
Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen. Sie haben oft jahrelang vergeblich gewartet. Diese Angst treibt auch Tobias Werner aus Bad Königshofen um. Er wartet auf eine Spenderlunge. Und er macht die Organspende-Politik in Deutschland dafür verantwortlich, dass es viel zu wenige Spenderorgane gibt.
Tobias Werner, Jahrgang 1978, unterstützt das "Bündnis ProTransplant", das darum kämpft, dass sich die Situation verbessert. Er unterstützt auch den offenen Brief des Bündnisses an Gesundheitsminister Karl Lauterbach und an die Gesundheitsminister der Bundesländer. Überschrieben ist dieser mit "Deutschen Irrweg in der Organspende-Politik beenden – Katastrophale Bilanz nach drei Jahren."
Tobias gibt dem Problem ein Gesicht
Auf Instagram steht unter der Rubrik "Warteliste Eurotransplant" eine Collage mit Fotos von 30 Personen, und wie lange sie schon auf welches Spenderorgan warten, oder während der Wartezeit verstorben sind. Der Mann in der unteren Reihe, Zweiter von links, ist Tobias Werner.
In einem Gespräch mit dieser Redaktion, zu dem er eine gute Freundin, Melanie Samotia, mitgebracht hat, schildert Tobias seinen Lebensweg. Er hat die Schule mit einem sehr ordentlichen Quali abgeschlossen, danach gab es in seinem Leben mehr Abbruch als Aufbruch. Die Bäckerlehre musste er wegen einer Mehlstauballergie nach ein paar Monaten abbrechen.

Der Gesundheitszustand wird immer schlimmer
Es folgten mehrere Praktika. Ziel war der Beruf des Verkäufers. "Ich wurde dann zwei Jahre lang in einem Autohaus in Bad Neustadt ausgebildet, und als die Firma in andere Hände kam, dort für ein halbes Jahr angestellt." Dem folgte eine Zeit in einem Bad Königshöfer Autohaus und danach eine verkürzte, zweijährige Ausbildung zum Automobilkaufmann in Schweinfurt.
"Ab 2004 wurde ich über zwei Jahre arbeitslos. Es folgte die Ausbildung zum Kindergärtner und Kinderpfleger. Ab 2012 war ich in der Behindertenarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen tätig. Eine sehr schöne, erfüllende Zeit, von 2006 bis 2020 in Bamberg, Nürnberg und Lauf, bis ich zum zweiten Mal schwer erkrankte."
Tobias' Hobbys: "Sport war nicht mein Ding. Solange ich gesund war, hatte ich einen kleinen Hund." Dabei lacht er wieder mal. Das fällt ihm nicht leicht. Das Sauerstoffgerät, das er immer am Körper trägt, brummt dabei.
Tobias lag lange im Koma
Melanie als freundschaftlicher Beistand und seine Erinnerungen an früher geben ihm Halt. Auch als sein Gesundheitszustand immer schlimmer wurde: "Ich war 36. An einem Mittwoch im Juli 2014 bekam ich auf einmal extrem dunkelblaue Lippen. Am Wochenende war Sommerfest. Am Freitag kam ich mit Sauerstoffuntersättigung ins Krankenhaus. Dann kann ich mich nur noch erinnern, wie ich im 'Martha-Maria' in Nürnberg in der Notaufnahme lag, meine Schlüssel und mein Handy abgab und dann ins Koma fiel."
Was dann folgte, sprudelt aus ihm nur so heraus: "Erst Verdacht auf Lungenentzündung, Bronchoskopie, Herz-Lungen-Versagen, Reanimation. Dann wurde mit dem Hubschrauber aus Regensburg ein Ärzteteam mit einer Herz-Lungen-Maschine geschickt. Nach sechs-stündiger OP war ich an der Maschine stabil und wurde nach Regensburg geflogen, wo ich drei Wochen im Koma lag."
Nach dem Erwachen lag er noch acht Wochen in Nürnberg stationär, davon drei auf der Intensivstation. "Dann musste ich alles neu lernen, das Laufen, Schreiben, Essen und sogar den Gang zur Toilette." Im November folgten sieben Wochen Reha im Thorax-Zentrum Münnerstadt.

2019 verschlechtert sich Tobias Befinden rapide
2019 verschlechterten sich seine Werte erneut. Er hatte eine Herzmuskel-Entzündung. "Wieder vier Wochen Klinik. Leistung der Lunge 30 Prozent, Herz 35 Prozent. Sieben Wochen Reha mit der Option der Ärzte zur Lungentransplantation. Vorstellung in Herzzentrum Berlin Charité, April 2021. Weitere Befunde: pulmonale Hypertonie und Osteoporose zu den bisherigen COPD, Lungenemphysem und Lungenfibrose, deshalb Listung bei Eurotransplant." Die Wartezeit solle bei seiner Blutgruppe bei vier Jahren liegen.
