Enttäuschung bei der Hausgemeinschaft, Empörung in der Nachbarschaft: Immer wieder hatte die Würzburger Frauenlandgenossenschaft im vergangenen Jahr mit ihren Abrissplänen an der Seinsheimstraße für Kritik gesorgt. Nun hat sich auch die Würzburger Stadtbildkommission mit dem Projekt befasst – und parteiübergreifend ihre Ablehnung ausgesprochen.
Weil eine Sanierung unwirtschaftlich sei, will die Genossenschaft ein in den 1920er Jahren gebautes Mehrfamilienhaus abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Was ist der Stand der Dinge und wie geht es mit dem Bauprojekt weiter? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Was sagt die Würzburger Stadtbildkommission zum Abriss der Genossenschaft?
In der Stadtbildkommission beraten Stadträtinnen und Stadträte mit Architektinnen und Architekten über prägende Bauprojekte in Würzburg. Kürzlich hatte die Genossenschaft ihr Projekt dort vorgestellt – und öffentlich gemacht, dass der Neubau ein für das Frauenland untypisches Flachdach erhalten soll. Der Entwurf wurde parteiübergreifend kritisiert.
"Mir blutet das Herz als Würzburgerin", sagte Linken-Fraktionsvorsitzende Barbara Meyer. Auch CSU-Fraktionschef Wolfgang Roth fand, ein Neubau müsse sich an der Nachbarschaft orientieren und in das Viertel einfügen. "Das sehen wir hier nicht", sagte er. Willi Dürrnagel (ÖDP-Fraktion) sprach gar von dem "Beginn der Zerstörung des gesamten Gebiets". Er forderte "eine komplette Neuplanung".
Was hat die Kritik am Dach mit dem Viertel rund um den Wittelsbacher Platz zu tun?
Das Haus der Genossenschaft steht an der Kreuzung von Frauenlandstraße und Seinsheimstraße. Letztere führt zum Wittelsbacher Platz und hat mit dem bestehenden Haus die "Anmutung eines Boulevards", wie es Stadtheimatpfleger Hans Steidle formulierte. Das Viertel sei nicht nur durch den einheitlichen Baustil etwas Besonderes. Sondern auch, weil es im Krieg nicht zerstört worden sei.
Die Dächer der Gebäude rund um den Wittelsbacher Platz "spielen rhythmisch zusammen", sagte Steidle. Der Neubau mit Flachdach werde dem nicht Rechnung tragen. "Er wird als einziges Gebäude als Kistenhaus dastehen." Architekt Ulrich Zeiger stimmte dem zu, war sich aber "gar nicht so sicher, ob ein anderes Dach hier die Sache rettet." Unter anderem kritisierte er "Balkone, die nur dumme Funktion erfüllen und keinen Spaß machen".
Warum dürfen die Pläne der Genossenschaft immer noch nicht gezeigt werden?
Die Genossenschaft hat ihre Pläne bei der Sitzung der Stadtbildkommission vorgestellt. Wie berichtet erinnern die Pläne an den oftmals gängigen Stil für Neubauten: kastenförmige Grundstruktur, Flachdach, viel Glas. Eine Veröffentlichung der Bilder durch die Redaktion lehnt die Genossenschaft jedoch ab. Auch die Bitte, ihre Sicht auf die Pläne und die geäußerte Kritik zu äußern, lehnte die Genossenschaft ab. Auf die aktuelle Anfrage der Redaktion heißt es: "Im Hinblick auf die sehr einseitigen und reißerischen Artikel (…) sehen wir von einer Stellungnahme ab und stellen auch keine Bilder zur Verfügung."
Welche rechtlichen Möglichkeiten bleiben der Stadt Würzburg jetzt noch?
Den Abriss könne die Stadt nicht verhindern, sagte Baureferent Benjamin Schneider der Redaktion. Und für den geplanten Neubau gelte ein alter, wenig detailreicher Bebauungsplan für das Grundstück. Solange die Neubaupläne innerhalb dessen liegen, könne auch ohne Zustimmung der Stadt gebaut werden. Nur weil die Genossenschaft Abweichungen beantragt habe, etwa bei der Anzahl an Stellplätzen, habe die Stadt überhaupt ein Mitspracherecht.
Bleibt es bei diesen Abweichungen, müsste der Stadtrat über die Neubaupläne entscheiden. Die Ergebnisse der rein beratenden Stadtbildkommission seien dafür "richtungsweisend", sagte Schneider. Die Genossenschaft müsste also wohl auf die Kritik eingehen. "Ich bin sicher, dass wir Verbesserungen erzielen werden", zeigt Schneider sich optimistisch.
