
Geschwister vertragen sich – meistens. Manchmal streiten sie auch miteinander. Das ist alles nichts Außergewöhnliches. Nicht normal ist allerdings, was Harald Deringer aus Maroldsweisach für seine „kleine“ Schwester getan hat: Er hat ihr eine seiner Nieren gespendet. Die 50-Jährige aus Gresselgrund war schwer krank. Ihre Nieren funktionierten seit Jahren nicht mehr. Ohne die Spenderniere ihres Bruders wäre Karin Schads Lebenserwartung auf wenige Jahre gesunken.
Ein Vierteljahr ist die Transplantation her. Wer mit Bruder und Schwester am Küchentisch sitzt, daheim bei den Deringers, der merkt rasch, dass die Geschichte, die sie erzählen, sie noch immer bewegt, obwohl sie ihre Geschichte schon x-mal erzählt haben, Angehörigen, Freunden und Bekannten. Die Resonanz war durchweg positiv, bestätigen beide. Dass die Geschwister über das, was sie bis an ihr Lebensende verbinden wird, auch die Leser dieser Zeitung teilhaben lassen wollen, habe nur einen Grund, meint Harald Deringer: Sie möchten Menschen Mut machen, ebenfalls den Weg zu gehen, den sie gewählt haben. Als positives Beispiel einer Organspende, die durch Skandale in ein schlechtes Licht geraten ist.
Karin Schad befand sich in einer Ausnahmesituation, bevor sie die Niere ihres Bruders erhielt. Die Vorgeschichte reicht viele Jahre zurück. 1986, als sie mit ihrer Tochter Stefanie schwanger war, stellten Ärzte fest, dass sie Schrumpfnieren hat. Mit der Diagnose lebte sie sechs Jahre. 1993 schließlich waren ihre Nieren so weit geschädigt, dass sie ihren Körper per Bauchfelldialyse entgiften musste. Diese konnte sie selbst vornehmen, zuhause. Klar war aber, dass dies nur eine überschaubare Zeit funktionieren würde.
Strapaze für den Körper
Im Jahr 1994 war es soweit, sie erhielt die Spenderniere eines Verstorbenen. Neun Jahre später jedoch versagte diese ihren Dienst. Für Karin Schad bedeutete dies: wieder Bauchfelldialyse, mit dem Wissen, dass nach weiteren maximal neun Jahren die „echte“ Dialyse auf sie warten würde. Ab dann hätte sie alle zwei, drei Tage in ein Krankenhaus zur Blutwäsche gemusst – eine große Strapaze für den Körper, die diesen auszehrt.
Als Harald Deringer seiner Schwester eine Niere anbot, hatten sich ihre Blutwerte bereits deutlich verschlechtert. 1994 hatte er sich schon einmal als Spender angeboten. Damals lehnte Karin Schad ab. „Mir war das zu risikoreich“, sagt sie, „nicht für mich, für ihn.“ Doch im vergangenen Jahr entschied sie sich anders. Sie stimmte zu. Nach reiflicher Überlegung, wie sie heute sagt. Die Körperwerte von Bruder und Schwester, von Spender und Empfängerin, wurden verglichen: mit hervorragendem Ergebnis. „Die Übereinstimmung betrug 100 Prozent“, berichtet Deringer. Das sei besser, als bei vielen Zwillingen. Auch Karin Schads Ehemann Manfred hatte sich testen lassen, mit schlechterem Ergebnis.
Von Kopf bis Fuß durchgecheckt
Voller Lob berichten Deringer und seine Schwester davon, wie sie von der Uni-Klinik Erlangen, wo die Transplantation am 18. Februar vorgenommen wurde, vorbereitet und begleitet wurden. Ein Ethikrat, besetzt mit einem Nierenarzt (Nephrologen), einem Psychologen und einem Theologen, führten Gespräche mit ihnen, erst einzeln, dann gemeinsam. Spender und Empfängerin wurden nicht nur medizinisch auf Herz und Nieren geprüft, ob sie für die Transplantation bereit waren. Auch ihre innere Einstellung musste passen. „Es ging darum, dass dieser Schritt von mir völlig freiwillig war“, sagt Deringer.
