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SCHWEINFURT
Welche Sau wird als nächstes durchs Dorf getrieben?
Landwirt Karl Wahler bekämpft das Unkraut mechanisch, er hält trotzdem Glyphosat für unverzichtbar.
Foto: Anand anders | Landwirt Karl Wahler bekämpft das Unkraut mechanisch, er hält trotzdem Glyphosat für unverzichtbar.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:54 Uhr

Glyphosat ist durch. Der Aufschrei über die Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels für weitere fünf Jahre ist zwar verebbt, aber gelassen zurücklehnen will sich Michael Reck nicht. Der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) fragt sich jetzt: „Welche Sau wird als nächstes durchs Dorf getrieben.“

Ob BSE, EHEC, Dioxin oder Glyphosat, „immer wird der Bauer als der Schuldige ausgemacht“. Das ärgert auch BBV-Geschäftsführer Manfred Kraus. In puncto Glyphosat stört ihn vor allem, dass ein geprüftes und zugelassenes Pflanzenschutzmittel in Misskredit gebracht worden sei, ohne zu hinterfragen, welche Rolle es überhaupt in der Landwirtschaft spielt. „Da gab es nicht den Ansatz von Sachlichkeit“, stimmt Reck zu.

Karl Wahler forder: chemischen Pflanzenschutz nicht zu sehr reglementieren

Das ist es auch, was Nebenerwerbslandwirt Karl Wahler aus Schwanfeld auf die Palme bringt und weshalb er sich seinen Frust über die Kritiker von Pflanzenschutzmitteln in Form von Leserbriefen von der Seele schreibt. Er will aufklären über die „falsche Sichtweisen“ der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft. Seiner Meinung nach ist es „unverantwortlich, wenn man den chemischen Pflanzenschutz zu sehr reglementiert“.

Karl Wahler ist kein Dorfbäuerle. Der 68-Jährige, der in Schwanfeld 15 Hektar Feld bewirtschaftet, beschäftigt sich fast schon ein Leben lang mit Dünge- und Spritzmittel. Als Kind auf einem Bauernhof in Bergrheinfeld aufgewachsen, wird er selbstverständlich Bauer. Aber seine zwölf Hektar Feld reichen nicht zum Leben. Nach zehn Jahren sattelt er um und wird Bankkaufmann bei der Raiffeisenbank in Schwebheim. Dort steht er nicht nur hinter dem Schalter, sondern betreut auch den Pflanzenschutz- und Düngemittelverkauf.

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„Ich habe die Giftprüfung“, verweist Wahler auf seinen Sachkundenachweis, den jeder Landwirt besitzen muss, der mit Pflanzenschutzmitteln arbeitet. Was heute in der Landwirtschaft an Spritzmitteln eingesetzt wird, sei „unbedenklich“, sagen Wahler und Reck unisono, schließlich sei nirgendwo mehr der Totenkopf drauf. Und was Glyphosat anbetrifft, haben sie auch keine Bedenken, da dem Pestizid vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bei „sachgerechter Anwendung“ eine „gesundheitliche Unbedenklichkeit“ attestiert wird.

BBV-Geschäftsführer Kraus: „Alkohol und Tabak werden auch als krebserregend eingestuft.“

Dass die Internationale Behörde für Krebsforschung (IARC) das Mittel als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat, beunruhigt BBV-Geschäftsführer Kraus nicht: „Auch Alkohol und Tabak werden als krebserregend eingestuft.“

Seit den Siebziger Jahren wird Glyphosat in der Landwirtschaft zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. Es ist das mit Abstand am meisten verwendete Pestizid, vor allem weil es günstig und hundertprozentig wirksam ist. Einmal sprühen und das Thema Unkraut ist erledigt. Das erspart dem Landwirt aufwendiges Pflügen oder Unkrautjäten in Handarbeit. Bei uns kommen die Kulturpflanzen in der Regel mit Glyphosat gar nicht in Kontakt“, versichert Wahler. Denn der Wirkstoff werde hierzulande nur auf dem abgeernteten Acker ausgebracht, um altes Unkraut zu beseitigen. Sozusagen, um vor der neuen Aussaat reinen Tisch zu machen. Allenfalls auf Problemflächen werde punktuell mal gespritzt.

Das „ganze Theater um Glyphosat“ führt Wahler nur darauf zurück, weil das Pestizid durch Monsanto mit der Gentechnik in Verbindung gebracht werde. Der US-Konzern hat sich das in den 1930er-Jahren in der Schweiz entwickelte Produkt für den Einsatz an gentechnisch veränderten Pflanzen als Round-Up-Ready patentieren lassen. In der Folgezeit wurde das Präparat in Südamerika mit Flugzeugen oder großen selbstfahrenden Feldspritzen exzessiv auf die Kulturen ausgebracht. „Das gibt es aber bei uns nicht“, verweist Wahler auf das Verbot gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland. Würde man Glyphosat wie in Südamerika direkt auf die Kultur spritzen, „wäre alles kaputt“, weil der Wirkstoff alle grünen Pflanzenteile tötet.

