Es ist still in dem weitläufigen Seitengang. Die Fenster sind vergittert, etwas Licht dringt in den Flur, von dem mehrere Türen abgehen. Sie sind allesamt verschlossen. Keine Menschenseele weit und breit, als Pastoralreferent Mario Kunz auf dem Weg zum Kapitelsaal ist, um erste Vorbereitungen für den Gottesdienst an Heiligabend zu treffen.
Wenige Tage vor den Feiertagen geht das Leben in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ebrach scheinbar seinen gewohnten Gang. Die Einrichtung ist eine von dreien in Bayern, in denen männliche Jugendliche im Alter zwischen 17 und 24 Jahren ihre Jugendstrafe verbüßen. Aktuell sind 170 inhaftiert, die allermeisten werden Weihnachten hier verbringen.
Der Gefängnisseelsorger als wichtiger Ansprechpartner
Eine wichtige Bezugsperson für sie ist Mario Kunz, Pastoralreferent und zuständig für die Gefängnisseelsorge. Hinter den mächtigen Mauern des ehemaligen Zisterzienserklosters gibt es viel zu tun für ihn. Besonders rund um die Weihnachtszeit.
Die Gespräche seien "intensiver, zugespitzter, existenzieller", berichtet er bei einem Besuch von Krisensituationen, die ihm die jungen Männer anvertrauen, teils emotional, teils unter Tränen. Einmal gestand einer, dass er nicht mehr weiterleben möchte. Da mache man sich große Sorgen, so der Seelsorger.
Wichtig ist ihm, dass er für alle als Ansprechpartner zur Verfügung steht, darunter für Gefangene anderer Konfession, auch wenn es Betreuer für muslimische Häftlinge gibt. Jedem garantiert er seine Verschwiegenheit, selbst wenn er von bislang unbekannten Straftaten erfährt. Nur in einem Fall würde er anders entscheiden: Wenn einer eine Straftat ankündigt.
Sozialarbeiterin: "Viele sind deprimiert und traurig"
Dass es ruhiger zugeht, liegt auch an der Arbeitspause in den 13 Handwerksbetrieben der Haftanstalt. „Schon kurz vor Weihnachten ist die Stimmung gedämpft. Viele sind deprimiert und traurig, wollen mehr Kontakt zu den Familien“, hat Meike Fees bemerkt. Die Sozialarbeiterin in der Justizvollzugsanstalt hat ihre Stelle erst im Oktober angetreten und erlebt erstmals die Weihnachtszeit in der Einrichtung.
Nicht jeder Strafgefangene bekommt Besuch, obwohl bis zu vier Stunden im Monat möglich sind. Mehr als ein Drittel ist laut Anstaltsleiter Gerhard Weigand davon betroffen. Ein Grund dafür ist, dass die Insassen aus ganz Bayern kommen. "Entweder haben sie keine Angehörigen, die etwas mit ihnen zu tun haben wollen, oder es ist ihnen zu weit. Das erleben wir leider immer wieder."
100-Euro-Sondereinkkauf, Plätzchenbacken und Weihnachtsessen
Manche erhalten stattdessen einen Anruf, die meisten mehr Geld als üblich. Schließlich dürfen bis zu 100 Euro extra beim Weihnachtssondereinkauf ausgegeben werden. Die Gefängnisleitung ist bemüht, zumindest etwas weihnachtliche Atmosphäre zu schaffen. So hat das Personal zusammen mit Gefangenen Christbäume in einigen Fluren aufgestellt und geschmückt. Zusätzlich gibt es in den Betrieben und Klassen kleine Weihnachtsfeiern.
Ganz spontan hat Meike Fees eine Plätzchenbackaktion gestartet. Die Butterplätzchen kamen gut an und waren schnell weg. Die Freude darüber ist ihr deutlich anzusehen. Apropos Essen, auch beim Speiseplan wird es festlicher: An Heiligabend gibt es Bratwurst und Kartoffelbrei, an den Weihnachtsfeiertagen Putenkeule und Rinderroulade.
