Bernhard Schlereth ist pensionierter Bahnbeamter und sitzt für die SPD im Kreistag Würzburg. Doch die große Leidenschaft des 67-Jährigen aus Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) ist die Fastnacht. Von 2003 bis 2018 war er Präsident des Fastnacht-Verband Franken, der ihn im vergangenen Herbst zum Ehrenpräsidenten ernannte. In diesen 15 Jahren war er maßgeblich beteiligt an der Entwicklung der Live-Prunksitzung "Fastnacht in Franken" hin zu einer Kultveranstaltung mit Millionen-Publikum vor dem Fernseher. Er gilt zudem als Vater der Millionen-Projekte in Kitzingen, wo das Deutsche Fastnacht-Museum neu entstanden ist und in wenigen Wochen die moderne Fastnachts-Akademie eröffnet wird. Im Interview spricht der Fastnachter über den Erfolg der Sendung, das Zusammenspiel mit der Politik und unmoralische Angebote.
Herr Schlereth, nach vielen Jahren werden Sie heuer nicht mehr im Elferrat bei der "Fastnacht in Franken" sitzen. Was werden Sie vermissen?
Bernhard Schlereth: Ich habe dort viele schöne, frohe und aufregende Stunden erlebt. Es war jetzt einfach an der Zeit für einen Wechsel.
Sie haben das Format der Sendung entscheidend mitentwickelt. Welche Erinnerungen haben Sie?
Schlereth: Ich erinnere mich beispielsweise an das Jahr, als die Frau von Sitzungspräsident Bernd Händel schwer erkrankt war und er während der Sitzung in Gedanken oft bei ihr war. Sie hat ihm selbst dazu geraten, seine Teilnahme an der Sitzung nicht abzusagen. Wenige Tage später ist sie gestorben. Oder die Sache mit der Bombendrohung.
Es gab mal eine Bombendrohung während der Sitzung?
Schlereth: Ja. Es gab einen Anruf und es wurde behauptet, dass unter einem bestimmten Tisch eine Bombe hochgehen würde. Der Saal war natürlich vorher bereits komplett durchsucht worden, aber trotzdem haben zwei Polizisten sofort unter dem betreffenden Tisch nachgesehen. Eine Dame gegenüber hat sich dann aufgeregt, weil sie dachte, das seien Sittenstrolche. Es gab die dollsten Sachen.
Und dann mussten Sie 2005 plötzlich selbst als Sitzungspräsident aktiv werden.
Schlereth: Richtig. Das war sicher die aufregendste Situation. Ich saß neben dem damaligen Sitzungspräsidenten Detlev Wagenthaler und habe schon während der Sitzung gemerkt, dass es ihm nicht gut ging. Er hatte auch Medikamente genommen. Ständig hat er seine Zettel geordnet, wirkte abwesend. Nach einem Drittel der Sendung, während des Auftritts von Klaus-Karl Kraus, haben wir ihn dann hinter die Bühne gebracht und von einem Notarzt untersuchen lassen. Wagenthaler hatte einen extrem hohen Blutdruck und konnte nicht weitermachen. Wir haben dann dem Klaus-Karl Kraus ein Zeichen gegeben, dass er einfach weitermachen und seine Nummer verlängern soll, bis wir alles geklärt hatten. Er hat das bravourös gemacht und uns damit gerettet. Es war ja alles live. Es wurde dann entschieden, dass ich einspringe.
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Sicher keine leichte Entscheidung.
Schlereth: Die Sekunden bis zum ersten Wort waren wirklich schlimm. Der Vorteil war, dass ich das Programm in und auswendig kannte. Trotzdem war es schwierig, das durchzuziehen in dem Bewusstsein, dass es hinter der Bühne einem Freund nicht gut geht.
Wagenthaler gab wenige Tage danach seinen Rücktritt bekannt.Im Jahr davor hatte es bayernweite Aufregung um seine "gnadenlose Witze" gegeben. Der Karlstadter hatte unter anderem Barbara Stamm mit einem Bierfass verglichen.