Für den 51-Jährigen, der Vertrauensmann des Kirchenvorstands in Maroldsweisach ist, spielte, wie er angibt, Nächstenliebe und sein christlicher Glaube eine wichtige Rolle für seine Entscheidung, an der er von Anfang an nicht rüttelte. „Ich würde das jederzeit wieder machen“, sagt er. Andererseits sei es eine „Ochsentour“ gewesen. Zwei Punkte hätten ihn besonders beschäftigt: die Angst davor, dass bei den intensiven Untersuchungen bei ihm selbst eine Krankheit festgestellt wird; ein Cousin von ihm – jünger als er – habe kurz zuvor erfahren, dass er einen Nierentumor hat. Und die Frage, wie es mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb weitergeht, falls er die Operation nicht schadlos übersteht.
Sorge um den Hof
Trotz der gesetzlich geregelten Zahlungen, die Organspender von der Krankenkasse des Empfängers erhalten, falls ihnen bei der Organentnahme etwas zustößt, wäre sein Hof wohl vor dem Aus gestanden, hätte er nicht mehr als Landwirt arbeiten können, meint Deringer.
Ohne den Rückhalt durch seine Familie hätte er seine Entscheidung nicht getroffen. Seine Frau Andrea, Sohn Johannes und Mitarbeiter Tobias Kalb hätten den 100-Hektar-Betrieb mit 100 Kühen tadellos am Laufen gehalten in den vier Wochen, die er nach der Operation nicht voll arbeiten konnte; heute kann Deringer wieder uneingeschränkt arbeiten. Seine Ehefrau war vor der Operation „natürlich aufgeregt“, wie sie sagt. Sie könne nicht sagen, ob sie selbst bereit wäre, eine Niere zu spenden, auch „wenn ich in einer solchen Lage froh wäre, wenn ich Hilfe bekäme“.
Niere bestens angenommen
Als sichtbares Zeichen der Organentnahme bleibt Harald Deringer die Operationsnarbe, die er „ab und zu noch spürt“. Verlustgefühle habe er keine, sondern es freue ihn, seiner Schwester ein lebenswertes Leben ermöglicht zu haben. Diese hält das, was ihr Bruder für sie getan hat, für nicht selbstverständlich: „Normalerweise denkt doch jeder erst einmal an sich.“ Ihr Körper hat die Niere ihres Bruders bestens angenommen, so kann sie sich jetzt wieder uneingeschränkt ernähren. Sie fühle sich „frei und gesund“, sagt sie. Sie hat ein neues Leben gewonnen.
Nur ein Röntgenapparat würde ihre Vorgeschichte preisgeben. Denn dann würde man sehen, dass sie vier Nieren in sich trägt: die beiden Schrumpfnieren, die nicht mehr funktionierende Spenderniedere von 1994 – und die Niere ihres Bruders.
Nierenspende
Die Konstellation zur Spende von Harald Deringers Niere an seine Schwester Karin Schad sei sehr günstig gewesen, bestätigt Kai-Uwe Eckardt, doch keine Voraussetzung für eine Spende. Der Professor leitet die Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten an der Uni-Klinik Erlangen und am Klinikum Nürnberg und ist mit dem Fall vertraut. Aber selbst, wenn Blutgruppen von Spender und Empfänger nicht übereinstimmten, sei eine Nierentransplantation möglich. So sei das im menschlichen Körper doppelt angelegte Organ, das die lebenswichtige Aufgabe hat, Stoffwechselprodukte und Giftstoffe über die Harnbildung aus dem Körper auszuscheiden, auch das einzige Organ, bei dem es regelmäßig zu Lebenspenden kommt (etwa ein Drittel aller Spenden). Das liegt natürlich auch daran, dass ein Mensch mit nur einer Niere medizinisch betrachtet „relativ problemlos“ weiterleben kann, sagt Eckardt. Seine Lebenserwartung sinke dadurch nicht. Neben regelmäßigen Nachuntersuchungen (einmal jährlich beim Spender, beim Empfänger häufiger) muss ein Empfänger lebenslang Medikamente nehmen, die ein Abstoßen des Spenderorgans verhindern – ganz gleich, wie passend ein Spenderorgan ist, erläutert Eckardt. Die Wartezeit für eine Spenderniere beträgt in Deutschland bis zu über zehn Jahre. Deshalb gewinne die Lebendspende eines nahen Verwandten an Bedeutung, denn idealerweise, so Eckhard, werde eine Niere transplantiert, bevor der Kranke an die Dialyse muss. Lebendspenden würden aber auch deshalb immer wichtiger, weil der in den vergangenen Monaten bekannt gewordene Transplantationsskandal zu einem „dramatischen Rückgang“ der Bereitschaft bei den Menschen in Deutschland geführt habe, sich nach dem Tod Organe entnehmen zu lassen.