Es ist 10.30 Uhr morgens an einem Freitag im Dezember kurz vor Weihnachten. Im Warteraum der Zentralen Notaufnahme des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt sitzen vier Menschen, darunter ein älterer Mann mit einem Kopfverband, eine Mutter mit Kind. Ein Drittel der Behandlungsräume ist schon belegt: Mit der älteren Frau, Corona positiv, die mit einer Platzwunde über dem Auge nach einem Sturz in einem Isolierzimmer liegt. Oder dem jungen Mitarbeiter eines Industriebetriebs, der nach einem Stromschlag durchgecheckt wird. Und im Schockraum liegt ein älterer Patient mit Herzrhythmusstörungen. Alltag in der Leopoldina-Notaufnahme.
Gewusel? Hektik? Fehlanzeige. Priorisierung, Ruhe und Struktur, das ist das oberste Gebot für Notfallmediziner wie Chefarzt Dr. Benedikt Stubner oder Dr. Frank Knötig, einer seiner fünf Oberärzte, die sich um die Patienten kümmern. Gerade dann, wenn es wieder besonders stressig, der Warteraum voll ist und gleichzeitig die Rettungsdienste weitere Notfälle bringen.
Die Ärzte sprechen mit ruhiger Stimme, sie stellen Fragen, wollen genau wissen, was passiert ist, wo es wehtut. Gemeinsam mit dem Pflege-Team arbeitet hier eine Einheit mit fast 60 Mitarbeitenden wie eine geölte Maschine zusammen.
Zentrale Notaufnahme am Leopoldina-Krankenhaus groß genug für die Region
Es gibt immer wieder Erzählungen über lange Wartezeiten in der Notaufnahme des Leopoldina. Manche Bürgerinnen und Bürger sorgen sich, was passiert, wenn in einigen Jahren der Verbund zwischen Leopoldina und dem Krankenhaus St. Josef abgeschlossen ist und es in der Innenstadt keine Notaufnahme mehr gibt. Sind die Sorgen berechtigt?
Aus Sicht der Leopoldina-Leitung und von Dr. Stubner ist die Antwort klar: Nein, niemand muss sich Sorgen machen. "Bei uns wird jeder behandelt. Wer zu uns kommt und sofort Hilfe braucht, bekommt sofort Hilfe", betont Stubner. Die Zentrale Notaufnahme am Leopoldina-Krankenhaus wurde erst vor einigen Jahren erweitert, sie ist tatsächlich eine der größeren in der Region. "Wir sind guter Dinge, dass wir die Zukunft meistern", betont der Chefarzt.
Als erweitert wurde, handelte die Klinikleitung vorausschauend. Rund 130 Patienten werden im Durchschnitt pro 24 Stunden behandelt. 32 Behandlungsplätze und zwei Schockräume gibt es. Bei der derzeitigen durchschnittlichen Auslastung pro Tag braucht man nur zwei Drittel der bestehenden Räume, ist also vorbereitet auf das, was der geplante Verbund mit sich bringt. Dass die Leopoldina-Notaufnahme sich aus dem bayernweiten System für die Rettungsleitstelle wegen zu vieler Patienten abmelden musste, ist laut Stubner noch nie passiert.
Von Zahnschmerzen bis Vitamininfusion: Nicht immer ist die Notaufnahme richtig
Natürlich gibt es auch in Schweinfurt unzählige Geschichten von Patientinnen und Patienten, bei denen man den Kopf schüttelt, warum diese in die Notaufnahme gegangen sind. Zahnschmerzen eines Vertreters auf der Durchreise, Panikattacken an Weihnachten, Bauchschmerzen, die über einen Monat andauern, der Wunsch nach einer Vitamininfusion – "wir könnten Bücher füllen", sagt Stubner schmunzelnd.
