
Es gibt Dinge, die man nicht vergisst. Erlebnisse, die nachwirken. Bis in die nächste Generation. So ist es mit Krieg. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Offiziell am 8. Mai mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. In Schweinfurt und Umgebung endeten Naziherrschaft und Krieg schon am 11. April, als die Amerikaner einzogen.
Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag? Auf diesen Aufruf haben sich viele Menschen an die Redaktion gewandt und erzählt. Nicht nur über den 11. April, sondern auch über die Zeit danach. Nicht jeder will allerdings seine Geschichte öffentlich machen. "Das wollte ich einfach mal jemandem erzählen", sagt eine heute 87-Jährige. Ihre Enkel und Urenkel interessiere das alles nicht. Sie findet es aber wichtig, dass der Krieg und das Leid auf allen Seiten nicht vergessen werden. Das eint alle der Zeitzeugen, die sich gemeldet haben.
Der Großteil ist den Amerikanern dankbar
Was sie noch eint: die Erinnerung an Geschenke wie Schokolade und Lebensmittel. Doch die Amerikaner sind mitunter wohl auch hartherzig und überheblich aufgetreten. Wenn sie Bonbons auf die Straße warfen und sich freuten, dass sich die Kinder darum balgten. Oder sich darüber lustig machten, wenn alte Frauen mühsam Wasser aus einem Brunnen schöpften. Eine jetzt über 90-jährige Schweinfurterin kann das nicht vergessen. Eine 96-Jährige hat die Amerikaner dagegen freigiebig erlebt. "Sie hatten Mitleid mit den Kindern." Ihre Cousine, damals knapp vier, hatte Erfolg mit dem dialektgefärbten Satz: "Haste Tschokläd, Amaganer?" Die Mutter habe empört gesagt: "Wir betteln nicht!" Der Cousine sei das aber egal gewesen.
Im Folgenden berichten Menschen aus Schweinfurt und Umgebung von dieser prägenden Zeit.

Franz Vogt: "Ich bin 1932 geboren. Ich habe die Amerikaner gleich als Befreier empfunden. Als in der Einfahrt in unserem Haus in der Roßbrunnstraße 34 ein Jeep stand, bin ich runter. Ich hatte in der Schule drei Jahre englisch gehabt und konnte mich mit einem Soldaten unterhalten. Der Soldat kam am nächsten Tag mit Bohnenkaffee. Das hat meine Mutter sehr gefreut. Ein weiterer Soldat, Dan, ist zu einem Freund geworden, wir hatten lange Kontakt. Ich war 1945 knapp 13 Jahre alt. Ich hatte Glück. Mit 14 hätte ich noch zum Volkssturm gemusst."

Helmut Bergmann: "Ich bin 1935 geboren. Meine Mutter und ich sind im Januar 1945 aus Schlesien geflohen. Wir sind über Umwege nach Würzburg, dort hatten wir Familie. Beim Angriff am 16. März 1945 haben wir alles verloren, was wir noch hatten. Wir sind dann nach Sennfeld, auch dort hatten wir Familie. Den Einmarsch der Amerikaner habe ich im Bunker am SKF-Freizeitgelände verbracht. Mein Onkel war Platzwart, er hatte einen Schlüssel. Drei Tage und Nächte waren wir dort. Von der Peterstirn schossen die Amerikaner. Wir sind durch das Leuchtfeuer gelaufen. Es war schaurig schön. Auch unser Bunker wurde beschossen. Ein polnischer Soldat hatte Zuflucht gesucht. Die Amerikaner hatten das offenbar beobachtet und ihn für einen deutschen Soldaten gehalten. Ich hatte furchtbare Angst. Aber es ist nichts passiert. Später haben die Amerikaner dann die Wohnungen durchsucht. Sie haben Waffen und alle langen Messer mitgenommen."
Hausdurchsuchungen und böse Überraschungen nach der Einquartierung

