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Gerbrunn
30 Jahre mit einer Spenderniere: Warum Wolfgang Reul sein zweites Leben "Josephine" verdankt
30 Jahre lebt Wolfgang Reul aus Gerbrunn nun schon mit einer Spenderniere. Wie die Erkrankung sein Leben veränderte – und ihm eine besondere Liebesgeschichte bescherte.
Haben sich nach fast 30 Jahren zufällig wiedergetroffen und leben nun zusammen in Gerbrunn: Wolfgang Reul und Marianne Scheel.
Foto: Silvia Gralla | Haben sich nach fast 30 Jahren zufällig wiedergetroffen und leben nun zusammen in Gerbrunn: Wolfgang Reul und Marianne Scheel.
Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 01.08.2024 02:41 Uhr

30 Jahre lang lebt Wolfgang Reul nun schon mit "Josephine". Josephine ist die Spenderniere des 70-Jährigen aus Gerbrunn, benannt hat er sie in Anlehnung an seine Spenderin. Am 29. Juli feiert Reul eine Art zweiten Geburtstag – an diesem Tag vor 30 Jahren fand die Transplantation statt. Es war bereits die zweite Spenderniere, die Reul im Alter von 40 Jahren erhielt – die erste wurde transplantiert, als er 30 war.

Wolfgang Reul möchte seine Geschichte erzählen, um anderen Nierenkranken und ihren Angehörigen Mut zu machen: Es ist möglich, eine Spenderniere zu bekommen und damit auch lange Zeit leben zu können – das zeigt sein Beispiel. "Wahnsinn, dass ich 70 Jahre alt geworden bin!", sagt er bei einem Kaffee in der Küche der Gerbrunner Wohnung und lächelt vorsichtig. "Darauf bin ich stolz."

Freundin weg, Job weg: Die Nierenerkrankung stellte Reuls Leben auf den Kopf

Die Geschichte von Wolfgang Reul als Nierenpatient begann, als der Polizeibeamte 24 Jahre alt war: "Ich wurde krank, mir ging es nicht gut." Wochen später stellte der Hausarzt bei Reul eine chronische Nierenerkrankung fest – beide Nieren mussten entfernt werden.

Die Diagnose stellte Reuls Leben auf den Kopf. Ein Pfleger attestierte ihm eine Lebenserwartung von vier Jahren – "das war ein Schock, ich konnte erstmal gar nichts mehr sagen", so Reul. Seine damalige Freundin verließ ihn wegen der Krankheit; sein Chef bei der Polizei gab ihm zu verstehen, dass er auf der Arbeit nicht mehr mit ihm rechne. Die folgenden Jahre wurde Reul im Innendienst eingesetzt; mit 27 Jahren galt er als arbeitsunfähig und erhielt fortan eine Rente. "Es war furchtbar, dass ich meinen Job aufgeben musste", sagt Reul.

Die erste Spenderniere stieß der Körper schnell wieder ab

1978 erhielt er seine erste Dialyse – ein Verfahren, mit dem das Blut eines Menschen von giftigen Stoffen gereinigt wird, wenn seine Nieren dazu nicht mehr in der Lage sind. Da der Körper fortwährend Giftstoffe produziert, muss sie in der Regel ein Leben lang wiederholt werden. Reuls Erinnerungen an die ersten Dialyse-Termine sind nichts für schwache Nerven: "Mir wurde eine Riesennadel in den Oberschenkel gelegt, über die das Blut gereinigt wurde. Danach musste für 24 Stunden ein Sandsack drauf, damit es nicht nachblutet." Rund fünf Stunden dauerte die anstrengende Prozedur, dreimal pro Woche musste sie wiederholt werden – "immer montags, mittwochs und freitags".

Am 29. Juli feiert Wolfgang Reul seit 30 Jahren den Start in sein zweites Leben: An diesem Datum wurde seine Spenderniere transplantiert, durch die der 70-Jährige Lebensqualität zurückgewann.
Foto: Silvia Gralla | Am 29. Juli feiert Wolfgang Reul seit 30 Jahren den Start in sein zweites Leben: An diesem Datum wurde seine Spenderniere transplantiert, durch die der 70-Jährige Lebensqualität zurückgewann.

Im Jahr seiner Diagnose ließ sich Reul beim Transplantationszentrum anmelden. Bis es ein passendes Organ für ihn gab, vergingen sechs Jahre. Am 30. Juli 1984 bekam Reul seine erste Spenderniere – in München, da eine solche Operation in Würzburg damals noch nicht möglich war. Zwar funktionierte die erste Niere sofort, doch bereits nach einem Vierteljahr stieß der Körper sie wieder ab. Ein Arzt brachte Reul dazu, sich sofort wieder auf die Liste für eine Spenderniere setzen zu lassen, doch es folgten zehn weitere beschwerliche Jahre mit Dialyse, ehe erneut ein Organ für ihn zur Verfügung stand: "Josephine".

Seit der Transplantation kann Reul wieder normal essen und trinken

Bis diese wirklich arbeitete, wie sie sollte, verging viel Zeit. "Nach drei bis vier Wochen hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben", sagt Reul. Sein Arzt machte ihm immer wieder Mut und "nach sechs Wochen kam endlich Tröpfchen für Tröpfchen", erinnert sich Reul. Er habe riesige Erleichterung und Dankbarkeit gespürt, sagt der 70-Jährige – nach 16 Jahren Dialyse habe er gemerkt, dass es mit seiner körperlichen Verfassung stark bergab gegangen sei.

