Seit 1958, also seit 60 Jahren, ist Ebrach die größte Jugendstrafanstalt in Bayern. Hier sitzen die nach Jugendstrafrecht verurteilen ganz schweren Jungs zwischen 17 und 24 Jahren aus dem Freistaat ein. Seit 2010 leitet Gerhard Weigand (57) die Justizvollzugsanstalt in Ebrach. Von 2002 bis 2004 war der gebürtige Gerolzhöfer hier bereits stellvertretender Leiter. Ein Gespräch mit ihm über den Wandel in den vergangenen Jahrzehnten im Jugendstrafvollzug, Drogen und Handyverbot im Knast oder auch darüber, was es für das Vollzugspersonal bedeutet, dass seit 2015 ein hoher Prozentsatz der Gefangenen aus arabischen und afrikanischen Ländern kommt.
Frage: Sie haben einmal gesagt: Jeder Cent, den wir für kluge Resozialisierungsarbeit und Weiterbildung ausgeben, wird der Gesellschaft tausendfach zurückgezahlt? Was haben sie damit konkret gemeint?
Gerhard Weigand: Der Satz geht so weiter: ". . . wenn es uns gelingt, den hier in Ebrach inhaftierten jungen Männern das beizubringen, was ihnen ermöglicht, nach der Entlassung eine bürgerliche Existenz aufzubauen, Steuern und Sozialabgaben zu zahlen und die Gesellschaft nicht erneut durch Straftaten zu schädigen."
Wir müssen weg von der Wegsperrmentalität hin zu einer wirksamen Resozialisierung, sagt der bekannte Strafrechtsexperte Bernd Maelicke. Andere Kritiker stellen den Sinn von Haftstrafen gänzlich in Frage. Was halten sie dem entgegen?
Weigand: Die Justizvollzugsanstalt als geschlossene Einrichtung der Jugendhilfe ist der letzte Baustein in einer langen und wichtigen Kette der staatlichen Hilfen und Interventionen in der Erziehung. Das Menschenbild unseres Grundgesetzes lässt es nicht zu, junge Menschen aufzugeben, wenn die vorher durchgeführten Maßnahmen nicht erfolgreich waren, sondern verpflichtet den Staat im Sinne einer "ultima ratio" zu einer letzten besonders intensiven Intervention, die dann eben im geschlossenen Rahmen des Gefängnisses stattfindet. Wer Haftstrafen in Frage stellt, steht also nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes.
Wo hat Ihrer Meinung nach der größte Wandel im Jugendstrafvollzug seit 1958 stattgefunden?
Weigand: In den 1960er-Jahren sehe ich drei Epochen: 1958 bis 1977 Strafcharakter auch bei der Ausgestaltung des Vollzugs. 1977 bis 2006 wird die Gestaltung des Vollzugs behandlungsorientiert. Ab 2006 wird der Jugendvollzug als eigenständiger Vollzug mit einem gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag als Jugendhilfeeinrichtung gesehen. Letztendlich also eine Entwicklung von einer rein strafenden hin zu einer Jugendhilfeeinrichtung.
Für Drogenhändler ist ein Jugendgefängnis ein äußerst attraktiver Markt? Wie sieht es hier in der JVA Ebrach aus?
Weigand: Kein Gefängnis in Deutschland ist drogenfrei, weil in der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland eine absolute Abschottung von Gefängnissen unvorstellbar und mit dem gesetzlichen Resozialisierungs- und Jugendhilfeauftrag unvereinbar wäre. Der bayerische Justizvollzug - und damit die JVA Ebrach - fährt aber eine ganz klare Strategie zur Bekämpfung des Drogenproblems. Präventiv durch Aufklärung in Zusammenarbeit mit der externen Suchtberatung "MUDRA e.V. Nürnberg", gekoppelt mit einem eigens für den hiesigen Jugendvollzug entwickelten Suchtbekämpfungsprogramm, das von den Jugendstrafgefangenen sehr gut angenommen wird. Repressiv durch intensive Kontrollen und weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung des Suchtmittelmissbrauchs. Die Zahl der Fälle, in denen Drogenkonsum während der Inhaftierung erfolgte, befindet sich seit vielen Jahren durchgängig im niedrigen zweistelligen Bereich pro Jahr und beziehen sich nahezu ausschließlich auf Cannabinoide. 2017 waren es zum Beispiel 14 Fälle bei insgesamt 1373 Urinproben und einem Anteil von 86,8 Prozent Gefangenen, die beim Zugang angeben, Drogenkonsumenten zu sein.