Schlereth: Wissen Sie, die künstlerische Freiheit ist ein hohes Gut. Man muss an Fastnacht auch an die Grenzen gehen, und da besteht immer die Gefahr, dass man auch mal daneben liegt mit einer Pointe. Wir wollen keine Zensur, und wir sind uns bewusst, dass in einer Livesendung niemals jedes Komma sitzen wird.
Im vergangenen Jahr gab es Kritik an der "Altneihauser Feierwehrkapell'n"wegen einer despektierlichen und sexistischen Nummer über Emmanuel Macrons Ehefrau. Wie haben Sie die Affäre bewertet?
Schlereth: Mir persönlich war das auf der Bühne auch zu breit getreten, und es gab nach der Generalprobe Hinweise sowohl von uns wie auch dem BR an Norbert Neugirg, den Chef der Kapell'n, die Nummer doch etwas zu entschärfen. Aber es war seine Entscheidung, den Auftritt so machen, wie er letztlich war. Natürlich reflektieren wir jede Sendung und sprechen darüber: Was war gut, was war schlecht? Da gibt es immer auch unterschiedliche Meinungen. Was glauben Sie, was ich nach jeder Sendung für Briefe bekomme. Fest steht: Wir machen Fastnacht und keine Parlamentsreden.
Fastnacht soll sich gegen Obrigkeit und Fehlverhalten wenden. Bei der Macron-Nummer schien kein Anlass erkennbar.
Schlereth: Ich bin ja bei Ihnen. Ich warne trotzdem davor, alles zu übertreiben: Manchmal habe ich das Gefühl, dass man im Moment nur noch Witze über Männer machen darf. Ich höre auch ab und an den Vorwurf, dass wir im Programm nur über Frauen herziehen würden. Das stimmt einfach nicht. Auch dass wir zu kirchenkritisch seien, lese ich immer wieder in Briefen. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, die Ehrengäste mit Weihrauch einzuhüllen. Der Künstler muss sich auch was trauen. Ich habe Horst Seehofer immer dafür bewundert, wie humorvoll er all die Spitzen gegen sich genommen hat.
Nun wird Markus Söder erstmals als Ministerpräsident in Veitshöchheim auftauchen. Sind Sie enttäuscht, dass er nur im Smoking kommen möchte und nicht mehr so phantasievoll verkleidet wie früher?
Schlereth: Fastnacht ist das Fest der Sehnsüchte. Insofern hat Söder in seinen Verkleidungen als Prinzregent oder Ministerpräsident Stoiber seine Träume dokumentiert. Den Traum von der Macht in Bayern hat er sich ja nun erfüllt. Warten wir mal ab. Ich traue ihm schon noch eine bayerische Interpretation des Smokings zu.
Wie wichtig ist das Zusammenspiel mit der Politik?
Schlereth: Es gehört einfach dazu, die Leute warten darauf, sie wollen sehen, wie die Politiker verkleidet sind und wie sie reagieren, wenn sie durch den Kakao gezogen werden. Vergangenes Jahr war allerdings die Hölle: Durch die Koalitionsverhandlungen in Berlin wussten wir bis zuletzt nicht, wer kommen wird. Das war für die Künstler auch hart, die haben bis zur letzten Minute noch Texte umgeschrieben. Das scheint heuer einfacher: Es wird wohl erstmals das gesamte bayerische Kabinett in Veitshöchheim vertreten sein. Das gab es noch nie.
Wer wird alles eingeladen?
Schlereth: Wir laden gemeinsam mit dem BR das bayerische Kabinett ein sowie alle fränkischen Minister und Staatssekretäre in Berlin. Dazu die Fraktionsvorsitzenden der im bayerischen Landtag vertretenen Parteien. Dazu kommen noch einige kommunalpolitische Ehrengäste aus Unterfranken wegen des Heimvorteils. Die Platzvergabe ist immer ein Puzzlespiel und führt dazu, dass derzeit auch einige Landtagsabgeordnete aus der Region bislang nur auf der Warteliste stehen.