"Die Lebensqualität nach der Transplantation ist eine ganz andere", sagt Reul, "ich kann seitdem wieder alles essen und viel trinken". Als Dialysepatient dürfe man nur zirka einen halben Liter Wasser pro Tag zu sich nehmen, erklärt er, "nur das, was der Körper auch über die Haut wieder ausschwitzt". Der Hintergrund: Bei Nierenversagen kann der Körper selbstständig kein Wasser mehr ausscheiden, so dass zu viel Wasser zu Ödemen, einer Schädigung der Organe und erhöhtem Blutdruck führen kann.

"Ich habe eine Reise nach Südafrika gemacht – das hätte ich als Dialysepatient niemals gekonnt."
Wolfgang Reul aus Gerbrunn lebt seit 30 Jahren mit Spenderniere

"Durst hat man als Dialysepatient immer", so Reul. Auch beim Essen galt Vorsicht: Kalium, wie es zum Beispiel in Kartoffeln enthalten ist, kann in zu großer Menge bei Dialysepatienten zu einer Muskellähmung oder gar zum Herzstillstand führen. Als die zweite Spenderniere ihren Dienst aufgenommen hatte, "habe ich erstmal zehn Liter am Tag getrunken, so habe ich mich darüber gefreut", lacht Reul. Inzwischen sei er bei zwei Liter Tee täglich angekommen.

Sogar Urlaub, den Reul in den Jahren mit Dialyse nur an Orten machen konnte, wo es eine Möglichkeit zur "Urlaubsdialyse" gab, war mit Spenderniere wieder möglich. "Ich habe eine Reise nach Südafrika gemacht – das hätte ich als Dialysepatient niemals gekonnt."

"Josephine" machte Sport und Alpenüberquerung möglich

In Reuls Leben hat Sport immer eine große Rolle gespielt: Fahrradfahren, Leichtathletik, Tischtennis – "ich war früher ein guter Sportler", so der 70-Jährige. Während der Jahre der Dialyse habe er nur wenig Sport machen können. Mit "Josephine" aber räumte er bei den deutschen Meisterschaften der Dialyse-Patienten und Organ-Transplantierten Medaillen ab – und machte mit 70 anderen Transplantierten eine Alpenüberquerung mit dem Fahrrad. "Das war meine Tour de France", sagt Reul stolz.

Die lange Krankheitsgeschichte hat Spuren hinterlassen: Nach 30 Jahren mit der Erkrankung bekam Reul Krebs – durch die Medikamente, die er gegen die Abstoßung der Spenderniere nehmen musste, wie er sagt, außerdem eine Herzerkrankung. "An schlechten Tagen habe ich Beschwerden aller Art – Herz- und Gelenkschmerzen zum Beispiel", so Reul. "Bitterkeit gab es in den 46 Jahren mit meiner Erkrankung oft", sagt er, "das Gefühl muss man aushalten". Humor helfe ihm, trotz allem einen positiven Blick aufs Leben zu bewahren. Und: die Liebe. "Wenn jemand für einen da ist, ist das immer besser als allein", sagt er – und wirft einen Blick zu seiner Lebensgefährtin Marianne Scheel, die neben ihm sitzt und dem Gespräch am Küchentisch folgt.

Wiedersehen nach fast 30 Jahren

Kennengelernt haben sich die beiden bereits vor langer Zeit: im Kuratorium für Heimdialyse in Grombühl. Auch Marianne Scheels damaliger Mann war Dialysepatient, und so traf sie dort auf Reul und dessen Lebensgefährtin, die ebenfalls nierenkrank war. Als Scheels Mann mit 34 Jahren starb, verloren Reul und sie den Kontakt. Marianne Scheel bekam zwei Kinder, die sie als Alleinerziehende großzog. Wolfgang Reuls langjährige Lebensgefährtin starb 2020 mit 69 Jahren.

Im Mai 2023 lief Wolfgang Reul zufällig in der Stadt Marianne Scheel über den Weg. Die beiden hatten sich fast 30 Jahre nicht gesehen, doch die 70-Jährige erkannte Reul sofort. "Halt, stopp – bist du der Wolfgang?" – mit diesen Worten begann die Liebesgeschichte der beiden. Ein halbes Jahr später zog Reul zu Scheel nach Gerbrunn – "wir leben im Heute", sagt das Paar.

Eine Anlaufstelle für Nierenkranke in Würzburg und Umgebung ist die Interessengemeinschaft der Dialysepatienten und Nierentransplantierten - unter: landesverband-niere-bayern.de/wuerzburg

 
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  • Heribert Mennig
    Wieder mal eine Geschichte, die deutlich zeigt wie wichtig es wäre, genügend Organspender zu haben. Es wird zeit, dass endlich auch, wie in anderen Ländern schon üblich, in Deutschland das Widerspruchsmodell eingeführt wird! Ich selbst trage schon seit fast 50 Jahren einen Spenderausweis mit mir rum.
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