An diesem Samstag, 3. Juni, ist der bundesweite Tag der Organspende. Gerhard Müllers ganz persönlicher Tag der Organspende ist ein anderer: der 19. Februar. Zwölf Jahre ist es her, dass der heute 52-Jährige aus Rengersbrunn an diesem Tage einen Anruf erhielt. Es war am Abend und am anderen Ende der Leitung ein Arzt der Würzburger Uniklinik. Seine Botschaft: Wir haben eine Niere für Sie!
Der Moment, in dem der Anruf kam
„An diesen Moment erinnere ich mich noch genau“, sagt Müller. Kein Wunder. Es war der Moment, der sein Leben verändern sollte. Hinter ihm lag eine über fünfjährige Leidenszeit. Im Jahr 2000 hatte ein bis heute unklarer Infekt binnen zwei Wochen dazu geführt, dass Müllers Nieren ihren Dienst versagten. Er war damals 35 Jahre alt und bis dahin kerngesund.
Ab 2000 war Müller Stammgast im KfH Nierenzentrum in Lohr. Dreimal in der Woche musste er sich dort an die Dialysemaschine anschließen lassen, um sein Blut reinigen zu lassen. „Montag, Mittwoch, Freitag, nach der Arbeit für jeweils fünf Stunden“, schildert Müller, der bei der Bosch Rexroth AG in Lohr als technischer Angestellter beschäftigt ist.
Er durfte nicht mehr als einen halben Liter pro Tag trinken
Der zeitliche Aufwand war nur eine Einschränkung, die die Erkrankung Müller bescherte. Dialysepatienten dürfen kaum Flüssigkeit zu sich nehmen, weil diese über die Maschine dem Körper entzogen werden müsste. Mehr als einen halben Liter pro Tag habe er kaum getrunken, selbst im Hochsommer, sagt Müller. Wenn er doch mal mehr trank, musste er dafür bei der Dialyse mit Krämpfen büßen.
Das Leben eines Dialysepatienten unterliegt noch weiteren Einschränkungen. Generell bei der Ernährung, aber beispielsweise auch beim Urlaub. Spontan mal eben ein paar Tage verreisen? Geht nicht. Stets musste der alleinstehende Müller Urlaubsziele und -termine gründlich und rechtzeitig planen. Es galt, sicherzustellen, dass am Urlaubsort ein Dialysezentrum vorhanden ist, das ihn auch behandeln kann.
Wartezeit dauerte fünf Jahre
Trotz all der Widrigkeiten sagt Müller, dass er sich mit seinem Leiden ganz gut arrangiert habe. „Ich habe den Kopf nicht in den Sand gesteckt.“ Gleichwohl war da stets die Hoffnung auf ein Spenderorgan. Gleich zu Beginn seiner Dialysezeit war Müller auf die Warteliste gesetzt worden.
Gut fünf Jahre dauerte es. Das sei ziemlich genau der Durchschnittswert, sagt Müller. Es gebe Organbedürftige, für die nach einem Monat ein Spender gefunden sei, bei anderen dauere es zehn und mehr Jahre. Manche freilich erleben diesen Moment gar nicht.
Als Gerhard Müller an jenem Abend im Februar 2005 den Anruf aus Würzburg erhielt, ging alles ganz schnell. Noch in der Nacht ließ er sich von seinem Bruder nach Würzburg fahren.
Die neue Niere funktioniert seit zwölf Jahren
Sofort begannen umfangreiche Untersuchungen, um endgültig abzuklären, dass das Spenderorgan passt. Am nächsten Morgen lag Müller um acht Uhr auf dem OP-Tisch. Vier Stunden später nahm in seinem Körper die neue Niere ihre Arbeit auf.
Der Genesungsprozess sei „wie im Bilderbuch verlaufen“, erinnert er sich. Nach 13 Tagen verließ Müller die Klinik in sein neues Leben. Die Niere funktioniert bis heute, die zu befürchtende Abstoßreaktion des Körpers blieb aus. Gleichwohl muss Müller bis heute täglich Medikamente nehmen, um genau diese Reaktion möglichst zu unterdrücken.
Ansonsten führe er wieder ein ganz normales Leben. Die körperliche Belastbarkeit sei etwas eingeschränkt. Dennoch könne er seinen Hobbys wie ausgedehntem Wandern oder Radfahren frönen. Am Wochenende beispielsweise geht es per Rad auf den Kreuzberg – 60 Kilometer. Auch Wanderungen über 40 Kilometer seien kein Problem, sagt Müller.
Natürlich sei man als Empfänger eines Spenderorgans nie gefeit gegen Rückschläge. „Doch eigentlich sollte nach so vielen Jahren nichts mehr passieren“, so Müller. Er blickt zuversichtlich nach vorne. Vieles erlebe er nun bewusster, sagt der 52-Jährige aus der Erfahrung seiner Krankheitsgeschichte.
Gedanken an den Organspender
Wie wohl in jedem solchen Fall spielen auch bei Müller Gedanken an den Organspender eine Rolle. Er wisse, dass es sich um einen 31-Jährigen gehandelt habe, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sei. Einige Zeit hat Müller überlegt, ob er Kontakt zu den Angehörigen aufnehmen soll, sich letztlich jedoch dagegen entschieden. Freilich ist die Dankbarkeit groß.
Müller würde sich wünschen, dass viel mehr Menschen, die auf ein Spenderorgan waren, in die Gelegenheit kommen, derart dankbar sein zu können. Sein Appell daher: „Es sollte sich jeder zumindest einmal intensiv Gedanken darüber machen, ob er sich nicht einen Organspenderausweis zulegen könnte.“
In anderen Ländern ist die Sache im Gegensatz zu Deutschland so geregelt, dass jeder als potenzieller Organspender gilt, es sei denn, er widerspricht zu Lebzeiten – ein in den Augen Müllers sehr begrüßenswertes Modell. Es erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sich jeder zumindest einmal intensiv mit dem Thema auseinandersetzt und eine Entscheidung trifft.
Der Organempfänger trägt selbst immer einen Spenderausweis bei sich
Müller hat diese Entscheidung für sich selbst getroffen. Der Empfänger eines Spenderorgans trägt selbst immer einen auf seinen Namen ausgefüllten Organspenderausweis bei sich – und blanko noch weitere, die er bei Gelegenheit an Interessierte verteilt. Auf dass viele weitere Menschen, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind, auch abseits des 3. Juni ihren ganz persönlichen Tag der Organspende begehen können.
Antworten auf häufige Fragen rund um das Thema Organspende finden Sie hier.
Organspende in Deutschland
Über 10 000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, rund 8000 allein auf eine Niere. Durchschnittlich sterben pro Tag drei Menschen, die auf der Warteliste stehen.
Drei Viertel aller Deutschen geben an, dass sie einer Organspende zustimmen würden, doch nur rund ein Viertel verfügt über einen Organspenderausweis.
Im Jahr 2016 gab es in Deutschland nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende 3049 Organspenden. 2011 waren es über 4000. Der Rückgang wird publik gewordenen unseriösen Praktiken in einzelnen Kliniken zugeschrieben. Mit 1497 transplantierten Organen lag 2011 die Niere an der Spitze, gefolgt von Leber (826), Lunge (328) und Herz (297).
Organspendeausweise gibt es beispielsweise in Apotheken, im Lohrer KfH-Nierenzentrum oder zu bestellen im Internet. Infos dort unter: www.dso.de
www.ig-niere.info