Die Ausbreitung der Coronavirus-Variante Omikron besorgt derzeit auch Eltern und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin. Denn der Blick in andere Länder wie beispielsweise den USA oder Großbritannien, in denen sich Omikron massiv ausgebreitet hat, zeigt, dass mehr positiv getestete Kinder ins Krankenhaus kamen als in den Wellen zuvor.
Wie dies einzuordnen ist, ob Eltern ihre Kinder weiter vor einer Infektion schützen können und wie ratsam eine Impfung für Kinder ist, erklären Prof. Dr. Johannes Liese und Prof. Dr. Christina Kohlhauser-Vollmuth. Johannes Liese ist Oberarzt an der Kinderklinik der Universität Würzburg (UKW) und leitet den Bereich für pädiatrische Infektiologie und Immunologie. Er organisiert mit weiteren Partnern die Covid 19-Studie an Würzburger Kindertagesstätten (WÜ KiTa-CoV-Studie). Christina Kohlhauser-Vollmuth ist Chefärztin der Missio Kinderklinik, die zum Klinikum Würzburg Mitte (KWM) gehört.
Wie viele Kinder sind aktuell in den Würzburger Kinderkliniken mit einer Corona-Infektion hospitalisiert?
Laut Prof. Dr. Johannes Liese wird momentan ein zwölfjähriges Kind in der Kinderklinik des UKW wegen einer Coronainfektion und daraus resultierender Lungenentzündung behandelt. Das Kind, das bereits eine Vorerkrankung hat und ungeimpft ist, sei nach einigen Tagen auf der Intensivstation nun auf dem Weg der Besserung. Bisher sieht Liese aber noch keinen Anstieg der kleinen Patienten und Patientinnen aufgrund der Omikron-Variante. "Wir bewegen uns momentan weiter auf dem Level, den wir schon in den letzten Monaten hatten, mit ein bis zwei Aufnahmen von Kindern pro Woche, die einen positiven Test aufweisen", sagt er.
In der Kinderklinik der Missio ist nach Angaben von Prof. Dr. Christina Kohlhauser-Vollmuth derzeit kein Kind wegen einer Covid-19-Infektion untergebracht. Bei den bisher stationär behandelten Patientinnen und Patienten handelte es sich meist um Säuglinge, das heißt Kinder unter zwölf Monaten, berichtet die Ärztin. Diese würden meist eine milde Atemwegssymptomatik mit einem unkomplizierten Verlauf und einem kurzen stationären Aufenthalt zeigen. In mehreren Fällen befanden sich auch Neugeborene mit ähnlichen Symptomen in stationärer Behandlung. Die meisten Covid-19-Erkrankungen bei Kindern konnten aber ambulant behandelt werden, so Kohlhauser-Vollmuth.
Wird oft erst in der Klinik festgestellt, dass ein Kind Corona-positiv ist?
"Tatsächlich ja, denn viele Kinder haben gar keine Symptome und es fällt nur durch den obligatorischen Corona-Abstrich im Krankenhaus auf, dass sie infiziert sind", erklärt Liese. Die Kinder waren eigentlich wegen anderer Dinge im Krankenhaus, "wie beispielsweise einer Verletzung am Finger oder eines Tierbisses durch den Hamster", erklärt der Arzt weiter. Die Situation wie bei dem zwölfjährigen Kind, das schwer erkrankt ist, sei eher die Ausnahme, so Liese. Wenn Kinder an Corona erkranken, seien meist nur die oberen Atemwege betroffen.
Wie groß ist die Sorge vor einer anrollenden Omikron-Welle?
Wie Johannes Liese mitteilt, ist seine Sorge vor der Corona-Variante Omikron dennoch groß: "Die Welle steht kurz bevor, die Zahlen werden nach oben schnellen." Der Arzt spricht von der derzeitigen "Honeymoon-Period" (Anmerkung der Redaktion: als eine Art Schonfrist) kurz nach den Weihnachtsferien und rechnet in den nächsten zwei Wochen damit, dass es richtig losgeht. "Das Virus ist deutlich ansteckender. Wir wissen von anderen Ländern, wie rasch sich Omikron ausbreitet." Laut der Experten weist aber nichts darauf hin, dass Omikron bei Kindern einen schwereren Verlauf nimmt.
"Schon bei Delta gab es nur wenige schwer erkrankte Kinder bei uns in der Klinik, also würde ich das prinzipiell bei Omikron auch nicht annehmen", so Liese. Aber: Durch eine massiv hohe Anzahl an Infektionen könnte es doch insgesamt mehr Kinder geben, die schwerer erkranken. Dies könnte zu Engpässen bei der Klinik-Kapazität führen. Liese erläutert, dass die Betreuung von infizierten Patienten mit Covid-19 aufgrund der Isolierung und Hygienemaßnahmen eine große Herausforderung für das medizinische Personal ist.
Welche Kinder haben ein höheres Risiko schwerer an Omikron zu erkranken?