Eine Etage tiefer hat Mario Kunz zwischenzeitlich sein Ziel, den Kapitelsaal erreicht, einen beeindruckenden Raum mit gewölbter Stuck-Decke. Hier wird er an Heiligabend um 14.30 Uhr einen ökumenischen Gottesdienst zelebrieren. Der Tannenbaum steht schon. Noch fehlt der Weihnachtsschmuck, den werden Gefangene kurz vorher anbringen.
Mit diesem Angebot möchte der Seelsorger ein vertrautes Gefühl vermitteln. „Einige finden das toll, weil es sie an Familie und Kindheit erinnert“, so seine Erfahrung. Meist um die 20 Gefangene nehmen daran teil. Jeder darf eine Kerze anzünden, es wird gebetet und gesungen, nicht nur Stille Nacht, sondern auch Modernes wie Last Christmas. Für die passenden Töne sorgt ein Häftling auf der Gitarre.
Keine Geschenke von außen, nur von der Gefangenenfürsorge
Selbst eine Bescherung ist vorgesehen: Jeder Gefangene erhält ein Päckchen vom Landesverband für Gefangenenfürsorge und Bewährungshilfe. Vor allem Süßigkeiten werden darin versteckt sein, verrät Weigand. Geschenke von außen sind nicht erlaubt. Der Aufwand für Kontrollen wäre zu groß, berichtet JVA-Angestellter Dietmar Weinbeer.
Neben einem täglichen Spiel- und Sportprogramm, darunter Dart- oder Kickerturniere, dürfen die Straftäter länger als üblich schlafen. Erst um 7.45 Uhr wird in der arbeitsfreien Zeit geweckt, statt um sechs Uhr.
Vorzeitige Entlassungen und Hafturlaub zu Weihnachten
Eine Besonderheit im Strafvollzug sind vorzeitige Entlassungen vor den Feiertagen: Die Weihnachtsamnestie gilt für alle, die ihre Strafzeit im Zeitraum vom 22. Dezember bis 6. Januar abgesessen hätten. Diesmal profitieren vier Gefangene von dieser gesetzlichen Regelung. Sie durften am 21. Dezember die Jugendstrafanstalt verlassen. Darüber hinaus wird elf Insassen Hafturlaub gewährt.
Trotzdem werden die meisten Gefangenen das Fest innerhalb der Anstaltsmauern verbringen; zusätzlich, das wird meist vergessen, viele der 250 Beschäftigten. Darauf weist Leiter Weigand hin. Wobei man immer versuche, „so wenig Personal wie möglich und so viel wie notwendig“ einzusetzen.
Dietmar Weinbeer, seit 23 Jahren in Ebrach tätig, wird erstmals in dieser Zeit den Heiligabend und 1. Weihnachtsfeiertag bei seiner Familie verbringen. Er kann dann auch den Geburtstag seines Sohnes mitfeiern. Klagen möchte er nicht. „Das ist unser Job.“
Drei-Schichten-Grillfeier als Dankeschön für die 250 Beschäftigten
Ein vorzeitiges Geschenk hat die Anstalt den Beschäftigten schon gemacht. Mit einer großen Grillfeier im Hof der altehrwürdigen Klostermauern. In drei Schichten bruzzelten Bratwürste und Steaks aus der hauseigenen Metzgerei über den Kohlen, damit wirklich jeder Mitarbeitende in den Genuss kam.
Besonders freuen sich viele, so ist aus den Gesprächen herauszuhören, über Randerlebnisse. Weinbeer und andere Kollegen erhalten zu ihrer Überraschung immer wieder Weihnachtskarten von Entlassenen. "Einer ruft sogar seit drei Jahren zu Weihnachten an."
Mario Kunz bleibt das Dankeschön für seine Gottesdienste in Erinnerung. "Das hat mir Kraft gegeben, für die Zeit bis zu meiner Verhandlung. Wahrscheinlich werde ich bald entlassen", hat ihm kürzlich ein Gefangener aus der Untersuchungshaft gesagt und frohe Weihnachten gewünscht. Wenn es dazu kommt, wäre es wohl auch für den Seelsorger eine schöne Nachricht. Vielleicht sogar so etwas wie ein kleines Geschenk.