Wie könnte die Stadt in Zukunft mehr Einfluss auf Bauprojekte bekommen?
Die Stadt Würzburg könnte für zukünftige Bauprojekte im Quartier einen neuen, modernen und ausführlichen Bebauungsplan erstellen. Weil das für ein einzelnes Bauprojekt zu aufwendig sei, sagte Schneider, beabsichtige die Stadt das aber aktuell nicht.
"Wir prüfen aber gerade eine Erhaltungs- oder Gestaltungssatzung, um mit dem Thema neu umzugehen", sagte der Baureferent über das Viertel im Frauenland. Wie ein neuer Bebauungsplan, würde aber auch das viel Zeit kosten und nicht rückwirkend für das jetzt laufende Projekt gelten.
Welche Kritik gab es bisher es am Vorhaben der Frauenlandgenossenschaft?
Vor etwa einem Jahr hatte die Genossenschaft allen Mietparteien des Hauses gekündigt. Erst wegen umfangreicher Sanierungen, dann um das Haus komplett abzureißen. (Ehemalige) Mieterinnen und Mieter fühlten sich durch die kurzfristige und teils rabiat formulierte Kündigung vor den Kopf gestoßen. Die Genossenschaft hatte darin mit einer Räumungsklage gedroht.
Können einzelne Mieter den Abriss im Frauenland jetzt noch verhindern?
Weil die Kündigung ungültig gewesen sei, hatten zwei Mietparteien eine Kanzlei beauftragt und die Schlüsselübergabe verweigert. Eine der Parteien hat sich, wie sie bestätigt, nun jedoch mit der Genossenschaft geeinigt und möchte öffentlich nicht mehr in Erscheinung treten. Die Auseinandersetzung mit der zweiten Partei ist nach Informationen der Redaktion weiterhin offen, eine gerichtliche Klärung würde den Abriss wohl deutlich verzögern. Die Genossenschaft wollte sich auch dazu gegenüber der Redaktion nicht äußern.
Der Genossenschaft würden dadurch "erhebliche wirtschaftliche Nachteile" entstehen, wie aus einem Schreiben der Genossenschaft vorgeht, das die Redaktion einsehen konnte. Bei der Auseinandersetzung geht es jedoch eher um finanzielle Details. Dass der Abriss dadurch komplett verhindert wird, ist unwahrscheinlich. Ein Abriss ist laut Genossenschaft für das Jahr 2025 vorgesehen.
Solche Kistenhäuser findet man auf der Webseite des Architekten. Vom Aussehen mal abgesehen sind das auch Ansammlungen suboptimaler technischer Lösungen, die bewährte Konstruktionen und Erfahrungen aus hunderten Jahren Bautechnik ignorieren. Einige Beispiele: Flachdach, kein Dachüberstand, Fassade mit Holzbauteilen, Grundriss auf jedem Stockwerk anders. Der Architekt sagt natürlich: technisch heute alles kein Problem. Was er nicht sagt: Kostet mehr, Erhaltungsaufwand höher, Lebensdauer geringer.
Kistenhäuser (und "Landratsämter der Zukunft") kann man natürlich machen, muss man aber nicht.
Leider scheint das Management der Wohnungsgenossenschaft nicht so kompetent zu sein, sonst würden sie Wege finden, ihr historisches Erbe zu erhalten. Es handelt sich ja eigentlich um eine Traditionsgenossenschaft, die es bisher schaffte, ihr historischen Bauten zu erhalten. Wie bei den Abrissen der Genossenschaft in der Sanderau bescheinigen Architekten, dass die Gebäude eine gute Bausubstanz haben und problemlos saniert werden könnten.
Ich kenne keine andere Stadt in der so viel abgerissen wird. Man kann erhalten, man muss es halt wollen. Stattdessen wird hier das extrem klimaschädliche Abreißen und Neubauen gewählt. Eine Schande für alle, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Sollte die Stadt nicht eine Umweltabgabe auf Abrisse erlassen?
School of Architecture, National Technical University of Athens herausgefunden.