Welche Herausforderung stellt die starke Zunahme junger Straftäter aus arabischen und afrikanischen Ländern seit 2015 für die tägliche Arbeit in der JVA dar?
Weigand: Als größte Herausforderung stellen sich die Sprach- und infolgedessen die Kommunikationsprobleme dar.
Wie hoch ist die auch als „Rückfallquote“ oder „Drehtüreffekt“ bezeichnete Wiederinhaftierungsquote in Ebrach?
Weigand: Die Wiederinhaftierungsquote für die bayerischen Jugendstrafgefangenen im Alter über 21 Jahren, das sind die typischerweise aus der JVA Ebrach entlassenen Gefangenen, beträgt nach der wissenschaftlichen Untersuchung des Kriminologischen Dienstes Erlangen knapp 25 Prozent.
Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft wirkt sich immer mehr auf die schulische wie berufliche Bildung aus. Wie passt das noch mit Handy-, iPhone- und PC-Verbot im Gefängnis zusammen?
Weigand: Die schulische und berufliche Bildung ist ein unverzichtbares Standbein einer wirksamen Resozialisierung. Hier muss der Jugendvollzug zukunftsfähig bleiben. Wir arbeiten derzeit mit unseren Kooperationspartnern wie Handwerkskammer, Agentur für Arbeit, Bildungsträgern und dem Justizministerium an solchen Konzepten, wie zum Beispiel den Aufbau einer digitalen Lernplattform "elis-eLearning im Strafvollzug".
ist mir ein besonderes Anliegen."
Wie reagieren sie in diesem Zusammenhang auf das Problem, dass häufig aufgrund der anstehenden Entlassung die Zeit für die Häftlinge im Gefängnis nicht ausreicht, um die begonnene berufliche oder schulische Ausbildung abzuschließen?
Die Ausbildungsangebote in der JVA Ebrach wurden in den letzten Jahren dieser Situation angepasst, indem zum Beispiel in den klassischen Handwerksberufen modular aufgebaute Einstiegsqualifizierungsmaßnahmen "EQJ" durchgeführt werden. Die Gefangenen können dabei in acht bis zwölf Monaten die Lehrinhalte des ersten Ausbildungsjahres absolvieren und nach der Entlassung gleich in das zweite Lehrjahr einsteigen. Des Weiteren werden mittlerweile etliche Berufsorientierungs- und Kurzqualifizierungsmaßnahmen mit einer Dauer von wenigen Monaten mit externen Bildungsträgern durchgeführt.
Was würden Sie gerne noch in Ihrer Zeit als Leiter der JVA in Ebrach anpacken oder zu Ende bringen?
Der Vollzug der Jugendstrafe findet in Ebrach in den baulichen Strukturen der 1960er- und 1970er-Jahre statt. Es handelt sich dabei um die sogenannten Zellenbauten. Diese sind mittlerweile dringend sanierungsbedürftig. Die Sanierung dieser alten Unterkunftsgebäude zur Schaffung der baulichen Strukturen für einen modernen Jugendstrafvollzug ist mir ein besonderes Anliegen. Ich weiß aber auch, dass diese Baumaßnahmen sehr viel Geld kosten und als langfristige Projekte gesehen werden müssen.
Von den drei bayerischen Jugendgefängnissen für die verschiedenen Altersgruppen der nach dem Jugendstrafrecht verurteilten Jugendlichen und jungen Männer, ist Ebrach heute das größte. Zwischen 20 und 21 Jahren liegt das Durchschnittsalter der im Schnitt hier zwischen 270 und 280 untergebrachten Gefangenen.
Die JVA Ebrach ist aber auch für männliche Gefangene ab 17 Jahren zuständig, die aufgrund ihrer Vorgeschichte oder der Schwere ihrer Tat eine längere Jugendstrafe verbüßen.
In Ebrach landen deshalb in der Regel die ganz schweren jungen Jungs unter den Gewalttätern, vom Mörder, U-Bahn-Totschläger und Drogendealer bis zum Vergewaltiger. (novo)