Der Krieg in der Ukraine tobt, Schweinfurt übt Solidarität mit dem Land, das Teil der EU werden will und entdeckt die Menschen mit ukrainischen Wurzeln, die oft seit Jahrzehnten hier leben. Deren Zahl ist vierstellig, schätzt Kornelia Schistka-Streck, die in der Region eine neue Heimat fand, ohne die alte vergessen zu haben.
Kornelia Schistka-Streck kam 1991 als Aussiedlerin nach Deutschland, stammt aus dem Westen des Landes, der Karpaten-Ukraine. Die Grenzregion zu Ungarn, Slowenien, Polen und Rumänien ist weniger durch Industrie geprägt, hat aber viel Natur zu bieten. Schistka-Streck ist, wie viele Ukrainer dieser Region, deutschsprachig aufgewachsen, ihre Mutter hatte österreichische Wurzeln, weshalb sie auch den Wiener-Dialekt beherrscht. In der Ukraine hat sie Germanistik und Sozialpädagogik studiert.
An der Uni Würzburg hat sie 20 Jahre als Dozentin Ukrainisch unterrichtet, seit gut 25 Jahren dolmetscht sie für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kümmert sich um die Resozialisierung von Drogenabhängigen, ist in der Familienhilfe aktiv, arbeitet als Dolmetscherin für die Justizbehörden - zum Beispiel bei Gerichtsverhandlungen - in Bayern und Baden-Württemberg. In dieser Funktion wurde sie auch bei der Telefonüberwachung organisierter Kriminalität eingesetzt.
Ihre drei Kinder sind mehrsprachig aufgewachsen. So wie ihr jüngster Sohn Philipp (16), der in Schweinfurts ins Gymnasium geht und der die Sprache der Ukrainer und der Russen spricht. "Das sind sich ähnliche Sprachen", so Schistka-Streck. Die Ukrainer verstehen die Russen sehr gut, die Russen tun sich dagegen schwerer mit der ukrainischen Sprache.
Philipp Streck und sein Klassenkamerad Michael Seel (16), dessen familiäre Wurzeln in der Südukraine liegen, verfolgen am Handy die Kriegshandlungen in der Ukraine, sind aber auch aktiv geworden. Die Whats-App-Gruppe "Hilfe für die Ukraine" hat bereits mehr als 250 Mitglieder, berichtet Philipp am Mittwoch im Gespräch mit dieser Redaktion. Über die Plattform werden Transporte in die Ukraine und die Einrichtung von Hilfsgüter-Depots organisiert. Solche gibt es bereits in Schweinfurt, Gerolzhofen und Geldersheim.
Die ersten "Sprinter" mit Hilfsgütern sind schon am vergangenen Samstag in die Ukraine aufgebrochen. "Dort fehlt es an allem, die Regale in den Läden waren schon nach zwei/drei Tagen leer, Nachschub kommt nicht durch", berichten die jungen Männer über die Lage von zahlreichen Verwandten, Bekannten und Freunden am Mittwoch - inzwischen dürfte sich die Situation noch zugespitzt haben.
Jeder leistet Widerstand wo er kann
Sie berichten aber auch vom Widerstand, wie ihn zum Beispiel eine Verwandte leistet, die Kiew verlassen hat, um sich in dem grenznahen Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, vorerst in Sicherheit zu bringen, aber auch, um dort mit anderen Frauen Molotow-Cocktails zu bauen oder Flüchtlinge zu versorgen.
"Die Männer bewachen die Eisenbahn, beschützen die Infrastruktur", so Kornelia Schistka-Streck. Das sei wichtig, weil von Putin bezahlte Saboteure unterwegs seien, die mit Leuchtfarben aus Sprühdosen Ziele, wie Gasleitungen oder Raffinerien, für die russischen Angriffe markieren, damit diese auch in der Nacht aus der Luft gut wahrgenommen werden können.
Aber selbst in den selbsternannten pro-russischen "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk sei die Akzeptanz für Putins Krieg unter der russischen Bevölkerung nicht so hoch, wie der gerne weismachen wolle. Im Rest der Ukraine sei es vor allem Putins aggressives Vorgehen gewesen, das die Leute im Einsatz für ihr Land noch einmal zusammengeschweißt habe.