Horst Vöge: "Ich bin 1936 geboren. Meine noch immer starken wie unangenehmen Erinnerungen beziehen sich nicht nur auf den Tag des Einmarschs. Ich musste am späten Nachmittag des 8. Mai – bei Gewehr im Anschlag, mit hochgehobenen Händen, zusammen mit Familienangehörigen und den übrigen Bewohnern des Mehrfamilienhauses Dittelbrunner Str. 2 (zwölf Parteien) den Erdbunker in der gegenüberliegenden Lehmgrube verlassen. Wir waren seit einer Woche hier, wegen andauernden Artilleriebeschusses. Dort hatte auch der sogenannte, uniformierte und bewaffnete ID-Dienst (Instandsetzungsdienst) seinen Schutzraum gehabt. Diese Einheit nahm unter anderem auch abgeschossene Bomberbesatzungen gefangen. Bewacht von US-Soldaten, kehrten wir in unsere Wohnungen zurück. Diese wurden brachial durchsucht. Alles, was irgendwie an Nazideutschland erinnerte, Bilder etwa, wurde gleich mit dem Gewehrkolben attackiert und zerstört."

"Dann wurden wir gezwungen, innerhalb von 30 Minuten unseren Wohnungen zu verlassen, damit sich die Amerikaner einquartieren konnten. Nur mit dem allernötigsten Hab und Gut versehen, fanden wir im Nebengebäude, der früheren Gaststätte „Vier Quellen“ an der Deutschhöfer Straße Unterschlupf. Nach zehn Tagen kehrten wir in verwahrloste Wohnungen zurück. Die Betten waren verdreckt und beschädigt, Handtücher und teils Bettwäsche waren vom Gewehrreinigen verölt und verschmutzt. Natürlich habe ich auch Kaugummi und andere Süßigkeiten erhalten. Als ich eines Tages (zehn Jahre alt) erfreut mit zwei weißen Luftballons nach Hause kam, die ich von US-Soldaten bekommen hatte, war meine Mutter entsetzt. Später wusste ich, warum: Das waren Präservative."

Helma Spieß: "Ich bin 1939 geboren. Wir wohnten in Westheim, bei Knetzgau. Ich war schon immer neugierig. Ich bin raus, als die Amis mit ihren Panzern gekommen sind. Einer ist runter von seinem Panzer und hat mir eine Schachtel geschenkt. Ich bin sofort rein, habe es meinen Geschwistern gezeigt und aufgemacht. Darin waren Kekse. Das war ein Festtag. Das vergesse ich nie. Ich sehe den Karton noch heute genau vor mir."

Rudolf Krämer: "Ich bin 1939 geboren. Bei uns in Donnersdorf wollte die SS mit landwirtschaftlichem Gerät noch Panzersperren errichten. Pfarrer Eberhard Pfirmann hat das verhindert. Das hätte ihn fast das Leben gekostet. Die SS hat ihn gesucht, aber nicht gefunden, er hat sich im Heu versteckt. Er hat auch dafür gesorgt, dass sofort die weiße Fahne gehisst wurde. Hier ist kein Schuss gefallen, es hat nicht gebrannt, keiner ist gestorben. Die amerikanischen Soldaten sind dann zu uns ins Haus. Sie wollten Eier. Meine Mutter hat welche gebraten. Die Amerikaner waren sehr nett zu den Kindern. Von einem Soldaten habe ich meine erste Orange geschenkt bekommen."
Nach der Nacht in der Scheune Schokolade bekommen
Rita Geck: "Ich bin 85 Jahre alt und in Breitbach bei Oberschwarzach geboren. Die Amerikaner stellten einen Panzer vor die Haustüre, einen hinten an die Scheune unseres kleinen Bauernhofes. Als wir beim Abendessen saßen, kam ein Amerikaner in unsere Küche und sagte in gebrochenem Deutsch, wir müssen unser Haus verlassen, bis 19 Uhr. Meine Mutter sagte, wir wüssten nicht wohin, wir haben keine Freunde oder Familie im Dorf. Das war gelogen. Da lenkte der Amerikaner ein. Wir durften in der Scheune übernachten. Zwei Nächte waren wir dort. Um 7 Uhr durfte meine Mutter raus, das Vieh versorgen. Ich durfte mich in der Küche aufwärmen. Da stand plötzlich ein Amerikaner vor mir und gab mir eine Tafel Schokolade. Diesen Geschmack spüre ich heute noch auf der Zunge. Bei uns gab es ja nichts damals."
Der Großvater, der Weipoltshausen rettete