Nach den Angaben von Johannes Liese sieht er ein erhöhtes Risiko für vorerkrankte Kinder, beispielsweise für Kinder mit einer chronischen Lungenerkrankung, wie zum Beispiel der Mukoviszidose, mit angeborenen Herzerkrankungen oder Kindern, die mit einer immunsupressiven Therapie behandelt werden, so zum Beispiel bei rheumatischen Erkrankungen.
Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor einer Infektion zu schützen?
Christina Kohlhauser-Vollmuth empfiehlt darauf zu achten, dass die Erwachsenen im Umfeld der Kinder geimpft und vor allem geboostert sind, "damit der Schutz der Kinder durch die Erwachsenen erfolgt und nicht umgekehrt". Einen "garantierten Schutz" gebe es aber nicht, wenn man für Kinder ein möglichst normales Alltagsleben mit Sozialkontakten im Kindergarten und in der Schule aufrecht erhalten wolle. Es gelten die üblichen AHA-Regeln. "An diese sollten sich auch die Erwachsenen in ihrer Vorbildfunktion immer wieder erinnern", so die Chefärztin. Johannes Liese rät zudem, auf größere Menschenansammlungen und Partys in den nächsten Monaten zu verzichten.
Wie sieht es mit Impfungen für die Kinder aus?
Da berufen sich sowohl Kohlhauser-Vollmuth als auch Liese auf die Ständige Impfkommission (Stiko), die empfiehlt, in der Gruppe der Fünf- bis Elfjährigen die Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen impfen zu lassen sowie in Einzelfällen auch "gesunde Kinder" nach Absprache mit den Eltern. Allerdings weist Liese darauf hin, dass die Corona-Impfung bei Omikron nach aktuellen Erkenntnissen nicht so gut wirke wie bei Varianten zuvor. Bei den Kindern ab zwölf Jahren hält Liese auch eine Booster-Impfung frühestens drei Monate nach der zweiten Dosis für sinnvoll. Diese würden prinzipiell auch Kinder mit Grunderkrankungen gut vertragen, so Liese.
Sollten Kinder trotz hoher Inzidenzen Schule und Kita besuchen?
"Auf jeden Fall", ist die Meinung von Johannes Liese. Es sei wichtig, dass gesunde Kinder und auch jene, die leichtere Vorerkrankungen haben, die Schule oder die Kita besuchen. Das Risiko für schwere Corona-Verläufe sei gering, für die soziale Entwicklung seien Präsenzunterricht und Kitabetreuung indes enorm wichtig. Anders sieht er dies mit Blick auf Kinder, die an schweren Grunderkrankungen leiden, beispielsweise Sauerstoff benötigen, ein Herzleiden haben oder eine intensive immunsupressive Therapie, wie zum Beispiel eine Chemotherapie, brauchen. Da würde der Experte den Eltern bei hohen Inzidenzen raten, in Rücksprache mit der Schule, die Kinder gegebenenfalls für eine Zeit lang zuhause zu lassen. Eltern sollten sich an die zuständigen Fachärzte und Schulärzte wenden.
Besteht die Gefahr, dass es durch mehr Covid-19-Fälle bei Kindern auch einen Anstieg der Folgeerkrankung PIMS gibt?
Bisher hat Liese etwa eine Handvoll Kinder in der Kinderklinik betreut, die am "Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome", kurz PIMS, einem schweren Entzündungssyndrom, erkrankt waren. Dieses kann etwa zwei bis vier Wochen nach der Corona-Infektion auftreten. Die Krankheit gehe meist mit einer erheblichen Entzündungsschwere einher und könne verschiedene Organe angreifen. In der Tat sei es möglich, dass diese Komplikation in der kommenden Corona-Welle durch die hohe Anzahl an Fällen häufiger auftritt, so Liese. Andererseits könne man aber auch hoffen, dass durch einen insgesamt leichteren Krankheitsverlauf bei Omikron die Folgekrankheit abnimmt. "Das wissen wir leider noch nicht." Laut des Mediziners ist PIMS in den meisten Fällen aber gut zu behandeln und heilbar.
Wie sollten Eltern und Kinder der fünften Corona-Welle begegnen?
Liese rät, der kommenden Welle "mit Achtsamkeit, aber nicht mit Panik" zu begegnen. "Wichtig ist, dass alle Erwachsenen und Kinder nochmals mit besonderer Vorsicht und Verantwortung durch diese Phase gehen. Wir können darauf hoffen, dass sich die Situation im Frühling deutlich bessert." Dann sei man hinsichtlich einer etablierten Immunität in der Bevölkerung - sei es durch Impfung oder durchgemachte Infektion - einen großen Schritt weiter.
Kohlhauser-Vollmuth hält es für notwendig, bei dieser Dynamik, in der eine "Durchseuchung" stattfinden kann, für alle Lebensbereiche mit Augenmaß einen "alltagstauglichen Zwischenweg" zu finden, damit ein weitgehend "normales Alltagsleben" für Personen mit wenig Symptomen nach Abklingen der akuten Krankheitsphase möglich werde und dennoch Risikogruppen durch Vorsichtsmaßnahmen weiterhin gut geschützt bleiben.