So effizient wie möglich den militärischen Nachschub ins Stocken bringen
Die jungen Männer berichten davon, wie es gelingt, immer wieder den militärischen Nachschub der Russen ins Stocken zu bringen. So richte sich die Gegenwehr gezielt auf Fahrzeuge, die die Konvois mit Treibstoff versorgen. Eine Taktik, die dazu führe, dass vorrückende Panzer wegen Treibstoffmangel liegenbleiben. Geraspeltes Styropor werde den in Flaschen abgefüllten Molotow-Cocktails beigemischt. So entstehen gefährliche Brandbomben, die ein Militärfahrzeug lahmlegen können.
Es sind mitunter einfach anmutende Mittel, die schweres Gerät zum Stehen bringen können. Philipp Streck zeigt Videos, auf denen Frauen beinahe schon eine Molotow-Cocktail-Massenproduktion betreiben. Legionen mit brennbarer Flüssigkeit gefüllter Flaschen werden vorbereitet und warten auf ihren Einsatz.
Während in der Ukraine die absolut überwältigende Mehrheit der Menschen für die Freiheit des Landes eintrete, sei die Positionierung hierzulande nicht immer so eindeutig. Nicht unter den Ukrainern, sondern im Hinblick auf Menschen mit russischen Wurzeln, die hier leben. "Schweinfurt ist ein großes Dorf, seit vielen Jahren kenne ich viele Familien", so Kornelia Schistka-Streck. "Doch was jetzt abgeht, das geht überhaupt nicht".
Es gebe gerade unter den Älteren immer noch welche, die hier ausschließlich russisches Fernsehen schauen, die nichts vom Krieg in der Ukraine mitbekommen und dies auch nicht wollen. Menschen, die 20 Jahre hier leben, auf die deutsche Regierung schimpfen und dem russischen Staatsfernsehen vertrauen.
Manche, vor allem ältere Russen, trauern immer noch den alten Zeiten hinterher
Bei den jungen Russinnen und Russen sei der Anteil derjenigen, die bereit sind, sich von russischer Staatspropaganda zu distanzieren, sehr viel höher, so die Erfahrung der beiden Schüler. Vor Kriegsbeginn sei Politik unter jungen Russen und Ukrainern überhaupt kein Thema gewesen, wurde zum Beispiel die Populär-Musik beider Länder gemeinsam gehört, berichtet Philipp Streck.
Vor allem junge Russen hätten es oft nicht einfach, sich eine eigene Meinung zu bilden, wenn sie in einem Haushalt aufgewachsen sind, in dem noch "russischer Größe" und der alten Sowjetunion nachgetrauert werde, ergänzt Michael Seel.
90 bis 95 Prozent der jungen Leute in seinem Bekanntenkreis, also auch junge Russen, sind nicht so naiv, dass sie Putin auf den Leim gehen, schätzt Philipp Streck. Kornelia Shistka-Streck dagegen räumt ein, dass sie mit einigen, vor allem älteren Leuten, die hier leben, wegen Äußerungen wie "faschistisches Europa bedroht das heilige Russland" nun für immer gebrochen habe.
Menschen, die sich bewusst einseitig informieren wollen, werde es immer geben, auch nach der Abschaltung russischer Staatsmedien. So seien leicht spezielle Receiver, oft nicht größer als ein USB-Stick, zu haben, mit denen verbannte Sender weiterhin geschaut werden könnten. "Wer will, kann für 20 Euro seinen Propagandabedarf decken."
Und immer wieder das Märchen vom Angriff der Ukraine
Eine Propaganda, unter deren Dauerbeschuss die Bekannten der Familien in Russland stehen. Im russischen Staatsfernsehen sei die Rede davon, dass die Ukraine die "jungen Republiken Luhansk und Doneszk" angegriffen habe, wogegen sich Russland zur Wehr setze. "Links für Nachrichten unabhängiger Medien, mit denen man dies gerade rücken könnte, kommen nicht in Russland an", skizziert Kornelia Schistka-Streck die russische Internet-Zensur.
Wie es weiter geht? "Wir trauen Putin alles zu, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt, seine Pläne nicht aufgehen, wie gedacht", so die beiden jungen Schweinfurter mit ukrainischen Wurzeln im Hinblick auf den Einsatz von Atomwaffen. "Wir hoffen, dass es in Putins Umfeld vernünftige Köpfe gibt", ergänzt die Mutter von Philipp Streck.
Hoffnung mache auch die enorme Unterstützung für die Sache der Ukraine. Nicht nur durch Deutsche, sondern von Menschen unterschiedlichster Nationen, die aufgrund ihrer Biografie genau wissen, wie es sich anfühlt, in einem totalitären Regime leben und deswegen seine Heimat verlassen zu müssen.