Tobias ist Frührentner und lebt seit einem Jahr wieder in Bad Königshofen. Er steht oder stand mit mehreren auf der Liste von Wartenden in Kontakt, "drei von ihnen sind schon gestorben."
Die Entscheidungsregel ist das Problem
Dass er keine Spenderlunge bekommt, liegt an der Entscheidungsregelung in Deutschland. ProTransplant nennt sie den "deutschen Irrweg ". In 29 von 35 europäischen Ländern gilt die Widerspruchsregelung (WSR). Man muss von sich aus widersprechen, wenn man im Todesfall kein Spender sein möchte. In Deutschland muss man einen Spenderausweis haben, zudem sei eine Organspende nur bei Hirntod, nicht bei Kreislauftod möglich. Hunderte von Organspenden pro Jahr kommen aus dem Ausland. Aber auch hierbei gilt die Hirntod-Regelung.
"85 Prozent der deutschen Bevölkerung befürworten die Organspende", weiß Tobias Werner. "Aber wie viele einen Ausweis besitzen, ist unbekannt. 9000 Menschen warten pro Jahr auf ein Organ. Gespendet werden 500."
Was ist sein größter Wunsch? "Dass ich es erlebe, eine Spenderlunge zu bekommen, dass mein Körper diese nicht abstößt. Das Höchste wäre, wenn ich nur annähernd wieder so leben könnte, wie vor meiner Erkrankung."
Ja es ist ein Irrweg! Warum wurde in Deutschland nicht schon lange die Widerspruchsregelung eingeführt?
Meine Antwort darauf ist, dass verantwortliche Politiker das Volk für "doof" halten und daher lieber auf Nummer sicher gehen. Letzlich ist es eine höchstpersönliche Entscheidung jedes einzelnen. Und wem es wichtig ist, dass ihm keine Organe entnommen werden, von dem kann man auch auch erwarten, dass er das vorab festhalten lässt.
Zitat guugelfisch: " ...ich versteh´ nicht, warum immer und an allem die Politik schuld sein soll. Es sind doch die Menschen, die entscheiden, ob sie bei Todesfall, wie auch immer, SELBST entscheiden, Organe zu spenden. "
Daran würde sich auch bei der Widerspruchslösung nichts ändern. Jedoch stünden die faulen Nichtkümmerer und jene denen es egal ist dann eben auf der potentiellen Organspenderliste.
Mein Mitgefühl mit diesem Mann und jedem/jeder, der/die sich in einer solchen Situation befindet!
Ich möchte dennoch widersprechen:
Nicht die Politik ist daran Schuld, sondern die Krankheit.
Ich z.B. lehne Organspende ab; ich möchte auch selbst keine Organe von anderen bekommen.
Insofern bin ich sehr zufrieden mit unserer Regelung.
Ich habe ehrlich gesagt immer diesbezüglich eine gewisse Besorgnis, wenn ich nach Österreich oder Italien fahre.
Wird mein Ausweis (dass ich keiner Organentnahme zustimme) dort verstanden und auch befolgt?
Bei allem Verständnis und wie gesagt Mitgefühl; aber wenn angeblich soviele für Organspende sind und dann doch weniger einer Spende zustimmen, muss man doch auch akzeptieren, dass vielleicht doch viele diese Organspende eben ablehnen.
Oder man muss mehr Überzeugungsarbeit leisten.
Und eben auch respektieren, dass sich manche Menschen nicht als Ersatzteilager zur Verfügung stellen wollen.
Oder gilt mein Wille diesbezüglich nichts?
Die Natur hat für diese Situationen Lösungen vorgesehen.
Nur masst sich homo sapiens an, über allem stehen zu wollen.
Nur weil es nicht jedem so passt, wie er es denn gern hätte, muss es noch lange nicht im Sinne von Mutter Natur richtig sein.
Nicht alles ist vom Menschen zu lösen, auch nicht mit bittebitte und sehr viel Geld
ihre Sichtweise kann ich überhaupt nicht nachvollziehen! Organtransplantationen sind eine Errungenschaft der Medizin; genau wie Blinddarm-OPs, Impfungen und allgemein die Behandlung von Krankheiten.
Sie sprechen indirekt davon der "Mutter Natur" ihren Lauf zu lassen. Abersicher machen auch sie Unterschiede! Ich glaube nämlich nicht, dass sie auf medizinische Hilfe im Notfall verzichten möchten mit dem Hinweis auf "die Lösung durch die Natur".
Blindarm ja! - Lungentransplantation nein! funktioniert so nicht.
Falls sie der Sichtweise trotzdem widersprechen etwarten sie letztlich die Entnahme des Blinddarms nach neuesten medizinischen Erkenntnissen und nicht wie vor 200 Jahren. Medizin schreitet voran und auch die Bestimmungen drumherum sollten fortschreiten. Die Einführung der Widerspruchsregelung ist daher in meinen Augen absolut notwendig.