Wie gehen Sie mit der AfD um, die erstmals im Landtag vertreten ist?
Schlereth: Wie bei allen anderen Parteien im Landtag wurden auch bei der AfD die Fraktionsvorsitzenden eingeladen.
Jedes Jahr erhält der Verband bis zu 10 000 Kartenanfragen. Da sind sicher auch unmoralische Angebote dabei . . .
Schlereth (lacht): Ich bin glücklich verheiratet. Im Ernst: Wir haben 580 Plätze in den Mainfrankensälen. Abzüglich der Plätze für Ehrengäste und Sponsoren können wir also nur wenige Karten in die Verlosung geben. Ich erinnere mich mal an ein Ehepaar, das sein einziges Kind bei einem Unfall verloren hat. Der Mann hatte mir geschrieben und die komplette Gerichtsakte beigefügt. Seine Frau war depressiv geworden und die Fernsehsendung "Fastnacht in Franken" hatte zu ihren wenigen Lichtblicken im Jahr gehört. In solchen Fällen versuchen wir natürlich, etwas möglich zu machen. In diesem Fall war der Besuch in Veitshöchheim für die Frau ein Schritt zurück ins normale Leben und wir haben noch viele Jahre zu Weihnachten Dankeskarten bekommen.
Was ist das Geheimnis des Erfolgs?
Schlereth: Das Zusammenspiel von guter Unterhaltung, Vielfalt, Nonsens, Prominenz, aus Bewährtem und Überraschendem. Aber keine Angst: Fastnacht-Verband und BR klopfen sich nicht ständig auf die Schulter. Wir schauen immer, was wir besser machen können. Und da gibt es immer etwas.
Es sollen ja auch Künstler schon mal abgereist sein nach der Generalprobe . . .
Schlereth: Ja, das war 1993. Nach der Generalprobe hatte sich herausgestellt, dass die Sendung deutlich zu lange dauert. Alle Mitwirkenden sollten ihre Nummern deshalb über Nacht kürzen. Die Schweinfurter Gesangsgruppe "Siebenschläfer" war erst kurzfristig dazugeholt worden, ihr war eine Auftrittszeit von 20 Minuten zugesichert gewesen. Sie wollte nicht kürzen - und reiste ab. Der Schweinfurter Redner Hans Driesel zeigte sich solidarisch und trat ebenfalls nicht auf. Somit war die Sendung plötzlich zu kurz und wir haben das Ende mit Schunkelrunden und Polonäsen gestreckt. Es war das längste Finale der Geschichte.
Ist die Zusammenarbeit mit den Künstlern anstrengend?
Schlereth: Es ist jedes Jahr dasselbe. Beim Sommertreffen mit den Künstlern sagen alle, dass die Beiträge kürzer werden müssen - und dann gibt es doch wieder ein Ringen um jeden Satz. Die Sendung dauert rund dreieinhalb Stunden, das reicht dann auch. Irgendwann ist der Dampf raus. Das sage ich auch immer den Aktiven auf dem Land, die ihre Prunksitzungen oft über fünf, sechs Stunden hinziehen. Das ist zu lang.
Gibt es eine goldene Regel für eine gute Rede?
Schlereth: Sie sollte aktuell, spritzig, überraschend und kurz sein. Und dann muss der Aktive auch ein schauspielerisches Talent haben und die Rede gut vortragen. Es reicht nicht, wenn du gut schreiben kannst.
Wo werden Sie am nächsten Freitag sitzen?
Schlereth: Ich weiß es noch nicht. Als Veranstaltungsleiter benötige ich einen Platz, von dem aus ich in besonderen Fällen sofort reagieren kann.