Mehr Aufwand und Energie bei Pflugeinsatz

Auch wenn Wahler selbst kein Glyphosat verwendet, hält er es für unverzichtbar und ökologisch sogar für vorteilhaft. Denn bei der mechanischen Unkrautbekämpfung mit dem Pflug würde der Boden stärker verdichtet, was eine schlechtere Luft- und Wasserversorgung der Mikroorganismen zur Folge habe. Außerdem sei der Pflugeinsatz zeit- und energieaufwendiger und damit klimaschädlicher, sagt er. Und was die Biodiversität anbetrifft, würden sich konventionelle und ökologische Landwirtschaft nichts geben: Ob die Unkräuter mit Glyphosat oder mit dem Pflug ums Eck gebracht werden, dem Erhalt der Artenvielfalt diene beides nicht.

Schwarz-Weiß-Malerei hält Joachim Dömling, der Pflanzenschutzfachberater am Landwirtschaftsamt in Schweinfurt, für wenig zielführend. „Es gibt auch viele Grautöne in der Landwirtschaft.“ Zudem würden sich ökologische und konventionelle Landwirtschaft ja nicht nur in der Düngung oder Anwendung von Spritzmitteln unterscheiden.

Kritik am „pauschalen Draufhauen“

„Es gibt auch viele konventionelle Landwirte, die kein Glyphosat einsetzen“, sagt Dömling, was BBV-Kreisobmann Reck bestätigt, der selbst ein „Pflüger“ ist, also das Unkraut mechanisch bekämpft. Jeder Landwirt müsse selbst abwägen, welche Methode für ihn die beste sei. Was Reck vor allem ärgert, ist „das pauschale Draufhaufen“ auf die Landwirte. Hier werde ein ganzer Berufsstand in Misskredit gebracht. „Dabei machen wir nichts Verbotenes, müssen uns aber dauernd rechtfertigen.“ Laut BBV-Geschäftsführer Kraus gibt es in Deutschland ein klares System für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Darauf müsse sich ein Landwirt verlassen können. Das sei nichts anderes als bei Medikamenten. Auch der Arzt müsse darauf vertrauen, dass zugelassene Medikamente geprüft sind.

„Wir machen den Fehler, dass wir die Landwirtschaft weltumspannend betrachten und nicht auf den Landwirt vor Ort blicken“, sagt BBV-Geschäftsführer Kraus. Dem pflichtet Reck bei: „Ich muss mich ja schon vor Spaziergängern rechtfertigen, wenn ich auf meinem Acker die Spritze ausfahre.“ Dabei vermissen die Vertreter der hiesigen Bauernschaft den kritischen Blick auf die „wirklichen Probleme“. Dass an einem Tag 36 000 Liter Kerosin über Bayern abgelassen wurden, sei nur ganz klein vermeldet worden, kritisiert Kraus auch die Medien. Und warum hakt keiner nach? Weil man ja selbst Urlaub mit dem Billigflieger machen wolle. „Es wird immer nur mit dem Finger auf uns gezeigt“, schimpft Reck, der in den Bauernfamilien inzwischen eine „große Verzweiflung und Resignation“ ausgemacht hat.

Auch Hobbygärtner, winzer und die Bahnversprühen Glyphosat

Dabei sind die Landwirte längst nicht die einzigen, die Glyphosat einsetzen. Hobbygärtner versprühen es genauso wie die Winzer in den Weinbergen oder die Deutsche Bundesbahn an ihren Gleisen. „Die setzen es viel öfter als wir ein“, sagt Reck. Wäre ein Verbot für die Landwirte dann gar nicht so schlimm? Reck: „Wenn's weg ist, ist es halt weg.“

Allerdings gibt es dann ein anderes Problem. Pflanzenschutzberater Dömling verweist darauf, dass ein Großteil des Eiweißfutters für die Tiermast aus den USA, Nord- oder Südamerika importiert werde. Und dort würden gentechnisch veränderte Sorten mit Round-up-Resistenzen angebaut, die während des Wachstums mit Glyphosat bespritzt werden können. „Würde man Glyphosat verbieten, dürfte man auch kein Soja importieren“, so Dömling. „Dann haben wir in einen Handelskrieg.“

CSU-Parteitag - Demonstration gegen Glyphosat       -  Viele Menschen demonstrierten im Dezember vor dem Veranstaltungsort des CSU-Parteitages in Nürnberg gegen die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat.
Foto: N. Armer/dpa | Viele Menschen demonstrierten im Dezember vor dem Veranstaltungsort des CSU-Parteitages in Nürnberg gegen die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat.
 
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