Wichtig ist ihm, das bundesweit immer gleiche System einer Notaufnahme klarzumachen: "Jeder wird behandelt. Es wird aber zuerst über die Dringlichkeit entschieden." Und das ist der Knackpunkt. Das Gesetz sieht vor, dass jede und jeder innerhalb von zehn Minuten nach Anmeldung in der Notaufnahme nach einem festen Schema eine Ersteinschätzung bekommt. In der sogenannten Triage (vom französischen Verb "trier" für sortieren) wird von intensiv geschultem Fachpersonal über die Dringlichkeit der Behandlung entschieden.
Wer lebensgefährlich verletzt ist, wird selbstverständlich sofort behandelt. Wer nicht, muss warten. Hinterlegt ist ein Farbsystem, alle Daten und Befunde sind elektronisch erfasst, jederzeit abrufbar. In Schweinfurt braucht es für die Ersteinschätzung im Schnitt sechs Minuten. Im Grunde heißt das auch: Je länger man wartet, desto weniger Sorgen um das eigene Wohlbefinden muss man sich machen.
Benedikt Stubner einen Workaholic zu nennen, hat für ihn keinen negativen Beigeschmack. Er ist Arzt mit Leib und Seele, sein Vater ist Arzt, seine Schwester Ärztin. Der 36-jährige Anästhesist lebt für seinen Beruf, "Notfallmedizin habe ich immer gerne gemacht." Nach wie vor fährt er als Notarzt, ist auch bei Hubschrauber-Einsätzen dabei. Herausforderungen sind sein Ding, "ich mag es, dynamisch zu reagieren, mag es, zu helfen und wenn ich gefordert bin." Eines ist klar: Im Notfall routiniert zu handeln, ist essenziell. Notfallmedizin als Beruf hat aber nichts mit Büro-Routine zu tun. Und wenn das Erlebte wirklich einmal enorm belastend ist, "habe ich meine Frau als Anker", sagt Stubner lächelnd.
Patient mit Herzrhythmusstörungen wird später stationär aufgenommen
Zurück im Schockraum. Es ist kurz vor 11 Uhr, der ältere Mann mit Herzrhythmusstörungen wurde dorthin verlegt. Sein Puls ist dauerhaft über 130, er wirkt gefasst. Als Herzpatient, der vor wenigen Wochen operiert wurde, weiß er, was auf ihn zukommt. Dr. Stubner arbeitet schnell und fokussiert. "Wir wollen ihr Herz wie einen Computer neu starten", erklärt er dem Patienten, warum er ein bestimmtes Medikament spritzen wird.
Während er das tut, wird ein EKG gemacht, der Blick geht immer zum Überwachungsmonitor, die Zusammenarbeit mit der Pflegekraft ist routiniert. Jeder weiß, was zu tun ist. Leider geht der Puls nicht runter, Dr. Stubner ruft die Kardiologen im Haus an, erklärt den Fall. Der Patient wird stationär aufgenommen – wie rund 40 Prozent aller Notfälle –, er braucht wahrscheinlich eine Katheterablation.
Um kurz vor 12 Uhr kommt die Nachricht, dass die Zahl der Patienten relativ stark zugenommen hat. Nicht nur im Warteraum, auch die Rettungsdienste bringen beständig Notfälle. Stubner handelt sofort, schaut sich die Daten auf dem Computer an, entscheidet mit Oberarzt und Krankenschwester Pia Dürr, wer wohin verlegt wird und wer entlassen werden kann, um Behandlungsplätze frei zu haben.
Oberarzt Frank Knötig muss in eines der Isolierzimmer. Die gestürzte Patientin, bei der der Corona-Test bei der Aufnahme positiv war. Er zieht sich Schutzkleidung an, FFP2-Maske. Die Behandlung geht schnell, die Wunde wird gesäubert, genäht. Währenddessen bereitet Benedikt Stubner die Verlegung seines Herzpatienten vor. Mit dabei, als es mit dem Patienten im Bett in Richtung Aufzug geht: das Notfallset. Kein Risiko eingehen, immer vorbereitet sein.
"Es gibt immer einen Plan B. Und einen Plan C", sagt Dr. Stubner. Hinter ihm ruft jemand seinen Namen. Der nächste Fall.