Das Ergebnis ist eindeutig:
https://www.mdpi.com/2073-445X/13/3/340?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR0hHCZyzoaaaYgd_v0PjykQXWBVi6Xsl4fsC-BLadTbiJfTejWQKqV42vY_aem_ARsFQIpNb_WNO9fSdtK7iRALwR9MYCpFzp3EZsor1jgQ7JCTaEZzlNAHFQjylTePL9f0Gqnt1yo5P5eyHmSKaXNw (für die Graphiken und Diagramme nach unten scrollen)
Aber anscheinend ist in der Stadt Würzburg, abgesehen von den wenigen umtriebigen Denkmalschützern wie Dr. Hans Steidle und Willi Dürrnagel, niemand willens und/oder in der Lage, sich für die Seele einer Stadt (ihr Gesicht!) wirklich einzusetzen. Es geht wohl nur über gesellschaftliches Engagement. Wie wäre es mit einer Unterschriftensammlung, um Druck auf die Genossenschaft auszuüben, z. B. über OpenPetion.de oder change.de?
Meinen großen Respekt haben übrigens die Mieter, die sich gegen dieses neokapitalistische Gebaren der Genossenschaft (dieser Begriff kommt von "Genossen", also eigentlich aus dem linken Sektor) zur Wehr setzen.
Was machen eigentlich die Denkmalschützer in der Stadt Würzburg? Schlafen??
Da die Stadt eine ganz erhebliche Mitschuld trifft, wäre es nur (...)
Immer wieder wird behauptet, dass das Gebäude unwirtschaftlich, gar in Teilen baufällig sei - ohne dass die Genossenschaft hierfür Beweise vorlegt. Solche Gebäude muss man erhalten, zur Not auch durch eine Querfinanzierung durch andere ertragreichere Gebäude.
Einen mindestens genauso großen Vorwurf mache ich aber auch der Stadt Würzburg, dass sie es in 70 Jahren nicht hinbekommen hat, für das gesamte Stadtgebiet endlich eine Gestaltungssatzung (...)
Sollte es sich um ein durchdachtes Projekt handeln, bei dem verschiedenste Zusammenhänge berücksichtigt wurden, dann würde man vermutlich eher stolz die Öffentlichkeit suchen, um sein architektonisches Meisterwerk präsentieren zu können?!
Das Frauenland kann etwas Mut vertragen und es gibt da auch sehr hübsche kubisches Stadthäuser, wenn man den Blick auch mal für was neues zulässt.
Darüber hinaus sind Mut und Kühnheit eine beschönigende Umschreibung für Gebäude, die man genauso gut mit Adjektiven wie kalt, seelenlos und rücksichtslos bezeichnen kann. Den von Ihnen angesprochenen Mut hatte auch London - heute bereut es die Stadt, dass sie ihr Stadtbild an Wolkenkratzer verkauft hat. Im Gegensatz zu Paris
Ich höre heraus, wir brauchen in Wü wieder die guten alten Fachwerkhäuser, wo der Wind durch die Balken pfeift und Butzenscheiben drübes, kaltes Licht in den Raum bringen und die "Gute Stube" nur an Weihnachten beheizt wird.
Na das bringt Wü energetisch weiter!
Oder, wie soll da der Klimabürgermeister die CO2 Ziele für Wü erreichen?
Ich kenne das Wohnen im Altbau zu genüge und kenne Wohnen in einen energetischen Neubau. Nicht alles neu gebaute ist gut und nicht alles Alte ist erhaltenswert; deshalb: auch mal Mut für was Neues!
Im Übrigen wurden die von mir angesprochenen Rekonstruktionen in Frankfurt nach den neuesten Erkenntnissen und Techniken errichtet - da pfeift gar nichts. Genauso wenig wie in sanierten Fachwerkhäusern, wenn es gescheit gemacht ist.
Über den eigenartigen Entwurf für das "Landratsamt der Zukunft" ein paar Meter weiter hat sich meines Wissens nach niemand aufgeregt, aber das war ja auch "Architektur", die aus einem Architekten-Wettbewerb als Sieger hervorgegangen ist.
dass das LRA auch keine Mieter rausgeschmissen hat, um sich zu "verschönern"...
solange aber die Politik vom Bürokratieabbau nur redet und nie liefert (sondern eher im Gegenteil...), wird auch (mehr) Platz für die Verwaltung/en gebraucht. Nach allem was ich weiß kommt es die Gemeinschaft im Endeffekt günstiger, wenn der Landkreis seine Immobilie selber baut statt sich weiß-der-Geier-wo einzumieten.
Vielleicht sollten wir als Bürger/innen mal so lange generalstreiken, bis zum Beispiel solcher Unfug wie alle 15 Jahre einen neuen Führerschein beantragen zu müssen wieder abgeschafft wird. Eine diesen Aufwand gegenüber dem "grauen Lappen" rechtfertigende Begründung konnte mir noch niemand wirklich darlegen.