Gerd Geiß aus Weipoltshausen, Jahrgang 1959: "Ich möchte an meinen Großvater Ulrich Theodor erinnern. Er wurde 1900 geboren, musste zum Schluss nochmal in den Krieg. Er hat verhindert, dass Weipoltshausen von der deutschen Flak beschossen wurde. Das weiß kaum noch jemand. Der Großvater wusste, dass amerikanische Soldaten in Ort sind. Seinen Offizieren gegenüber hat er das aber verschwiegen. "Das Dorf ist leer, die Amerikaner sind in den Wäldern", soll er gesagt haben. Das hat vielen im Dorf das Leben gerettet. Tragischerweise kam der Großvater dann beim Heimweg nach Weipoltshausen in amerikanische Gefangenschaft. Erst ein Jahr später war er wieder daheim. Er wurde 80 Jahre alt."
Erinnerungen an die Zeit nach dem Kriegsende

Wiltrud Werner: "Ich bin 1944 geboren, um ein Haar im Luftschutzkeller im Brauhaus Schweinfurt. Meine Mutter wohnte mit meiner zweijährigen Schwester Am Vogelschuß 1. Mein Vater kam krank aus dem Krieg zurück. Wir waren arm, weil er durch die lange Krankheit kein Krankengeld mehr bekam. Wir lebten von Sozialhilfe. Die Amerikaner luden zu Weihnachten arme Kinder in die Stadthalle ein und beschenkten sie. Meine Schwester und ich waren da auch eingeladen."

"Als ich das Bild in der Zeitung sah, dachte ich, das Mädchen ganz rechts bin ich. So habe ich damals ausgesehen, blonde Locken. Ich gefiel offensichtlich einem Soldaten, der mich auf den Arm nahm. Das Bild wurde in der Zeitung veröffentlicht. In unserer Familie hat man es mit Entsetzen gesehen: Der Amerikaner war schwarz. Meiner Mutter war das sehr peinlich. Im Jahr darauf sollte ich nicht mehr hingehen, aber ich konnte mich durchsetzen, die Süßigkeiten waren zu verführerisch."
Schokolade war auch in den 50er-Jahren begehrt

Herbert Bauer: "Ich bin 1949 geboren. Meine erste Erinnerung an die Amerikaner betrifft die Jahre 1953 bis 1955. Mein jüngerer Bruder und ich haben als kleine Jungen auf dem Weg zum Kindergarten an der Deutschhöfer Straße, Höhe Brücke, häufig unsere Schokolade und Kaugummis, die wir sonst nicht bekommen haben, dadurch organisiert, dass wir an der Brücke, gekleidet in US-Western-Hemden (original von einem Verwandten aus den Staaten erhalten), standen, winkten und "Hello Boys" grölten. Die GIs warfen uns dann regelmäßig olivfarbene Blechdosen mit Schokolade zu.

"Zwischen 1955 und 1960 fuhren die Amis häufig nachts mit Panzern und sonstigen Militärfahrzeugen, gefühlt stundenlang, auf der Deutschhöfer Straße stadtauswärts. Wegen der Kurve vor der Brücke heulten die Panzer beängstigend laut auf, sodass wir wegen der Kriegserzählungen unserer Mutter fürchterliche Angst vor einem neuen Krieg bekamen, weil es aussah, als ob die Amis auf dem Weg zur nahen Grenze waren. Schlimm war es dann noch, wenn gleichzeitig Flugzeuge im Tiefflug über uns flogen."

