der tut dies immer wieder. Koste es was es wolle.
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    Es mag sein, dass unser Recht keine härtere Strafen hergibt und damit so ein erbärmliches Verhalten, das Schweigen und die Feigheit der Mitfahrer gerade einmal mit einer Geldstrafe belegt wird. Gut und gerecht ist das in den Augen sehr vieler Menschen jedoch nicht. Mit wem man sich auch über den Fall unterhält, diese Strafen- sowohl für die Mitfahrer als auch für den Fahrer empfinden die Allermeisten als unbefriedigend nach allem was passiert ist. Ich wünsche den Angehörigen und Freunden von Theresa jedenfalls von Herzen, dass sie jetzt zur Ruhe kommen können.
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  • M. D.
    Das Gericht hat seinen Job gemacht.....mittlerweile muss man Gerichte in diesem Land schon dafür loben.....? Unfassbar, vor allem angesichts all dieser "brillanten" Juristen, für die sich Bayerns Justiz bei jeder Gelegenheit selbst lobt.
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  • P. K.
    Das Gericht hat seinen Job gemacht, da haben sie recht.
    Man muss es dafür nicht loben, sondern es muss sich in endlosen Wiederholungen dafür rechtfertigen, dass ist für mich unfassbar!
    Emotional finde ich das Urteil ebenfalls nicht gerecht, aber offensichtlich ist es nach der aktuellen Gesetzteslage rechtens.
    Wenn etwas geändert werden sollte, dann hier.
    Anfeidungen an unsere Gerichte spielen nur zukünftigen Straftätern in die Hände, da die Glaubwürdigkeit und die Autorität solcher Institutionen immer mehr untergraben wird.
    Das sie als Ex-Polizist da vorne dran stehen, ist bezeichnend.
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